"Ich hab' heut' Linzer Augen für dich"

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Dieter Smolle ist Bäcker. Und viel mehr als das: Seit zehn Jahren verwirklicht er in der Einmann-Backstube "Kornradl" seine Philosophie von sinnvoller Arbeit - und von gutem Brot und Gebäck, das den Namen "Lebensmittel" tatsächlich verdient.

Es ist kurz vor 18 Uhr - und Dieter Smolle wird schön langsam müde. Seit halb drei Uhr morgens ist er heute auf den Beinen, hat sich die Bäckermütze aufgesetzt, hat die Osttiroler Getreidemühle mit Naturstein angeworfen, die großen Leinensäcke aufgeschnürt und so viel volles Korn gemahlen, wie er an diesem Tag vermutlich brauchen würde. Dann hat er ein Drittel seines selbst gemachten Sauerteiges abgezweigt und frisches Mehl und Wasser beigefügt, hat Brotlaibe, Semmeln, Mohnweckerl und Plundertascherl geformt und in den Ofen geschoben, hat Kuchen und Kärntner Reindlinge gebacken, sich das Mehl von der Schürze geklopft und pünktlich um sechs Uhr morgens die Eingangstüre aufgesperrt.

Wer immer sie seither geöffnet hat, wurde von einem überwältigenden Duft begrüßt. Es riecht nach Sauerteig, Butter - und irgendwie nach Kindheit. Jedenfalls ganz anders als in den omnipräsenten Filialen der Großbäckereien.

Alles in einem Raum

Seit gut zehn Jahren betreibt Dieter Smolle hier, in einem versteckten Durchgang zwischen Neustiftgasse und Lerchenfelder Straße im siebten Wiener Gemeindebezirk, seine Vollkornbäckerei "Kornradl". Die Backstube des Einmann-Betriebes ist zugleich Verkaufsraum; und der große Holztisch, auf dem der 53-jährige gebürtige Kärntner gerade mit dem Nudelwalker beschäftigt ist, dient zugleich der Präsentation des fertigen Gebäcks. Da liegen etwa schwere Dinkel-Mohnweckerl mit Bio-Butter; oder duftende Kekse mit drei Löchern drauf. "Hallo Jutta, du kommst gerade richtig, ich hab' heut' Linzer Augen für dich", sagt Smolle, als eine alte Stammkundin den Laden betritt. "Und der Lebkuchen ist auch gleich fertig."

Die meisten seiner Kundinnen und Kunden kommen regelmäßig vorbei - und mit nicht wenigen ist Dieter Smolle per Du. Wer bei ihm einkauft, teilt seine Leidenschaft für das Ursprüngliche: für Sauerteig anstelle fertiger Backmischungen, für Handarbeit anstelle industrieller Produktion. Und dafür, dass Brot etwas Kostbares ist: Um Überschuss zu minimieren, muss Smolle Tag für Tag genau kalkulieren. "Wer etwas mehr haben will, muss rechtzeitig bestellen - und es auch selber abholen kommen", sagt der Bäckermeister und sticht ein paar Lebkuchen-Sterne aus. Auch mit Preisdumping könne man bei ihm nicht rechnen: Zu aufwändig sei die Arbeit, zu wertvoll seien die Zutaten. Der Dinkel und Roggen - durchwegs Demeter-Getreide, also aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft nach den anthroposophischen Prinzipien Rudolf Steiners - komme direkt vom Bauern; ebenso die Bio-Butter. Ein Mohnweckerl aus diesen Ingredienzien kostet im "Kornradl" einen Euro. "Doch das ist dann wirklich ein Lebensmittel", sagt der Bäckermeister. "Der Dinkel ist körperliche und geistige Nahrung. Und das spürt man."

Die Sehnsucht nach dem Guten und Gesunden steht auch am Anfang von Dieter Smolles später Bäckerkarriere. 1957 in St. Veit an der Glan geboren, absolviert er anfangs eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann und beginnt in einer Lebensmittelkette zu arbeiten. Bis zum Bezirksleiter arbeitet er sich empor - und stellt sich immer mehr die Sinnfrage. "Ich habe bei meiner Arbeit nichts gespürt, gerochen oder gesehen - nur Zahlen", erinnert er sich. Nach einem familiären Schicksalsschlag beschließt er, auszusteigen und eine Landwirtschaftslehre nach Rudolf Steiner zu absolvieren. Hobbymäßig macht er Backversuche und entdeckt sein Talent: Er beginnt als Bäckergehilfe in Kärnten zu arbeiten, wird mit 30 Jahren Geselle und mit 32 Jahren Meister.

Von der Ringstraße in den Hinterhof

1990 eröffnet Smolle seine erste eigene Holzofen-Bäckerei - und nimmt nebenbei mit einer "mobilen Backstube" an Festivitäten oder Kunsthandwerksmärkten teil. Mit klappbaren Tischen, zwei kleinen Öfen, Nudelwalker, Mühle und Bäckerwaage im Anhänger fährt er mit dem Auto quer durch Kärnten, schließlich auch nach Italien und 1997 erstmals nach Wien zum Weihnachtsmarkt vor der Karlskirche. "Als mir das Getreide ausgegangen ist und ich kurz nach Kärnten zurückfahren wollte, haben sie mir gesagt: Nein, du bleibst hier! Brot backen kannst du bei uns im Imperial", erzählt Dieter Smolle lächelnd. Drei Jahre arbeitet er im Hotel am Ring, bis er sich 2000 mit dem "Kornradl" seinen Lebenstraum erfüllt.

In dem versteckten Geschäft verbringt der mittlerweile geschiedene Vater dreier Töchter den Großteil seiner Lebenszeit. Von sechs Uhr morgens bis 19 Uhr abends hat er geöffnet - mit einer Mittagspause von zwölf bis 16 Uhr, in der er versucht, etwas Schlaf nachzuholen. Auch heute wird es vermutlich später werden. So etwas wie Freizeit kennt er ohnehin kaum. "Auch reich werde ich nicht dabei, aber ich habe einen schönen Arbeitsplatz und viele Menschen, die mich hier besuchen", sagt er und klopft sich das Mehl von der Schürze. "Ich lebe auch ein bisschen als Einsiedler, weil ich kein Auto, kein Handy und keinen Computer habe. Aber ich bin glücklich und zufrieden."

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