Guido Palazzo - © Foto: Privat

Guido Palazzo über gutes Führen: „Marc Aurel hätte heute Probleme“

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Unternehmensethiker Guido Palazzo beschäftigt sich mit (un)ethischem Verhalten und der „dunklen Seite der Macht“. Ein Gespräch von Volkswagen über Sebastian Kurz bis zum Mond.

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Unternehmensethiker Guido Palazzo beschäftigt sich mit (un)ethischem Verhalten und der „dunklen Seite der Macht“. Ein Gespräch von Volkswagen über Sebastian Kurz bis zum Mond.

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„From Yale to Jail“: Diesen Titel tragen jene Vorträge, die Guido Palazzo gern in großen Unternehmen hält. Als Professor für Business ­Ethics an der Universität Lausanne hat er sich auf die Frage spezialisiert, was Führungskräfte dazu bringt, sich unethisch zu verhalten. Was heißt das umgekehrt für gute Führung in Wirtschaft und Politik? Und wie schafft man es, Menschen auf den Weg zu großen Zielen wie einem „Green Deal“ mitzunehmen? Ein Auftaktgespräch im Rahmen der Reihe „Wert(e)voll führen“ – einer Kooperation der FURCHE mit dem „Forum christlicher Führungskräfte“.

DIE FURCHE: Vor 1900 Jahren wurde der Philosophenkaiser Marc Aurel geboren. Sein Credo lautete: „Bleibe ein einfacher Mensch, integer, ernsthaft, schlicht, ein Freund der Gerechtigkeit.“ Warum ist das im wirtschaftlichen Alltag so schwer?
Guido Palazzo: Das Ideal von Marc Aurel ist das eines Menschen, der versucht, unabhängig von der Welt rundherum moralisch rein zu bleiben. In einer vernetzten Welt ist das schwierig. Wir wissen heute aus der psychologischen Forschung, dass vieles von dem, was wir tun, nicht von innen kommt, sondern aus dem Kontext heraus determiniert wird. Ganz oft passieren gute, aber auch schlechte Dinge deshalb, weil wir in einem Umfeld sind, das uns in eine solche Richtung drängt. Und diesen Kontext zu verstehen, ist vor allem in Krisenzeiten sehr wichtig.

DIE FURCHE: Welcher Kontext könnte dazu führen, dass Mitarbeiter – wie bei Wire­card – am Ende bis zu 100 Millionen Euro Bargeld in Plastiksäcken aus einer
Unternehmenszentrale tragen?

Palazzo: Wirecard ist insofern nicht das ideale Beispiel, weil wir es hier mit einer kleinen Gruppe hochkrimineller Manager zu tun haben, die ein Betrugssystem aufgezogen haben. Spannender sind Skandale, bei denen ganz normale Manager das Falsche tun und ganz viele mitmachen, ohne das Gefühl zu haben, das Falsche zu tun. Wie etwa bei Volkswagen.

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DIE FURCHE: Wie konnte es hier zu diesem Abgasbetrug kommen?
Palazzo: Es gab eine Unternehmenskultur der Angst – und diese Kultur wurde von Ferdinand Piëch in den 1990er Jahren eingeführt und dann von Martin Winterkorn verfeinert. Beide hatten einen psychopathischen Führungsstil. Piëch hat Manager und Ingenieure entlassen, weil er das Geräusch einer sich schließenden Autotür bei einem Neuwagen nicht gut fand. Er hat verboten, dass man das Wort „Problem“ benutzt. Manager haben mir gesagt: „Wenn er den Raum betritt, wird es um zehn Grad kälter.“ Winterkorn war sein Schüler, aber er war anders: laut, cholerisch, emotional. Er hat Dinge nach den Leuten geworfen oder seine Topmanger vor Kunden erniedrigt. Der Spiegel hat schon zwei Jahre vor dem Skandal geschrieben, Volkswagen sei wie Nordkorea, nur ohne Konzentrationslager. Wenn man dann diese Filtertechnologie zu bauen hat, die den US-Gesetzen entsprechen soll, und feststellt, dass das nicht fertig wird, dann tut man eben falsche Dinge.

DIE FURCHE: Welche Treiber außer Angst gibt es noch für unethisches Verhalten?
Palazzo: Mehr oder weniger alle Unternehmen in der Autoindustrie schummeln im Labor. Es gibt in den USA seit den 1970er Jahren Gesetze für die Emission von Dieselmotoren, und seit damals gibt es Betrüger. Wenn ich aber das Gefühl habe: „Das machen ja alle“, dann ist es leicht, illegales Handeln moralisch zu rechtfertigen. Vielleicht erinnern Sie sich auch an den Skandal um Lance Armstrong, der zwischen 1999 und 2005 siebenmal hintereinander die Tour de France gewonnen hat. Hinterher ist herausgekommen, dass er das mit EPO geschafft hat, das zu zehn Prozent mehr Leistung führt. Als er das nicht mehr leugnen konnte, ist er in die „Oprah Winfrey Show“ gegangen und hat gesagt: „Ja, ich habe EPO genommen – aber ich habe nie betrogen, weil Betrug bedeutet, sich einen unfairen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten zu verschaffen. Und das habe ich nie gemacht.“ Auch das gibt es oft in Unternehmen.

DIE FURCHE: Klingt nach „Broken-Window-Theorie“...
Palazzo: Genau. Ein Indikator dafür ist, dass jene, die Unethisches tun, nicht daran denken, dass das falsch sein könnte. Der oberste Compliance-Officer von Volkswagen, Oliver Schmidt, ist im Dezember 2016, nachdem der Skandal schon öffentlich geworden war, noch nach Miami in den Weihnachtsurlaub geflogen und beim Rückflug, am 7. Jänner 2017, verhaftet worden. Jetzt kam er gerade aus dem Gefängnis. Er war damals entweder sehr, sehr dumm – oder er dachte tatsächlich, dass das, was er getan hat, nicht falsch war. Und ich denke, das Letztere war der Fall. Das sieht man immer wieder: Manager, die das Falsche tun, sind am Ende geschockt über sich selbst.

Bei Volkswagen gab es eine Unternehmenskultur der Angst. Der ,Spiegel‘ hat schon zwei Jahre vor dem Skandal geschrieben, Volkswagen sei wie Nordkorea, nur ohne Konzentrationslager.

DIE FURCHE: Sie haben vom psychopathologischen Führungsstil gesprochen. Die Frage ist natürlich: Warum kommen solche Menschen überhaupt nach oben?
Palazzo: Man hat in Topetagen sehr oft Leute, die eine Kombination aus Psychopathie und Narzissmus aufweisen. Zum einen nutzen Psychopathen ihre Ellbogen, um nach oben zu kommen. Der Narzisst wiederum ist jemand, der andere um den Finger wickeln kann und anderen den Eindruck gibt, dass sie irgendwie wichtig sind – der sich aber am Ende nur für sich interessiert. Diese Mischung ist sehr erfolgreich. Es ist eine Entscheidung von Unternehmen, ob man das will, ob man sagt: Okay, die sind zwar toxisch aggressiv, aber auch erfolgreich, deshalb wollen wir sie nach oben kommen lassen.

DIE FURCHE: Wie sehr ist all dies auch auf die Politik übertragbar? Bei „Psychopath“ fällt einem Donald Trump ein. Und Führungsstildiskussionen gab es in Österreich zuletzt auch beim Abgang von Rudolf Anschober. Man warf ihm vor, allzu zögerlich und konsensuell zu entscheiden – etwa im Kontrast zu Sebastian Kurz.
Palazzo: Ich glaube, dass Politik und Wirtschaft sehr ähnlich funktionieren – und dass wir mit einer gewissen Rollenerwartung an Führungskräfte herangehen. Wir wollen, dass sie tough sind, schnell entscheiden, visionär nach vorne marschieren und das auch vielleicht rücksichtslos machen. Jemand wie Marc Aurel hätte heute Probleme, Kaiser zu sein, weil er zu viel überlegt hat. Vonseiten der Forschung ist aber jemand, der mit Ethik führt, der demokratischer führt, langfristig erfolgreicher. Gerade jetzt müssten wir sehr viel mehr ethisches Gedankengut investieren, um die Gesellschaft radikal zu verändern. Die Coronakrise ist ja nicht die echte Krise, sondern das ist die ökologische Krise, die Gerechtigkeitskrise, die Wahrheitskrise. Solche Krisen führen dazu, dass man nur noch auf Sicht fahren kann, dass man gar nicht mehr planen kann und in die Zukunft schauen. Das führt zu Unsicherheit. Das macht Angst. In solchen Momenten hat dann die Ethik Konjunktur – aber auch das unmoralische Verhalten. Die großen Skandale sind immer dann losgegangen, wenn es eine Krise gab: Die Finanzkrise hat die Lehman Brothers gekillt, die New-Economy-Krise Enron. Und auch Covid führt dazu: In einer Umfrage unter Korruptionsexperten in England vom Mai 2020 haben 70 Prozent gemeint, dass es nun mehr Korruption gibt, weil der Druck steigt und man sich sagt: Ich breche jetzt einmal die Regeln, weil Krise ist - und dann nie wieder. Aber danach kann man dieses „Nie-Wieder“ dann oft nicht durchhalten.

DIE FURCHE: Kommen wir dezidiert zur Klimakrise. Welche Führung ist hier gefragt, um die Menschen mitzunehmen aus diesem mühsamen Weg?
Palazzo:
Es gibt hier zwei Herausforderungen. Zum einen dieses Bewusstsein: Das ist ja noch so weit weg. Wobei wir schon die Generation sind, die leiden wird. Und das Zweite ist, dass wir gerade merken, dass unser bisheriges Narrativ zusammenbricht: freie Märkte, die sich selbst regulieren, oder Konsum, der glücklich macht. Wir haben aber noch kein neues Narrativ. Was uns jedenfalls nicht weiterhilft, ist ein Narrativ der Angst nach dem Motto „Wir sind alle verloren“ – oder das Motto „Technologie allein wird uns retten“: Wir haben – Stichwort „Rebound-Effekt“ – noch jede Energieeinsparung durch technischen Fortschritt überkompensiert. Ich denke, wir kommen an einer radikalen Veränderung des Lebensstils nicht vorbei. Dieser Wegwerfkonsum und diese Massentierhaltung müssen sich ändern. Angela Merkel hat in Davos im Februar letzten Jahres, also kurz bevor Covid ausbrach, gesagt: „Wir haben etwa dreißig Jahre Zeit, die Art, wie wir arbeiten und wie wir leben, radikal zu ändern.“ Das fand ich wirklich bemerkenswert.

DIE FURCHE: Apropos Merkel: Im Nachfolgekampf hat sich Armin Laschet gegen Markus Söder durchgesetzt. Dieser hat Loyalität versichert. Ist das glaubwürdig?
Palazzo:
Nein, weil narzisstische Alphatiere immer Probleme damit haben, in der zweiten Reihe zu stehen. Das war schon bei Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder so. Da muss Laschet noch mit einigem an Gegenfeuer rechnen.

DIE FURCHE: Nochmals zur nötigen Transformation: Trauen Sie Ursula von der Leyen bzw. Joe Biden zu, diese umzusetzen?
Palazzo: Wir sehen ja am „Green Deal“ für Europa, dass schon einiges passiert ist. Und Microsoft hat gesagt, sie wollen bis 2050 CO₂-negativ sein – also alles CO₂, das die Firma und ihre Kunden jemals seit der Firmengründung 1975 in die Luft gepustet haben, wieder hereinholen. Und Starbucks hat gesagt, sie wollen „wasser-positiv“ werden, also mehr Frischwasser in die Natur entlassen als sie entnehmen. Die Unternehmen wissen heute noch nicht, wie sie das hinbekommen. Aber das ist das, was die Ökonomin Mariana Mazzucato „Moonshot“-Projekte nennt: So wie die Amerikaner in den 1950er Jahren das Ziel formuliert haben, auf den Mond zu wollen, ohne zu wissen, wie man dorthin kommt – so nutzt man auch heute die gesamte Energie, um dieses visionäre Ziel zu erreichen.

DIE FURCHE: Wie steht es auf dem Weg zu diesem visionären Ziel mit der Selbstverantwortung der einzelnen Führungskraft?
Palazzo: Je höher man in der Hierarchie in einem Unternehmen oder einer politschen Organisation steht, desto größer ist natürlich die Verantwortung in dieser Transformation. Aber wir alle sehen, dass wir nicht mehr so viel Zeit haben, deshalb müssen jene, die die Hebel in der Hand haben, mehr tun, um etwas zu verändern. Das führt aber auch zu dem Dilemma, dass wir das den Führungskräften so nie beigebracht haben in der Ausbildung. Das ist relativ neu. Bisher war Ethik geräuschlos im Hintergrund: Ich verhalte mich anständig, ich bin ein guter Mensch, ich spende etwas - und das ist meine politische Verantwortung im Unternehmen. Aber das reicht eben jetzt nicht mehr: Jetzt muss man das Unternehmen quasi neu erfinden.

DIE FURCHE: Welche Rolle spielt hier „CSR“, die bislang mitunter so ausgesehen hat, dass Unternehmen mit einem einzelnen Projekt ihr Gewissen beruhigt und sich nach außen als ethisch satisfaktionsfähig dargestellt haben?
DIE FURCHE:
Auch das reicht natürlich nicht mehr, weil man heute eben mit neuen Fragen von außen konfrontiert ist, auf die man Antworten geben muss: Gibt es Kinder- oder Sklavenarbeit in meiner Wertschöpfungskette, wie sieht es mit dem CO2-Ausstoß bei meinen Zulieferern aus, was ist mit Wasserverschwendung, Pestiziden. Was auch immer die Probleme meiner speziellen Wertschöpfungskette sind: Überall dort, wo ich verbunden bin mit ökologischem oder sozialem Leid, wird mir das auf den Tisch gelegt und ich muss Antworten finden. Das heißt nicht, dass ich als Führungskraft das dann alles alleine lösen kann oder soll. Aber es heißt, dass ich diese Fragen nicht mehr einfach so zurückweisen kann.

Dieser Artikel entstand in Kooperation mit dem „Forum christlicher Führungskräfte“. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der FURCHE.

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