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Guter Wille und Vertröstung

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Die Wirtschaftsbeziehungen Österreichs mit dem Osten waren in der Nachkriegszeit vom völlig unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem und der Zugehörigkeit der Oststaaten zum RGW geprägt und erreichten nie mehr die Bedeutung der Vorkriegszeit.

Erst mit dem Zusammenbruch des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems der ehemaligen kommunistischen Staaten im Osten haben sich die Rahmenbedingungen für den österreichischen Osthandel entscheidend verändert.

Die Liberalisierung des Außenhandels in Osteuropa und die radikale Westorientierung aller Oststaaten nach dem Zerfall der Integrationsgemeinschaft der Region (RGW) haben den Aufschwung des österreichischen Osthandels 1989 eingeleitet.

Die Ostregion, insbesondere aber die unmittelbaren Nachbarstaaten Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Slowenien wurden zur bedeutenden Stütze für die österreichische Exportwirtschaft. Darüber hinaus nimmt die Wirtschaftsverflechtung mit diesen Staaten auch über Direktinvestitionen ständig zu.

Bisher zählt Österreich zu den Net-to-Gewinnern der Ostöffnung. Die österreichische Handelsbilanz mit Ost-Mitteleuropa wandelte sich von einem knappen Defizit vor der Ostöffnung zu einem deutlichen Uberschuß von 10,6 Milliarden Schilling im Jahr 1994. Durch die Ostöffnung rückte Österreich aus einer geographischen Randlage in die Mitte eines wirtschaftlich und politisch zusammenwachsenden Raumes, wodurch sich seine Standortattraktivität erheblich erhöhte.

Zu Anpassungsproblemen kam es in den energie- und arbeitsintensiven Produktbereichen Stahl, Zement, Textilien, Bekleidung und Landmaschinen. Die Mehrheit der österreichischen Unternehmen paßte sich aber an die neuen Bedingungen gut an und konnte die Chancen nicht nur durch Exporte, sondern auch durch Direktinvestitionen und andere Formen der Unternehmenszusammenarbeit in Osteuropa gut nützen.

Simulationsanalysen des WIFO ergeben einen kumulierten Wachstumseffekt der Ostöffnung in den Jahren 1989 bis 1994 von 1,3 Prozent. Zudem wurden durch die Ostöffnung 15.000 bis 20.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die unmittelbaren Nachbarländer waren an diesem Ergebnis überproportional beteiligt. Im Handel mit den vier Nachbarn erwirtschaftet Österreich derzeit einen Überschuß von 13,7 Milliarden Schilling.

Für die künftige Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen ist der weitere Transformations- und wirtschaftliche Aufholprozeß dieser Länder entscheidend, aber auch ein möglicher EU-Beitritt der Nachbarn würde für Österreich eine neue Situation entstehen lassen.

Die Bilanz nach fünf Jahren Transformation liefert für alle vier Nachbarstaaten Österreichs positive Ergebnisse. Die Weltbank bezeichnete in ihrer jüngsten Analyse die Transfer -

Weder einen Fahrplan noch verbindliche Aufnahmekriterien hat die EU bisher beitrittswilligen Oststaaten vorgelegt. Das hat Enttäuschung verursacht. mationsprobleme der „ersten Generation” - makroökonomische Stabilisierung und Liberalisierung der Wirtschaft - als weitgehend abgeschlossen, im Mittelpunkt stünden jetzt die Reform des Fiskal- und Finanzsystems und die Frage nach dem optimalen Wechselkursregime.

Slowenien erzielt seit 1993 ein positives Wirtschaftswachstum, Ungarn, Tschechien und die Slowakei seit 1994. Die Wachstumsprognosen für die nächsten Jahre sind weiterhin positiv, sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der hohe Abstand im Lebensstandard zum Westen damit kurzfristig aufholbar wäre. Das mittelfristige Ziel für die am weitesten fortgeschrittenen osteuropäischen Reformländer ist derzeit eher das Erreichen des BIP-Niveaus vor Beginn des Transformationsprozesses im Jahr 1989.

Von den vier Nachbarstaaten Österreichs ist Slowenien diesem Ziel am nächsten. Ihm wird für heuer und nächstes Jahr ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent vorausgesagt.

Auch sonst zeichnet sich für den südlichen Nachbarn ein überaus positives Bild: Inflation und die relativ hohe Arbeitslosigkeit gehen zurück, die Leistungsbilanz ist positiv und die Währungsreserven steigen. Auch der Tschechischen Republik und der Slowakei werden für 1995 und 1996 gute Wachstumsaussichten prognostiziert.

Die niedrige Inflation und Arbeitslosigkeit runden das positive Bild für Tschechien ab. Allerdings wird im Hinblick auf die niedrige Arbeitslosenrate oft darauf, verwiesen, daß Tschechien zwar Fortschritte in der Privatisierung von Betrieben macht, nicht aber mit deren Umstrukturierung.

In Zukunft ist daher eher mit einem Steigen der Arbeitslosigkeit zu rechnen. In der Slowakei verwundern die guten Wirtschaftsdaten angesichte der derzeitigen politischen Wirrnisse. Durch die politische Instabilität sinkt auch die Attraktivität der Slowakei als Standort für ausländische Direktinvestitionen.

Etwas gedämpfter als in den anderen Nachbarländern sind die Wachstumserwartungen der nächsten Jahre für Ungarn. Die wichtigsten Ursachen dafür sind die zunehmenden Ungleichgewichte in der Leistungsbi -lanz und im Staatehaushalt, die die Wirtschaftspolitik zu Stabilisierungsmaßnahmen zwingen.

Eines der wichtigsten unterstützenden Elemente im Transför-mationsprozeß war und ist die Öffnung der westlichen Märkte für Waren aus dem Osten. Seit Beginn des politischen Umbruchs bemühen sich die Länder Osteuropas um den Beitritt zur EU.

Eine Osterweiterung stellt aber die EU vor eine grundlegend neue Situation, da die Aufnahme nicht traditionell marktwirtschaftliche Industriestaaten betrifft (siehe dazu Seite 17). Die Integration der Oststaaten bedeutet dabei nicht nur einen einschneidenden wirtschaftlichen, institutionellen und gesetzgeberischen Anpassungsbedarf in den osteuropäischen Beitritteländern, auch in der EU wird eine Fülle von Anpassungsproblemen entstehen.

Die EU reagierte anfangs zwar schnell auf den Wandel im Osten, einem Beitritt Osteuropas stand sie aber zunächst eher reserviert gegenüber. Vorerst ergaben sich mit den Handels- und Kooperationsabkommen Neuansätze im Ost-West-Handel: auf EU-Seite durch das Zugeständnis der GATT-Meistbegünstigungsklausel, den Abbau mengenmäßiger Importbeschränkungen und die Einbeziehung Osteuropas in das General System of Preferences (Zollfreiheit innerhalb eines Quotensystems, das die EG zuerst 1971/72 gegenüber Entwicklungsländern anwandte).

Zwischen 1988 und 1990 wurden Kooperationsabkommen mit Ungarn,

Polen und der damaligen CSFR abgeschlossen. Ein ähnliches Abkommen gibt es mittlerweile mit Slowenien, aber auch mit Bulgarien, Rumänien, Albanien und den baltischen Staaten.

Auf diese Kooperationsabkommen folgten dann im Dezember 1991, zur engeren Anbindung dieser Länder an die Union, die Assoziationsabkonv men (sogenannte „Europaverträge”) mit Polen, Ungarn und der ehemaligen CSFR, später auch mit Bulgarien und Rumänien.

Mit Slowenien und den drei baltischen Staaten hat die EU im Juni 1995 weitere Assoziationsabkommen un-terzeichnet.Trotz politischer Vorbehalte Italiens ist das Abkommen mit Slowenien im Oktober dieses Jahres in Kraft getreten.

Die Länder Zentraleuropas haben bei den Verhandlungen zu den Assoziationsabkommen feste Beitrittezusagen der EU angestrebt. Dem entsprach die EU zwar nicht, nahm aber den EU-Beitritt als das endgültige Ziel dieser Länder in die Präambel des Vertrags auf.

In den folgenden Jahren änderte sich dann auch der integrationspolitische Kurs der EU in bezug auf Osteuropa und die ursprünglich ablehnende Haltung wurde revidiert. So hat der Europäische Rat beim Treffen in Kopenhagen am 22. Juni 1993 den assoziierten Ländern eine Aufnahme unter der Bedingung verbindlich zugesagt, daß sie die aus der EU-Mitgliedschaft resultierenden Verpflichtungen übernehmen können: „Der Beitritt kann erfolgen, sobald ein assoziiertes Land in der Lage ist, den mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachzukommen und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen zu erfüllen.” Ein fester Termin wurde aber nicht gesetzt.

Im Sommer 1994 hat die EU-Kommission ein „Strategiepapier” zur Erweiterung der Beziehung zu den assoziierten Ländern vorgelegt - wiederum ohne spezifischen Zeitrahmen für einen Beitritt. Das gleiche gilt für das neue „Weißbuch” der EU-Kommission zur Osterweiterung vom 3. Mai 1995.

Das Weißbuch legt im Detail die notwendigen Schritte der assoziierten

Länder zur Annäherung der Gesetzgebung und zur Anpassung und Errichtung von Strukturen zur Um- und Durchsetzung der Rechtsvorschriften fest, stellt aber keine neuen Bedingungen für den Beitritt.

Die EU sieht das Weißbuch als Wegweiser oder Leitfaden zur Annäherung der Beitrittswerber an das „aquis communnautaire” der EU seit dem Vertrag von Maastricht. Die EU legte auch fest, daß dieses Weißbuch nicht Gegenstand der Beitrittsverhandlungen sein wird und auch Einzelheiten dieser Verhandlungen nicht vorgreift.

Dies wurde mit einiger Enttäuschung in den assoziierten Staaten aufgenommen, da das Weißbuch damit weder den erwünschten „Fahrplan” für einen EU-Beitritt noch verbindliche Aufnahmekriterien enthält.

Nur den assoziierten Oststaaten (bisher insgesamt zehn Länder) wurden damit bisher die Möglichkeit eines EU-Beitritts in Aussicht gestellt. Diese bilden aus realistischer Per: spektive daher auch den Kreis der Bei-trittskandidaten. Von den vier Nachbarstaaten Österreichs haben Ungarn (April 1994) und die Slowakei (Juni 1995) ein Beitrittsansuchen vorgelegt.

Die Beitrittsverhandlungen werden nach Mitteilungen der EU-Kommission in jedem Falle erst nach Beendigung der 1996 beginnenden Regierungskonferenz der EU-15 beginnen. Bis zu einem EU-Beitritt bilden weiterhin die Europaverträge den wichtigsten Rahmen für die Beziehungen der EU zu den Oststaaten.

Die Europaverträge enthalten neben Bestimmungen zur Schaffung einer Freihandelszone bis zur Jahrtausendwende auch Regeln über den Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, den Wettbewerb sowie über finanzielle und die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Ausgeklammert blieb aber der Handel mit Agrarprodukten, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie der Zugang zu den Budgetmitteln aus dem Strukturfonds.

Diese drei Bereiche bilden auch die kritischen Punkte bei den zukünftigen Beitrittsverhandlungen. Vor allem deshalb, weil sie auch Anpassungen innerhalb der EU - ihrer Institutionen, der gemeinsamen Agrarpolitik und des Finanzausgleichs und den von der Ostöffnung betroffenen Wirtschaftssektoren ihrer Mitgliedsländer - voraussetzt.

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