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Haben wir das wirklich notwendig?

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Anstatt das Wochenende für einen gemeinsamen Tag zu nutzen, zwängen sich oft ganze Familien in ihr Auto, um ins benachbarte, billigere Ostland zum Einkaufen zu fahren. Diese Ausflüge stehen unter dem Titel „Einkaufsfahrten" und sind nicht selten gekoppelt mit ein wenig Freizeit, die zum Essengehen oder Schwimmen im Thermalbad genützt wird. Daß sogar Familien vollzählig ausrücken, hat einen praktischen Grund: Die Pro-Kopf-Einkaufsgrenze ist "finanziell begrenzt. Je mehr Personen daher im Auto sitzen, desto höher der Einkaufsrahmen. Und der „Sport", Dinge jenseits der österreichischen Grenze billiger einzukaufen, boomt. Warum eigentlich?

Müssen unsere Landsleute so sehr aufs Geldbörsel schauen, oder tun sie es einfach, weil es ihren persönlichen Gewinn maximiert, und sie aus ihrem Geld das Optimum herausholen wollen? Verhalten sich Konsumenten also eigentlich so, wie sie es den Unternehmern gerne unterstellen beziehungsweise vorwerfen?

Es gibt die unterschiedlichsten Motive, die einen Einkauf im benachbarten Ausland attraktiv machen. Selbst wenn durch Benzinkosten und sonstige Spesen, die durch eine zumindest 60 Kilometer lange Anreise entstehen, unterm Strich nicht viel übrig bleibt, zählen diese Ausflüge zu den interessanten Abwechslungen im Alltagsleben der Österreicher.

Der Erwerb von Dingen, die es bei uns nicht gibt, wird mit dem Schlagwort „Erlebniseinkauf" umschrieben. Die Produkte wirken auf den Konsumenten teilweise exotisch und sind oft auch um vieles billiger. Daß die Qualität nicht immer stimmt, scheint niemanden wirklich zu stören. So ist es beispielsweise Faktum, daß die Salami, die einzelne grenznahe Heurigenwirte in Ungarn einkaufen von eher minderer Qualität ist. Ungarische Salami, in Österreich eingekauft, ist um vieles besser. Auf der anderen Seite hat sich aber die früher eher minderwertige Qualität bei Textilien oder Lederwaren in unseren Nachbarländern mittlerweile so verbessert, daß hier zum Teil schon von echter Konkurrenz gesprochen werden kann. Auch Materialien, die in unseren Nachbarländern bei Dienstleistungen wie Friseur oder Zahnarzt verwendet werden, haben ebenfalls enorm aufgeholt, sodaß dem Konsum nichts mehr im Wege steht. Außer vielleicht die Überlegungen, daß dem österreichischen Fiskus auf diese Art nicht unbeträchtliche Einnahmen verlorengehen. So mutet es ja fast grotesk an, wenn man weiß, daß die ÖMV an unsere Grenzstaaten Sprit liefert, und dieser dort von österreichischen Einkaufstouristen aufgetankt und zurück nach Österreich gebracht wird.

Auch die Österreichische Tabakregie liefert Zigaretten (Memphis) ins Änachbarte Ausland, wo sie von Österreichern zum billigeren Tarif eingekauft werden. Hier hat sich aber die Beschränkung auf 25 Stück pro Person doch stark zu Buche geschlagen.

„Das ist frustrierend"

Es gibt also erwiesenermaßen einen Konflikt zwischen dem Eigentümer (Staat) und dem Konsumenten: Bei uns sterben die Trafiken aus, Tankstellen müssen zusperren, wir aber fahren über die Grenzen, um diese Dinge einzukaufen und wieder einzuführen.

Erwin Pock, Leiter des Instituts für Handelsforschung in Wien, klagt: „Ich erlebe diese Entwicklung seit Jahren und kenne keine Gegenmaßnahmen, die hier wirklich greifen. Es ist frustrierend. Ich sehe in diesem Einkaufstourismus eine Form der Unterhaltung, ein Ritual, das seine Anziehungskraft nicht zu verlieren scheint. Ich selbst habe kürzlich eine höchst bezeichnende Szene erlebt: eine Kassierin im Supermarkt beendete eilig ihren Dienst, um mit ihrem Freund zu einer Einkaufstour nach Ungarn abzureisen. Es scheint diesen Menschen nicht klar zu sein, daß sie so ihre eigenen Jobs kaputt machen, denn die Umsätze, die hier getätigt werden sollten, werden ins Ausland verlegt. Dazu kommt, daß die sogenannten Einkauftouristen in zweierlei Budgets rechnen: Das eine betrifft das Auto und die Benzinkosten durch solche Fahrten, das andere Budget betrifft die Einkäufe selbst. Keiner will sich aber eingestehen, daß sich solche Dinge ganz einfach nicht rechnen.

Werbefahrten

Wilhelm Dantine, Marktbereichsleiter im GFK Fessel Institut für Dienstleistungsforschung, sieht die Lage nicht so düster. „Die Anlaßfälle, um im Ausland einzukaufen, werden geringer. Vor allem der westliche Bereich, ist neuerdings - bedingt dyrch den EU Beitritt - in dieser Hinsicht doch eher eingeschränkt. Den Höchststand an Tagesausflügen hatten wir in den Jahre 1993 bis 1995. Für 1997 gibt es bisher nur provisorische Ergebnisse, eine aktuelle Erhebung ist im Laufen. Die Preissiutation im Osten hat sich aber in der letzten Zeit derart verändert, daß die psychologische Wirkung auf die Kaufinteressierten nicht ausgeblieben ist. Es gibt aber nach wie vor den spielerischen Wettbewerb, den ich fast als „Einkaufssport" bezeichnen würde, nämlich sich gegenseitig nach einem Einkaufswochenende übertrumpfen zu wollen. Titel dieses Wettbewerbs: „Was habe ich wo noch billiger eingekauft?" Ich konnte auch beobachten, daß die gleichen Leute, die sich über die Einkaufsorgien mancher Ausländer bei uns in Österreich beschweren, haargenau das gleiche Verhalten an den Tag legen, wenn sie selbst im Ausland sind."

Ein Kapitel für sich sind die „Werbefahrten" für großteils älteres Publikum, die sich immer noch großer Beliebtheit erfreuen. Hier werden Produkte im Ausland vorgeführt und auch verkauft. Das Ganze ist mit einer Autobusfahrt' und einem Gratismittagessen verbunden. Da es sich um eine teils recht zahlungskräftige Klientel handelt, wird hier auch viel Ware umgesetzt. Die Idee, einen Ausflug mit Einkaufen zu verbinden und sich dabei gleichzeitig in der Gesellschaft von Gleichaltrigen und Gleichgesinnten zu befinden, scheint goldrichtig. Ein werbefahrendes Pensionistenehepaar: „Wir fahren fast jede Woche auf eine solche Einkaufsfahrt. Was sollen wir schließlich den ganzen Tag zu Hause anfangen? Hier trifft man Menschen und lernt Produkte kennen, die es in den Geschäften gar nicht gibt." Ob sie auch schon viel eingekauft haben? „Ja, zwei Mal haben wir schon gekauft. Was das war? Eine Heizdecke und einen Dampfreiniger. Wir haben beides eigentlich nicht wirklich gebraucht..."

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