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Digital In Arbeit

Im alternativen Mainstream

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Der Fernsehzuschauer hatte in den letzten Monaten viele Gelegenheiten, sich an hilflose Politiker zu gewöhnen, die unbekümmert erkennen lassen, daß sie keine Ahnung haben, wieviel Arbeitslosigkeit noch auf uns zukommt, wie man jungen Menschen Ausbildungsplätze, schon Ausgebildeten Jobs verschaffen könnte, und die nicht so wirken, als wären sie darob besonders betroffen.

Dafür machen sich immer mehr Unternehmer Gedanken. Vor allem mittelständische Unternehmer, die daran interessiert sind, daß das, was sie aufgebaut haben, nicht nur die nächste Wahl, sondern auch sie selbst überlebt.

So kam es in Deutschland zu verschiedenen Arbeitskreisen und Initiativen, in denen Wirtschaftstreibende an ökologischen Strategien und umsetzbaren Programmen mitarbeiten. Ernst Ulrich von Weizsäcker, der Leiter des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, kanalisiert solche Bestrebungen. Er schrieb auch das Vorwort zum neuen Buch „Zukunftsstandort Deutschland - Das Programm der umweltbewußten Unternehmer”. Die Autoren sind Jürgen Hopfmann, Lehrbeauftragter für Umweltphilosophie, Ökosoziale Marktwirtschaft und Umweltökonomie in Berlin, und Georg Winter, der 1985 den Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewußtes Management (B.A.U.M.) gründete, dem mittlerweile 450 Unternehmen angehören. Er initiierte auch das International Network for Environmental Management (INEM), dem ökologisch orientierte Verbände von Unternehmen in aller Welt angehören.

Das Buch repräsentiert den Bewußtseinsstand aufgeschlossener Unternehmer, vor allem in Deutschland, und bündelt deren Vorschläge für eine ökosoziale Marktwirtschaft. Vieles, was sie vorschlagen, liegt total quer zum Mainstream und provoziert sofort die Frage: Aber wie soll man das politisch durchsetzen? Was wieder einmal erkennen läßt, wie eingefahren die Politik ist. Und wie gering die Bereitschaft der Politiker, ihre Geleise zu verlassen. Der Ideenreichtum, der im Buch ausgebreitet wird, ist beachtlich. Es beweist, was möglich sein könnte, wenn die Politik in der Lage wäre, neue Ideen aufzugreifen.

Das heißt nicht, daß alles, was in diesem Bauchladen der Ideen und Konzepte augebreitet liegt, gleichermaßen brauchbar ist. Vieles wäre sofort umsetzbar, manches kann man vergessen, anderes gehört nocH verbessert.

Zum auch anderswo sofort Umsetzbaren gehör* das ausführlich dargestellte Beispiel der dänischen Energiepolitik. Der Autor dieser Besprechung staunte kürzlich in Dänemark über die Zahl der stromerzeugenden Windräder, die man dort allenthalben sieht, nachdem er einige Wochen vorher den größten Windpark Europas mit ganzen Hundertschaften von Windrädern nahe Gibraltar bewundert hatte. Windenergie kann nicht die Energieprobleme der Industriegesellschaften lösen, vor allem dann nicht, wenn deren Verantwortliche voll auf die Wachstumsparole abfahren. Aber die dreiein halb Prozent des Gesamtstrombedarfs, die Windenergie bereits jetzt im EU-Land Däne mark liefert, und die zehn Pro zent, die für das Jahr 2005 erwartet werden, fallen in der Kohlendioxidbilanz doch sehr ins Gewicht. Außerdem konnte sich das kleine Land einen Markt als führender Anbieter von Windanlagen aufbauen - eine verlo- ] rene Chance für das angebliche Hightechland Osterreich

Die Autoren kritisieren die zu niedrigen deutschen Einspeisegebühren für Windenergie-Anbieter — in Osterreich wurde soeben der

Einspeisetarif herabge- und damit der Windenergie wirtschaftlich der Todesstoß versetzt. Offensichtlich will man sie nicht wirklich haben. Was all das Gerede über unsere umweltbewußte Energiepolitik als verlogen erscheinen läßt. Immerhin hat Osterreich bereits eine Million Quadratmeter Sonnenkollektoren - ein europäischer Spitzenwert.

Nicht durchdacht, oder allzugut im Sinne der Unternehmer durchdacht, erscheint der Vorschlag, die direkten Lohn- und Einkommenssteuern durch indirekte, ökologisch orientierte Verbrauchssteuern zu ersetzen. Dabei würden die Ärmsten am meisten draufzahlen, weil bei ihnen fast das ganze Einkommen für den lebenswichtigen Konsum draufgeht, während die Beichen einen erheblichen Teil ihres Einkommens sparen. Der Satz „Das Einkommen zu besteuern ist wirtschaftlich schädlich” ist also sehr anfechtbar.

Ein wenig unrealistisch mutet auch der schon in Weizsäckers Buch „Faktor vier” enthaltene Vorschlag an, die Lebens- und Nutzungsdauer von Wirtschaftsgütern durch Leasing zu verlängern, weil dann Druck auf die Hersteller entstünde, langlebigere Produkte zu erzeugen. Wenn wahr ist, daß dies eine starke Steigerung der Gewinne zur Folge hätte, dürfte wohl leider auch wahr sein, daß diese von den Konsumenten bezahlt würden. Man kann ihnen aber schwerlich verbieten, Güter zu kaufen und nicht zu leasen, wenn sie dabei besser fahren. Es hat schon gute Gründe, daß das private Autoleasing nur ein schmales Marktsegment er-j obern konnte. isS Besonderen Wert legen die Auto-ren, zu Becht, auf die Energiebe-iä Steuerung. Hier hat sich allerdings bereits eine Art alternativer Mainstream herausgebildet. Die Folge ist wieder einmal ein festgefahrenes Denken. Zu hinterfragen wäre der Vorschlag einer aufkommensneutralen Energiebesteuerung, die der Senkung der Lohnnebenkosten dienen soll, ohne daß Mechanismen vorgeschlagen werden, welche die widmungsgemäße Verwendung sicherstellen könnten. Daß ein klassischer Zielkonflikt droht, wenn die Mittel zur Senkung der Lohnnebenkosten durch Verteuerung der Energie hereingebracht werden, bleibt unerwähnt: Die erzielte Steigerung der' Energieeffizienz und das dadurch eintretende Sinken des Energieverbrauches würde eine Verringerung der Einnahmen bewirken, die zur Entlastung der Unternehmen von den Lohnnebenkosten benötigt werden. Rezessionsbedingte Rückgänge des Energieverbrauches würden diesen Effekt ausgerechnet dann verstärken, wenn die Befreiung von den Lohnnebenkosten besonders wichtig ist. Daher müßte die Energieabgabe erhöht werden, was bedeuten würde, daß der Erfolg der Unternehmen beim Streben nach höherer Energieeffizienz bestraft wird, oder der Staat geriete in die Einnahmenklemme.

Aber nicht nur bei den Unternehmern erscheint heute das betriebswirtschaftliche Denken weiter entwickelt als das volkswirtschaftliche. Eine ganze Beihe aktueller Probleme ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß man betriebswirtschaftliche Lösungsansätze auf die Volkswirtschaft überträgt.

Ganz und gar recht haben die Autoren, wenn sie registrieren, daß die energiepolitischen Signale derzeit fast durchwegs in die falsche Bichtung weisen: „Die politische Fehlentwicklung hat einen Grund. Es sind die zahllosen Verquickungen zwischen der Staatsmacht und den Wirtschaftsinteressen veralteter industrieller Strukturen. Wenn diese Kruste nicht durch eine politische Beform aufgebrochen wird, so besteht die Gefahr, daß sie später durch eine soziale Eruption gesprengt wird - mit unabsehbaren Folgen.”

So weit, so richtig. Bloß: Das Aufbrechen verkrusteter Strukturen halten sich auch die neroliberalen Macher zugute. Auch dort, wo Arbeitsplätze vernichtet werden, wurden, hört man, „verkrustete Strukturen aufgebrochen ”. Vieles wird von Hopfmann und Winter „angedacht”, nicht alles durchdacht. Eine ökologische Reform ist wichtig, doch allein kann sie den Arbeitsmarkt nicht retten. Da gibt es noch ein paar Denksperren, die sie leider nicht anrühren.

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