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Im Wettbewerb der Regionen

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Nach Österreichs Beitritt zur EU muß Wien sich dem internationalen Wettbewerb der Regionen stellen und sich stärker spezialisieren.

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Nach Österreichs Beitritt zur EU muß Wien sich dem internationalen Wettbewerb der Regionen stellen und sich stärker spezialisieren.

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Seit den fünziger Jahren wächst Wiens Wirtschaft langsamer als jene der westlichen* Bundesländer. Nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs” und dem Beitritt zur EU wurden große Erwartungen gebegt. Nicht mehr durch eine tote Grenze beengt würde, so hoffte man, die Wiener Wirtschaft aufblühen.

Peter Mayhofer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) dämpft die Vorfreude: „Seit der Öffnung der Grenzen wächst die Wiener Wirtschaft langsamer als die umliegende Ostregion.” Mayrhofer macht dafür historisch gewachsene Schwächen der Wiener Industrie dafür verantwortlich:

■ Wiens Industrie war durch die russische Besatzung gehemmt und wurde bei der Vergabe von ERP-Krediten (European Recovery Program) benachteiligt.

■ Die Wiener Wirtschaft konzentrierte sich zu stark auf den vor Importen geschützten Binnenmarkt. Wiens Betriebe exportieren nur 34 Prozent Waren in das Ausland, während die gesamte Wirtschaft Österreichs aber 43 Prozent exportiert. Wiener Industrieunternehmen beschäftigten lediglich zwei Prozent Ihrer Mitarbeiter im Ausland, österreichische Unternehmen insgesamt aber viermal so viele.

■ Junge Produkte machen nur einen unterdurchschnittlichen Anteil an der Produktion aus: 64 Prozent aller Produkte sind der Stagnations- und Schrumpfungsphase zuzuordnen. Obwohl in Wien Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen konzentriert sind, werden nur wenige neue Produkte entwickelt, mit denen steigende Umsätze erwirtschaftet werden können. Dazu Mayrhofer: „Der Technologietransfer gelingt nicht.” Wiens Betriebe sind da eigenbrötlerisch: Sie geben nur fünf Prozent ihrer Forschungs- und Entwicklungsgelder als Forschungsaufträge außer Haus.

Logische Konsequenz: Wien hat seit 1970 rund 40 Prozent seiner Industriebeschäftigten verloren. „Das ist nicht unbedingt etwas Negatives”, gebietet Mayrhofer großer Trauer um die schrumpfende Industrie Einhalt, „denn wenn ein Produkt älter wird, spielen die klassischen Faktoren wie Löhne und Bodenkosten eine stärkere Rolle.” Standardisierte Massenproduktionen werden sowieso immer öfter nach Osteuropa transferiert, wo Löhne, Energiekosten und Bodenkosten viel geringer sind. Aber: „Das Problem ist, daß nichts Neues nachkommt. Die Gründungsrate ist geringer als im Westen Österreichs.”

Neue Probleme, aber auch neue Chancen, bereitet der europäische Binnenmarkt. Für Großbetriebe wird es lukrativer, statt an einem Standort die gesamte Produktpaletten herzustellen die Produktion zu dezentralisieren und am einzelnen Standort nur noch das herzustellen, was dort am billigsten gemacht werden kann. Hochwertige produktionsnahe Dienstleistungen wie EDV, Telekommunikation, Produktdesign, Marktforschung und Werbung werden ausgelagert.

Der österreichische Anbieter wird zum Spezialisten. Einerseits geht Wertschöpfung für den österreichischen Binnenmarkt verloren, andererseits werden die ausländischen Märkte hinzugewonnen.

Die sektorale Spezialisierung der Städte ist angesagt. London, Kopenhagen, Brüssel, Amsterdam und Frankfurt sind Zentren der Finanz-und Wirtschaftsdienste, Mailand, Turin, Stuttgart und München sind Städte mit flexibel zusammenarbeitenden Industriebetrieben. Bloß, wofür steht Wien? Mayrhofer warnt: „Wenn Wien für nichts Zentrum ist, warum soll dann ein ausländischer Betrieb kommen?”

Sein Rezept: Wien solle sich als „Gateway” für internationale Betriebe in den Osten profilieren. Mayrhofer schlägt die Spezialisierung auf fünf Standorten vor:

■ Ein internationales Tourismuszentrum um die „Kultur-Bessource” der Innenstadt.

■ Ein Transaktionszentrum für Mitteleuropa entlang einer City-Erweiterungsachse nach Norden.

■ Einen Wissenschaftspark als spezialisierten Innovationsknoten der Industrie am nordwestlichen Stadtrand.

■ Technologieparks als Diffussions-knoten für die Industrie Mitteleuropas in der Nähe am südöstlichen und nordöstlichen Stadtrand.

Ingo Schmoranz, Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung der Wiener Wirtschaftskammer, stellt erfreut fest, daß die Stadt Wien die Sorgen der Wirtschaft nun ernster nehme und daß eine gute Gesprächsbasis herrsche.

Positiv sei auch, daß das Verhältnis zu Niederösterreich entspannter sei. Die Wirtschaftskammern von Wien, Niederösterreich und Burgenland gehen mit gutem Beispiel voran und stimmen nun ihr Bildungsprogramme ab und versuchen durch regionale Spezialisierung den gestiegenen Anforderungen nachzukommen.

Einzelkämpfer haben es im großen Binnenmarkt schwer.

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