"Hohes Risiko eines Domino-Effektes“

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Wie kann man die Abwärtsspirale des Schuldenstaats Griechenland bremsen? Markus Marterbauer vom Wifo fordert einen neuen EU-Finanzausgleich. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Markus Marterbauer ist einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler. Er ist seit 1994 Mitarbeiter des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo. Im September erscheint sein neues Buch "Zahlen bitte! - Die Kosten der Krise tragen wir alle“.

DIE FURCHE: Unbesehen des Gerangels zwischen der europäischen Politik und den Rating-Agenturen über die Beteiligung der Banken und privaten Investoren an der Griechenland-Hilfe: Wie lange können die Rettungsschirme noch funktionieren?

Markus Marterbauer: Die Rettungsschirme haben sich zumindest bisher als sehr wirkungsvolles Instrument zur Stabilisierung erwiesen. Ohne sie wären wir schon längst im Chaos. Insgesamt ist das Ganze aber zu kurzfristig ausgerichtet. Die europäischen Politiker sind offenbar vollkommen überrascht, dass die Sparprogramme in den Staaten zu schweren Rezessionen führen.

DIE FURCHE: Die einfache Logik sagt: Steigende Steuern und sinkende Löhne bedeuten weniger Konsum, heißt weniger Wachstum, heißt weniger Arbeitsplätze, heißt weniger Steuern heißt sinkende Staatseinnahmen, heißt höheres Defizit. War die Politik nicht naiv, das nicht wahrzunehmen?

Marterbauer: Ja. Aber bis vor einem Jahr herrschte die Ideologie, dass die Sparmaßnahmen zu keinen negativen Konjunktureffekten führen müssen, sondern im Gegenteil über das Vertrauen der Märkte wieder zu Wachstum. Deshalb waren die Maßnahmen auch so kurzfristig ausgerichtet in der Annahme, dass alles in weniger als zwei Jahren wieder funktionieren würde. Es war natürlich auch unvermeidlich Sparpakete zu schnüren, aber man hätte die längeren Fristen im Auge behalten müssen. Man hätte danach trachten müssen, die Umstrukturierungen langfristig zu gestalten, das Geld längerfristig zu geben.

DIE FURCHE: Die nun vorgestellten Modelle mit Bankenbeteiligung erscheinen bei näherer Betrachtung wie ein Schuldenerlass mit verbundenen Augen. Man verzichtet auf kurzfristige Forderung in der Hoffnung, dass die Situation sich langfristig bessert. Glauben Sie, dass diese Hoffnung aufgeht?

Marterbauer: Möglicherweise ist es langfristig unvermeidlich, einen Haircut zu machen, und zwar aus Gründen der Wirtschaftsstruktur. Griechenland hat keine wettbewerbsfähige Industrie und hat auch im Tourismus extrem verloren in den vergangenen Jahren. Es ist also nicht auszuschließen, dass sie die diese Einsparungen gar nicht bringen können.Ob ein Staat seine Schulden bedienen kann oder nicht, ist ja primär von der Wirtschaftsleistung abhängig und nicht von der Höhe der Staatsschuld im Ausgangszeitpunkt. Dennoch sollte man, wenn ein Schuldenerlass oder Ähnliches notwendig ist, das erst in ein paar Jahren machen, wenn sich die Lage rund um Griechenland wieder etwas stabilisiert hat. Sonst wäre die Ansteckungsgefahr zu groß. Das Risiko von sehr negativen Folgen im Sinne eines Domino-Effektes ist sehr hoch.

DIE FURCHE: Sie sehen Portugal und Griechenland als die historischen Verlierer der EU-Erweiterung. Warum?

Marterbauer: Sie haben vor der Erweiterung mit sehr niedrigen Löhnen und Lohnkosten in einigen Industriesegmenten noch gut konkurrieren können. Etwa in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Mit der Osterweiterung sind aber Länder dazugekommen, die auch niedrige Lohnkosten hatten, aber weitaus bessere industrielle Basis. Tschechien oder die Slowakei haben einen Industrieanteil an der gesamten Wertschöpfung von 25 Prozent, während diese Basis in Griechenland oder Portugal nur zehn Prozent beträgt. Als auch die niedrigen Lohnkosten als letztes Argument für Wettbewerbsfähigkeit wegfielen, haben sie einfach enorm verloren.

DIE FURCHE: Aber immerhin haben die europäischen Exportnationen, vor allem Deutschland lange von Griechenland und den südlichen Mitgliedsstaaten profitiert.

Marterbauer: Sicher sind deren Leistungsbilanz-Defizite eine Ursache unserer hohen Exportüberschüsse.

DIE FURCHE: Wenn man das stark vereinfacht, könnte man auch sagen: Was uns vorher zugute kam, fällt uns jetzt auf den Kopf.

Marterbauer: Gewissermaßen ist das auch ein Finanzausgleich - aber kein sehr gut organisierter.

DIE FURCHE: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die Umstrukturierung des griechischen Staates funktioniert? Die sozialen Verwerfungen im Land sind ja nicht mehr zu übersehen.

Marterbauer: Man könnte sagen, Griechenland ist derzeit in einem Zustand wie Österreich nach dem Krieg. Bei uns hat man sich zusammengerauft und ging den Weg über große Koalitionen, Einheitsgewerkschaften, zentralisierte Lohnverhandlungen, um eine gemeinsame Wirtschaftspolitik zu machen. Griechenland bräuchte auf jeden Fall einen großen Wandel in den Institutionen. Derzeit sehen wir nicht funktionierende Institu tionen, mit zwei Parteien, die einander in Feindschaft gegenüberstehen. Man braucht Wettbewerbsfähigkeit im Sinne preislicher Wettbewerbsfähigkeit, die Löhne müssen einerseits zurückbleiben im Vergleich zu anderen Ländern.

DIE FURCHE: Was könnten die anderen EU-Länder beitragen, außer dem Milliardenschirm?

Marterbauer: Langfristig wird die EU nicht darum herumkommen, irgendeine Form des Finanzausgleichs zu entwickeln. Denn die Alternative ist, dass es zu einer Abwanderung der jungen gebildeten Arbeitnehmer kommt, was wieder zu einem enormen Wettbewerbsnachteil dieser Länder führt.

DIE FURCHE: Griechenland spürt den Brain-Drain derzeit besonders stark. 70 Prozent der jungen Arbeitnehmer wollen auswandern.

Marterbauer: Das ist einerseits verständlich, aber für das Land natürlich eine Katastrophe, weil die Generation, die das Land wieder aufbauen sollte, weg ist.

DIE FURCHE: Wie kann man das den EU-Köpfen besser erklären.

Marterbauer: Ich fühle mich in diesem Zusammenhang immer erinnert an die Reparationsverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg. Die Briten waren damals der Meinung, man müsse den Deutschen die Industrie nehmen und möglichst hart gegen sie vorgehen, damit sie als Militärmacht nie wieder aufkommen. John Maynard Keynes ist damals von der Delegation zurückgetreten, weil er meinte, dass es das Wichtigste sei, die Länder aufzubauen, weil man dann auch die eigenen Exportmärkte stärkt und stabilisiert. Ein bisschen in so einer Situation befinden wir uns heute. Man muss sehen, dass die Wirtschaften eng zusammenhängen. Wenn man also die Länder in Rezessionen treibt, wird man früher oder später selbst davon betroffen sein.

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