Illegal und unsichtbar

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Bis zu 100.000 Menschen leben und arbeiten ohne Papiere in Österreich. Das Problem wirft Fragen auf, auf die die Politik keine Antworten findet.

Am wichtigsten war für Aurica Grecu, dass sie niemandem auffiel. Wenn sie in die Arbeit fuhr, in Privatwohnungen, wo sie die Bäder putzte und die Betten überzog, hatte sie immer einen Fahrschein dabei. Bei Rot ging sie nie über die Straße. Und wenn sie unterwegs war, telefonierte sie nicht in ihrer Muttersprache. "Das Leben als Illegale ist sehr schwer“, sagt die Moldawierin: "Ich hatte immer Angst.“

Sieben Jahre lebte sie ohne Papiere in Österreich. Gekommen ist sie mit Schleppern, die sie für Tausende Euro nach Österreich schmuggelten. Sie teilte sich eine Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung mit drei anderen Frauen, putzte und passte auf Kinder auf, während sie mit ihren eigenen jahrelang nur telefonieren konnte. Jetzt hat Aurica Grecu ein Visum, darf legal in Österreich leben und arbeiten. Jetzt erzählt sie ihre Geschichte. Und damit die, von Tausenden anderen Frauen.

Journalistische Dokumente

Der Bedarf nach privaten Altenpflegern, Babysittern und Reinigungskräften ist in den EU-Staaten enorm. Doch obwohl wahrscheinlich jeder jemanden kennt, der eine Putzfrau oder Altenbetreuerin im Haushalt beschäftigt, sind diese Frauen vor allem eines: öffentlich unsichtbar.

Zwei journalistische Dokumente ändern dies nun: Im Frühling erschien Sibylle Hamanns Report "Saubere Dienste“ im Buchform, in dem sie das rechtliche und gesellschaftliche System hinter den "Dienstleisterinnen“ analysiert. Und Ed Moschitz’ preisgekrönter Film "Mama Illegal“ ist zurzeit im Kino zu sehen (siehe FURCHE 39/12). Darin zeigt er eindrücklich, wie das Leben in der Illegalität Menschen zermürbt und Familien zerreißt. Aurica Grecu ist eine seiner Protagonistinnen.

Wie viele Menschen undokumentiert in Österreich leben, weiß naturgemäß niemand genau. Das International Center for Migration Policy Development (ICMPD)in Wien schätze die Zahl im Jahr 2008 zwischen 18.500 und 54.000 Illegale. Heute dürften es ähnlich viele sein. Andere Schätzungen - eher Plausibilitätsüberlegungen - rechnen mit bis zu 100.000 Menschen. Mehr als die Hälfte aller Arbeitsmigranten in Österreich ist laut Human Development Report weiblich. "Besonders unter jenen, die nicht um Asyl ansuchen, sondern mit Besuchsvisa oder über die grüne Grenze einreisen, gibt es einen bedeutenden Frauenanteil“, weiß Albert Kraler vom ICMPD. Viele von ihnen arbeiten dann in privaten Haushalten.

Nicht auf der politischen Agenda

Gesetze zu brechen ist für die meisten kein Ziel, auch Aurica Grecu hatte das nicht vor. Irgendwann wurde es aber zur Notwendigkeit. "Für Menschen, die Tätigkeiten ausüben, die als niedrig qualifiziert angesehen sind, gibt es de facto keinen legalen Weg der Zuwanderung“, sagt Albert Kraler. Eine Rot-Weiß-Rot-Karte zu bekommen, ist für Menschen wie Aurica Grecu so gut wie ausgeschlossen.

Das drängt sie in die Illegalität und führte zu einem Leben in permanenter Unsicherheit: Einen Meldezettel haben undokumentierte Migranten genauso wenig wie ein Bankkonto. Bei Schmerzen können sie nicht zum Arzt gehen. Und wenn ihnen Unrecht angetan wird, werden sie das kaum der Polizei melden.

In anderen Ländern gibt es alle paar Jahre eine Generalamnestie für Menschen wie Aurica. In Österreich wurde das zuletzt 1990 vollzogen "Die Behörden machten damals schlechte Erfahrungen“, sagt Kraler: "Die Zuwanderung ging weiter, neue irreguläre Migranten kamen nach.“ Im Jahr 2007 wurden durch die Pflege-Amnestie Dienstgeber von illegalen Pflegern geschützt. Die Frage, ob Ähnliches auch für Putzfrauen und Babysitterinnen sinnvoll wäre, wurde bisher noch nicht gestellt.

"Man wird irreguläre Migration nie ganz verhindern können“, sagt Kraler, "aber man kann sich um einen pragmatischen Zugang bemühen.“ Das hieße: Möglichst viele dieser Arbeitsverhältnisse formalisieren und schauen, ob man legale Migrationsmöglichkeiten schaffen kann. Eine Idee wäre, die Berufsbeschreibungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte auf Haushaltstätigkeiten auszuweiten. Auf der politischen Agenda steht das allerdings nicht.

Beim FURCHE-Rundruf unter den vier großen Parlamentsparteien (siehe unten) waren die Parteien sich sogar uneins, ob die Integrations- oder die Sicherheitssprecher für diese Thematik zuständig sind.

EPU als Haushaltsreinigerin

Vielleicht hängt die Scheu bei diesem Thema auch mit der Dimension der Folge-Fragen zusammen, die sich stellen, wenn Frauen wie Aurica Grecu legal in Österreich arbeiten könnten. Einige Antworten darauf liefert Silvia Blaser.

Die Grazerin führte von letzten August bis vergangenen Montag ein Ein-Personen-Unternehmen in der Branche "Haushaltsreinigung“. In zehn Wohnungen putzte sie regelmäßig, elf Euro bekam sie dafür pro Stunde. Nach Abzug der Sozialversicherung und des Wirtschaftskammer-Beitrags blieben ihr am Monatsende knapp über 400 Euro. "Als ich das ausgerechnet habe, hat mich fast der Schlag getroffen“, sagt Blaser, die seit Montag arbeitslos gemeldet ist. Ihre Arbeitgeber schätzten es zwar, dass sie angemeldet war. Mehr als 11 Euro pro Stunde traute sie sich trotzdem nicht zu verlangen: "Das hätte keiner gezahlt.“

Silvia Blaser hat "Mama Illegal“ im Kino gesehen. Sie kennt die Geschichte von Aurica Grecu. Als Konkurrentin sieht sie Frauen wie sie nicht: "Diese Menschen sind ja noch ärmer dran als ich.“

Mama Illegal: Filmvorführung und Podiumsdiskussion "Was wissen wir über Illegale in Österreich“. Di., 23. 10., 18:00 Uhr, Burgkino Wien

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