"Ihr Kapital ist der Spitzenkandidat!"

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Neben dem Leitartikel, in dem der Zeitungsredakteur die "Personalisierung" und "Amerikanisierung" der hiesigen Politik beklagt, prangt das Konterfei des Schreibers - weil auch die Medien auf Personalisierung setzen, weil damit in den Medien, so wie in der Politik, Vertrauen erzeugt werden soll. Auf diesen Widerspruch macht Politologe Fritz Plasser amüsiert im furche-Gespräch aufmerksam (S. 21 und 23) - und zeigt damit: der Anteil Mensch beim Politiker wird immer wichtiger (S. 22), nur damit kommt die Politik aus ihrer gegenwärtigen Krise (S. 24). Redaktion: Wolfgang Machreich Politikwissenschafter fritz plasser kann der Personalisierungsspirale in der Politik auch eine positive Seite abgewinnen: Individuen sind leichter zu verstehen als Parteien.

Die Furche: Herr Professor Plasser, welche Rolle spielt der Faktor Persönlichkeit in der Politik?

Fritz Plasser: Der Faktor Persönlichkeit wird immer relevanter: zum einen, weil die Massenmedien einen Personalisierungsdruck erzeugen; zum anderen, weil es zur wichtigsten politischen Führungsaufgabe geworden ist, den Nachrichtenzyklus mitzusteuern. Politische Führung ist heute nicht mehr nur nach innen gerichtet, sondern daneben hat sich die Darstellungspolitik als feste Größe etabliert, denn nur einzelne Personen finden Eingang in die Berichterstattung. So wie Unternehmen das Erscheinungsbild ihres Konzern mit einer Führungspersönlichkeit prägen, brauchen auch politische Parteien ihre ceos, ihre Köpfe.

Die Furche: Die Medien suchen diese Köpfe und die Politik sucht sie auch ...

Plasser: ... und die Wählerinnen und Wähler wollen auch Köpfe - alle drei Beteiligten: die Medien, die Strategen in den Parteizentralen und die Wähler drehen an der Personalisierungsspirale.

Die Furche: Das heißt, auch bei uns werden aus Parteibindungen immer mehr Kandidatenbindungen.

Plasser: Österreich und Deutschland sind Lehrbuchbeispiele von Parteiendemokratien, die jedoch heute nicht mehr nach den Spielregeln einer institutionellen Parteiendemokratie funktionieren, sondern nach denen einer personalisierten Mediendemokratie. In von jeher personenzentrierten politischen Systemen wie in den usa ist ein solches Konzept auch stimmig ...

Die Furche: ... und bei uns - kann man sagen: Das politische Spielbrett ist dasselbe geblieben, aber wir spielen mit anderen Zügen?

Plasser: Absolut, die Spielanlage hat sich nicht verändert, aber die Definition der Regeln. Zu institutionalisierten Politikregeln kommen individualisierte Medienspielregeln dazu. Das kann in einigen Bereichen sehr wohl zu Problemen führen, weil die Personalisierung der Politik ihre Kosten fordert.

Die Furche: Welchen Preis müssen wir für diese Personalisierung zahlen? Plasser: Keinen zu geringen, denn die Bedeutung der Institutionen und damit kollektiver Verantwortlichkeit wird zunehmend unterminiert. Personalisierung der Parteipolitik heißt auch, dass Entscheidungsautonomie individualisiert wird: Es entscheidet zunehmend der, der zuerst in den Medien auftritt, weil er Fakten setzt, die von den konventionellen Entscheidungsgremien nicht oder nur sehr schwer zu verändern sind. In lead-Funktion zu stehen, heißt auch, die Lage bestimmen zu können. Die Ansagen der Spitzenpersönlichkeiten geben die entscheidende Richtung vor - ein Ordnungsruf anderer Parteigremien findet ja fast nie statt.

Die Furche: Warum nicht, sind die anderen zu feige, zu träge?

Plasser: Auch wenn die Ansage suboptimal war, wissen die anderen hohen Parteifunktionäre, dass ihr Wettbewerbskapital der Spitzenkandidat ist - und wenn sie den beschädigen, dann beschädigen sie sich selber.

Die Furche: Haben die Frauen und Herren Spitzenpolitiker, wenn sie einmal ganz oben sind, also mehr oder weniger Narrenfreiheit.

Plasser: Nicht ganz: Die kollektive Entscheidungskompetenz wird zwar weniger, die Frontmen, die Frontwomen besitzen deswegen aber noch nicht die völlige Entscheidungs-und Positionierungsautonomie. Die wissen auch, dass sie einen gewissen Rückhalt brauchen. Sie können aber ihre Thematisierungshoheit nutzen und damit neue Parameter im Nachrichtenzyklus vorgeben.

Die Furche: Und wenn kein Interesse an einem bestimmten Nachrichtenzyklus besteht, kann man ihn - Stichwort "Schweigekanzler" - unkommentiert lassen.

Plasser: "How to kill an issue", einen Nachrichtenzyklus auslaufen zu lassen, indem man sich nicht daran beteiligt und damit ein unerwünschtes Thema wieder von der Tagesordnung zu bringen, beherrschen der Bundeskanzler und die övp wie niemand vor ihnen. Und nach 36 Stunden verschwindet ein Thema für gewöhnlich wieder aus den Nachrichten, wenn es keinen Kommentar der övp dazu gibt.

Die Furche: Zusammengefasst bringt die Personalisierung also mehr Nach-wie Vorteile in unser politisches System?

Plasser: Nein, so pauschal gilt das nicht, ich sehe auch durchaus einen Nutzen in der Personalisierungstendenz: Wählerinnen und Wähler, die nicht ständig die innenpolitische Berichterstattung verfolgen, aber sehr wohl bereit sind, ihr Wahlrecht auszuüben, versetzt dieses individualisierte Politikverständnis in die Lage, sich ein Urteil zu bilden. Von der Entschlussfähigkeit, Kompetenz und Integrität der Spitzenkandidaten werden Rückschlüsse auf sehr komplexe, oft nicht einsehbare institutionelle Zusammenhänge gezogen.

Die Furche: Letztlich entscheiden dann die Sympathiewerte der Spitzenkandidaten.

Plasser: Es ist nicht nur Sympathie, es ist mehr, es ist die Summe der Erfahrungen, die man mit den politischen Akteuren macht. Wir alle besitzen diese Form der Alltagsheuristik, die uns hilft, bestimmte Personen und deren Aussagen in ein für uns sinnvolles System einzuordnen. Bei Parteiprogrammen ist diese Alltagsheuristik überfordert, bei Individuen und ihrer medialen Selbstpräsentation erlaubt sie uns aber sinnvolle Rückschlüsse auf die Politik.

Die Furche: Ist das heute anders, wichtiger als früher, oder haben die Wählerinnen und Wähler in Zeiten fest zementierter Parteiendemokratie eine andere Alltagsheuristik gehabt?

Plasser: Vor 20, 30 Jahren war das weniger notwendig, weil es damals viel mehr als heute generalisierte Parteibindungen und Parteiloyalitäten gegeben hat. Damals waren die Wählerinnen und Wähler großteils in politische Vorfeldorganisationen eingebunden und haben sich als Teil einer Partei gesehen. Heute fehlt 50 Prozent der österreichischen Wählerschaft jegliche Parteibindung - es gibt noch kognitive Präferenzen, aber keine emotionale, belastbare Parteiloyalität mehr. Bei jedem zweiten gibt es keine stabilen, institutionalisierten politischen Bezugspunkte mehr, 50 Prozent müssen sich ihre Urteilsbindung selbst erarbeiten ...

Die Furche: ... und das machen sie nicht, indem sie Parteiprogramme lesen ...

Plasser: ... oder Presseaussendungen oder über die politische Aussagekraft von Plakaten meditieren - diese Urteilsbildung ermöglicht letztlich die massenmediale Berichterstattung und die Umorientierung der Wähler auf Personen.

Die Furche: Gerade auf die Massenmedien, die ja ansonsten keinen so guten Ruf genießen, wird in dieser Frage vertraut?

Plasser: Den Massenmedien wird immer noch vergleichsweise am meisten Vertrauen geschenkt; das bedeutet aber auch, dass "meine" Zeitung, "mein" Fernseh-oder Radiosender ein noch ungleich höheres Vertrauen genießt. Diesen Medien vertrauen wir sehr und auch ihren Produzenten.

Die Furche: Also spielt auch in den Medien der Faktor Persönlichkeit eine wichtige Rolle.

Plasser: Absolut, man kennt die Redakteure, man kennt die Moderatoren, die Medien gewähren Einblicke in Redaktionen - mit dieser Personalisierung in den Medien wird so wie in der Politik um Vertrauen geworben. Denn alle diese Faktoren führen immer zu der Bewertung: vertrauenswürdig oder nicht? Und das ist letztlich das entscheidende Kriterium in der Kanzlerfrage: Verdient er noch einmal Vertrauen oder nimmer mehr? Und damit wir diese Frage beantworten können, orientieren wir uns an dem genannten Persönlichkeits-Raster, weil unsere Alltagsheuristik bei den einzelnen Parteien immer weniger greift.

Die Furche: Heißt das nicht auch, dass letztlich Äußerlichkeiten über die Qualifikation eines Politikers, einer Politikerin entscheiden?

Plasser: Da unterschätzen Sie das staatsbürgerliche Konsumentenbewusstsein. Hier wird genau differenziert: An erster Stelle steht die angebotene Problemlösungskompetenz - welche Antworten bieten die Kandidaten fürdie Probleme, die mein Leben beeinträchtigen. Hinzu kommen Kommunikationserwartungen, die die Selbstdarstellung betreffen. Auch die vermittelt uns wichtige Einsichten. Und erst an dritter Stelle steht die optische Erscheinung. Die ist nicht irrelevant, aber zuerst schauen die Polit-Konsumenten auf die Inhalte und das Kommunikationsvermögen.

Das Gespräch führte

Wolfgang Machreich.

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