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Hausers Preisspirale

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Die wirtschaftspolitischen Vorhaben der sozialistischen Minderheitsregierung lassen sich vorderhand allein an Hand von Erklärungen der drei Minister Androsch, Häuser und Staribacher ergründen, denn der wirtschaftspolitische Abschnitt in Kreiskys Regierungserklärung war eher eine Summe von Postulaten als eine Absichtserklärung über Mittel und Ziele einer sozialistischen Wirtschaftspolitik.

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Die wirtschaftspolitischen Vorhaben der sozialistischen Minderheitsregierung lassen sich vorderhand allein an Hand von Erklärungen der drei Minister Androsch, Häuser und Staribacher ergründen, denn der wirtschaftspolitische Abschnitt in Kreiskys Regierungserklärung war eher eine Summe von Postulaten als eine Absichtserklärung über Mittel und Ziele einer sozialistischen Wirtschaftspolitik.

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Finanzminister Dr. Androsch versprach andeutungsweise eine Ministeuerreform, die vielen fast nichts bringen wird, außer Ärger darüber, daß sie alle, den Staat also, einiges kosten wird — sowie eine Termin-Verschiebung für die Einführung der längst fälligen Mehrwertsteuer. Handelsminister Dr. Staribacher sicherte zu, „die Preisauftriebstendenzen zu dämpfen“ und für mehr Wettbewerb zu sorgen. Und Sozial mini st er Ingenieur Häuser, zugleich sein zweites Ich, den ÖGB-Vizepräsidenten Ingenieur Häuser verkörpernd, versprach in Vorarlberg für den kommenden Herbst eine ausgiebige Lohnrunde, um „durch die Stärkung der Massen-kaufkraft die Konsumgüterwirtschaft zu beleben“, ferner „Investitionsspritzen in beschränktem Umfang“ sowie eine Preispolitik der „Sanktionen“.

Diese nächsten wirtschaftspolitischen Vorhaben der sozialistischen Minderheitsregierung addiert, ergeben als Summe kein geeignetes Rezept für eine wirksame Konjunktursteuerung. Es äst anzunehmen, daß der wirtschaftspolitische Koordinator im Bundeskanzleramt, Staatssekretär Dr. Veselsky, das weiß; daß er schweigt, dürfte mit zweierlei zusammenhängen: einmal fehlt ihm eine Hausmacht innerhalb seiner Partei, das anderemal mangelt ihm so ziemlich jede Erfahrung in der Umsetzung glänzender ökonomischer Erkenntnisse in die wirtschaftspolitische Praxis.

Veselskys eisiges Schweigen zu den Versprechen und Forderungen seiner Regierungskollegen deutet an, daß das Bundeskanzleramt nicht anders kann und darf, als den Dingen ihren Lauf zu lassen: „laissez faire, laissez passer“ auf sozialistisch. Das aber verspricht für die Mitte des kommenden Jahres eine Konjunkturab-schwächung von einer Länge und Heftigkeit, wie sie zu Beginn dieses Jahres auf der Basis verfügbarer Daten nicht vorhersehbar war. Gäbe es Palmen für ökonomische Unvorsichtigkeit zu verteilen, so gebührte Vizekanzler Häuser die Schönste davon. Erst verpflichtete er das sozialistische Minderheitskabinett auf eine empfindliche Erhöhung der Transferzahlungen (Erhöhung der Witwenpensionen auf 60 Prozent, Erhöhung des Pensionsanpassungs-faktors) im kommenden Budget und zwar auf Kosten der Investitionen der öffentlichen Hand. Dann aber verlangte sein zweites Ich, ÖGB-Vizepräsident Häuser, eine massive Lohnrunde dazu.

Die österreichische Wirtschaft befindet sich in einer Spätphase der Konjunktur, die hauptsächlich von einem wachsenden privaten Konsum stimuliert wird, während die Investitionsgüterindustrie vorläufig noch die Tendenz abnehmender Zuwachsraten zeigt, doch spätestens zu Beginn des kommenden Jahres stagnieren wird. Genau dann aber wird ein Staatshaushalt ökonomisch wirksam, der, wie er sich jetzt abzeichnet, nicht die notwendigen zusätzlichen Direktimpulse auf die Investitionsgüterindustrie ausstrahlen kann. Von der gewichtigen Erhöhung der Transferzahlungen auf der Ausgabenseite des nächsten Staatshaushaltes werden im günstigsten Fall anregende Wirkungen auf die Investitionstätigkeit in der Konsumgüterindustrie ausgehen. Im günstigsten Fall deshalb, weil eher zu erwarten ist, daß in der Phase der Konjumkturabschwächung das Mehreinkommen der Transferzahlungsempfänger auf die hohe Kante wandert. Ein solches Verhalten ist jedenfalls empirisch belegt. Fiskalpolitik, wie sie Vizekanzler Häuser seinem jungen Finanzminister Androsch vorschreibt, ignoriert gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge auf eine geradezu bestürzende Art und wäre — bezogen auf die Beeinflussung der Gesamtnachfrage durch das Budget — „fiscal perver-sity“ in Reinkultur. Ist das schon schlimm genug, so will Vizekanzler Häuser es selbst dabei nicht belassen, drängt er doch auf eine massive Erhöhung der Löhne zu Beginn des nächste Jahres. So soll die Konsumgüterwirtschaft belebt werden. Darf man vom Budget 1971 höchstwahrscheinlich keine Belebung der Investitionsgüterindustrie erwarten, die am ehesten geeignet ist, die ökonomische Aktivität in der Phase einer Konjunkturabschwä-chung zu verstärken, so soll — nach Häusers Gedankengang — die Kostensituation der Wirtschaft infolge steigender Löhne bedeutend verschlechtert werden. Wenn es einen geraden Weg von der Phase der Konjunkturabschwächung in die Phase der Depression idealtypisch gibt — Häuser hat ihn vorgezeichnet. Sein Rezept stammt übrigens aus der Gewerkschaftszeit der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts. Damals sah man auch in höheren Löhnen ein Heilmittel für die stagnierende Konjunktur und übersah dabei, daß Löhne ein wesentlicher Kostenbestandteil sind, so daß Lohnerhöhungen in Phasen schwacher bis stagnierender ökonomischer Aktivität zu Arbeiterentlassungen führen können.

Vizekanzler Häuser ergänzt sein Forderungsbündel ökonomisch dringlicher Maßnahmen durch eine psychologische Preispolitik, die sich der Androhung von Sanktionen gegen Preissteigerungen bedient. Eine solche Politik der zurückgestauten Inflation muß, konsequent betrieben, dann in eine allgemeine Bewirtschaftung münden, wenn nicht gleichzeitig die Nachfrage gedämpft wird. Das wiederum will Häuser nicht, wenn er im gleichen Atemzug auch eine Stärkung der Massenkauf-kraft zur Belebung der Konsumgüterwirtschaft begehrt. Denn es muß in einer Periode der zurückgestauten Inflation eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage entstehen, wenn einmal die Nachfrage weiter steigt, und das anderemal die Möglichkeit ausgeschaltet wird, durch Preissteigerungen das Angebot zu erhöhen. Es steigen in dieser Situation, die Häuser — sicherlich unbeabsichtigt — heraufbeschwören will, die Lieferfristen, weil die Güter nicht mehr jederzeit verfügbar sind. Im Einzelhandel verschwinden allmählich die Waren aus den Schaufenstern und Läden. Sie werden für die Stammkundschaft reserviert. Persönliche Beziehungen erhalten für den Kauf größere Bedeutung als Geld. Tauschgeschäfte werden organisiert. Schließlich betrachtet der Staat diese Verteilung des Angebots als ungerecht und führt zunächst für die wichtigsten Güter die Rationierung ein. Da die zurückgestaute Inflation einen Verkäufermarkt schafft, auf dem die Anbieter sich nicht mehr um ihren Absatz zu bemühen brauchen, erlahmt der Wettbewerb und der Zwang zur Leistungssteigerung. Der Preis signalisiert längst keine Änderung der Bedürfnisse mehr. Er hat eine seiner wichtigsten Funktionen verloren.

Es kann nicht überraschen, daß der gewiß bloß platonische Liebhaber einer freien Marktwirtschaft, Handelsminister Staribacher, auf Vizekanzler Häusers Idee von den Sanktionen gegen Preissteigerungen gleich am nächsten Tage in einem „Kurier“-Interview heftig replizierte: „Ich könnte mir im Gegenteil vorstellen, daß man die Preisregelung etwas lockert und dafür die Preisaufsicht auf freiwilliger Basis

— in der Paritätischen Kommission

— stärkt.“ Diese „für einen sozialistischen Minister recht verblüffende Vorstellung“, so der „Kurier“, ist so verblüffend gar nicht. Denn, sollte Häusers Idee der Preisregelung Gedankengut der Minderheitsregierung werden, dann kann Staribacher sein Versprechen eines forcierten Wettbewerbs begraben, ehe dieser Wettbewerb auch nur ins Planungsstadium getreten ist. Ist doch der Verkäufermarkt Häusers der Tod jedes Wettbewerbs und jedes Leistungsdenkens in der Wirtschaft.

Das Minderheitskabinett Kreisky ist nicht zu beneiden; weder um die Versprechen, die einige Mitglieder der Bundesregierung im Wahlkampf verbindlich abgegeben haben, noch um die Forderungen, mit denen es von einigen Interessensverbänden, die hinter diesem Kabinett stehen, bedrängt wird; weder um die spezifischen Probleme einer Minderheitsregierung noch um einige Männer, die in eben dieser Minderheitsregierung wirken. Eine vorsichtige Prognose über seine Zukunft allein auf Grund der angekündigten wirtschaftspolitischen Maßnahmen erstellt, darf die Befürchtung nicht ausschließen, daß diese Regierung, erfüllt sie, was einige ihrer Mitglieder in den letzten Tagen versprochen haben, entweder sich oder eine geordnete wirtschaftliche Entwicklung Österreichs in Frage stellt. Doch entscheiden in einer Demokratie letzten Endes die Wähler.

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