Im Bett mit Gott und Alice Schwarzer

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Auch wenn es der deklarierten Religionskritikerin Alice Schwarzer nicht gefallen wird: Für junge Frauen um die 30 hat sie jene Rolle übernommen, die noch in ihrer eigenen Generation für viele der liebe Gott innehatte. In ihrem neuen Buch "Schoßgebete“ beschreibt die 33-jährige "Skandalautorin“ Charlotte Roche, wie sie sich beim feministisch unkorrekten Sex mit ihrem Mann von Alice Schwarzer beobachtet fühle. Generationen liberaler Theologinnen und Theologen haben sich bemüht, den himmlischen Voyeur unter der Bettdecke als Schreckgespenst normativer Theologie zu entlarven - und dann sitzt dort Alice Schwarzer.

Die streitbare Feministin, die derzeit mit ihrer kürzlich erschienenen Autobiografie landauf und Feuilleton ab gefeiert wird, ist mittlerweile zur postmodernen Ikone geworden - mit allen Begleiterscheinungen, die so ein Status in der säkularisierten Welt mit sich bringt. Das Schicksal der Übermutter, an der sich jüngere Generationen, aber auch all jene Gleichaltrigen, die einen anderen Lebensweg gewählt haben, reiben, von der sie sich in Wort und Tat distanzieren und doch nicht loskommen, teilt Schwarzer, zumal in deutschsprachigen Landen, mit dem Übervater der institutionalisierten Religion, dem Papst.

Schwarzer als normative Instanz

Die medialen Reaktionen auf Schwarzers Buch und jene auf die jüngste Papstreise haben nicht nur zeitliche Koinzidenz. Alice Schwarzer ist eine Institution geworden, an der kaum eine reflektierende Frau vorbeikommt, ebenso wenig wie Katholiken am Papst vorbeikommen. Schwarzer ist längst zur normativen Instanz geworden, die zu höchst sensiblen Bereichen des menschlichen Lebens Stellung bezieht: Abtreibung, Geschlechterrollen, gesellschaftliche und häusliche Gewalt und Ungerechtigkeit, Sexualverhalten und Pornografie - Alice Schwarzer steht nicht an zu sagen und zu schreiben, was hier richtig und falsch, was zu tun und zu lassen ist. Es ist wohl diese Zumutung einer moralischen Aussage, ja einer Wertung, die sie zum Reibebaum so vieler Menschen werden lässt. Und anders als beim Papst, dessen Appelle an eine Lebensführung, die gut und böse unterscheidet, man schnell als "geistliches Wort“ abtun kann, genießt die langjährige Emma-Herausgeberin nicht die Rückzugsmöglichkeit der unverbindlich spirituellen Deutung.

Es lohnt sich schon allein aus zeithistorischen Gründen, einen Blick in die Autobiografie Schwarzers zu werfen: War es in den 1970er-Jahren noch Unmoral, ja Anstiftung zu weiblichem Ungehorsam oder gar zur Gesetzesübertretung, die ihre Gegner ihr vorwarfen, so ist es nunmehr, im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends, die Anschuldigung des engstirnigen Dogmatismus und der Spaßverderberin, die ihr aus der Generation von Roche entgegendringt.

Gerade ihre auch in den jüngsten Interviews offen geäußerte Skepsis gegenüber jeder Form von Religion macht deutlich: Alice Schwarzer ist eine klassische Aufklärerin, fest davon überzeugt, im intellektuellen Diskurs und durch staatliche Regulation den Menschen einem besseren Leben näherbringen zu können. Nicht zu Unrecht blickt Schwarzer stolz zurück auf das, was sie (gemeinsam mit anderen Feministinnen) erreicht hat: Frauen stehen nicht mehr unter der rechtlichen und finanziellen Kuratel ihres Mannes, weibliche Bildung ist heute eine Selbstverständlichkeit, die Autonomie von Frauen über ihren Körper weitgehend anerkannt. Und dennoch, das Paradies will sich nicht einstellen in den Köpfen und Körpern der Frauen. Die große Erzählung von der romantischen Liebe findet begeisterte Zuhörerinnen und just Charlotte Roche, die Inhaberin jener Biografie, die Schwarzer jeder Frau wünschen würde - gut verdienende, rotzfreche VIVA-Moderatorin, erfolgreiche Autorin - sucht Erfüllung in der Mutterrolle und einem submissiv-pornografischen Sexualverhalten.

Womöglich haben Alice Schwarzer und der Papst ja das gleiche Problem: Sie sind - beide auf sehr unterschiedliche Weise - Kinder der Moderne, sozialisiert in einer Zeit, als zum Teil erbittert um alte und neue Werte, um Wahr und Falsch gestritten wurde, und finden sich nun in einer Welt wieder, in der alles wahr sein kann und auch das Gegenteil davon. In dieser Welt wollen junge Frauen sowohl das, was der Papst sagt (hingebungsvolle Mutterschaft), als auch das, was Alice Schwarzer ihnen wünscht (selbstständige Karriere), gleichzeitig möchten sie sich aber weder von der Übermama noch vom Überpapa etwas sagen lassen, sondern es ihnen so richtig zeigen. Vielleicht tut sich Alice Schwarzer sogar noch ein bisschen schwerer als der alte Mann in Rom, schließlich ist ihr Menschenbild ein ungebrochen optimistisches, das davon ausgeht, dass frau den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unvernunft will, während uns die christliche Theologie dezent daran erinnert, dass es leider auch eine Neigung zum Bösen, die Sünde der Trägheit und die menschliche Freiheit, von beidem Gebrauch zu machen, gibt. Will heißen: Der Papst kalkuliert die Übertretung seiner Normen als Teil der conditio humana ein, Alice Schwarzer sucht noch nach einer letztgültigen Erklärung, warum junge Frauen allen Warnungen zum Trotz Germany’s Next Top Model werden wollen.

Faszinierend unzeitgemäß

Abgesehen davon, dass die Medien in den letzten Wochen zwei große Themen weniger gehabt hätten: Gerade ihre scheinbare Unzeitgemäßheit macht den Papst und Alice Schwarzer interessant und fordert zur Auseinandersetzung heraus. Nicht zuletzt ist es die Auseinandersetzung mit der eigenen Abhängigkeit von ideellen Übervätern und -müttern, aber auch mit der heimlichen Bewunderung, die uns deren störrische Standpunkttreue abnötigt. Diese beiden zusammen gelesen ergeben genug Fixpunkte, dass junge Frauen (und Männer) dazwischen ihren Weg durchfinden können, wobei es schon passieren kann, der einen ausweichend dem anderen allzu nahe zu kommen.

Wir Frauen haben Alice Schwarzer vielleicht nicht richtig verstanden, wenn wir uns einbilden, dass sie uns beim Sex über die Schulter schaut, und wir ihr dann auch noch Bericht erstatten, ihren Ratschlägen zuwidergehandelt zu haben. Katholikinnen wissen mittlerweile, dass der liebe Gott Menschen will, die von ihrer Freiheit Gebrauch machen, keine Untertanen. Darin ähnelt ihm die Atheistin Alice Schwarzer dann doch ein bisschen.

Lebenslauf

Von Alice Schwarzer, Kiepenheuer & Witsch 2011

461 Seiten, gebunden, e 23,70

Privat

In ihrer Autobiografie "Lebenslauf“ gewährt Alice Schwarzer Einblicke in ihre schillernde Vita. Von der Schulzeit in Wuppertal über ihre große Liebe Bruno bis zum folgenreichsten Projekt ihres Lebens: die Gründung der Zeitschrift "Emma“.

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