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Im Winkel des Wohlstandes

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Wer keine Kinder aufzieht, also die dafür erforderlichen Aufwendungen nicht zu machen braucht, schiebt damit — gewollt oder ungewollt — eine Last auf jene ab, die sich dieser Aufgabe unterziehen. Zweck des Familienlastenausgleichs ist es, die für die Kinder im Interesse der Gesamtgesellschaft erbrachten finanziellen Leistungen gleichmäßig auf die Schultern aller zu verteilen.

Solange die Mittel des Familienlastenausgleichs nicht dazu ausreichen, dieses Vorhaben ganz zu verwirklichen, müssen diese vorhandenen Mittel unter den Familien mit V: verschiedener Kinderzahl wenigstens gerecht aufgeteilt werden. Soll für jedes Kind derselbe Betrag gewährt werden, oder sind Unterscheidungen je nach der Kinderanzahl geboten? Die Antwort kann nur lauten: Die vorhandenen (unzureichenden) Mittel sind unter den Familien so aufzuteilen, daß die bestehenbleibende Deklassierung für alle Familien gleich groß ist. Es dürfen weder die Kinderarmen noch die Kinderreichen bevorzugt oder benachteiligt werden. Jede Familie hat bis zu einem voll wirksamen Ausgleich der Familienlasten dasselbe Maß an finanziellen Opfern zu tragen. Die Zahlungen müssen demnach so abgestuft werden, daß die zu Lasten des Berufseinkommens des Familienerhalters verbleibenden Kinderkosten in jeder Familie dasselbe „Defizit“ ergeben. Nur dann ist die Aufteilung der vorhandenen Mittel unter den Familien gerecht.

Was „kostet“ das Kind?

Leider gibt es in Österreich immer noch keine exakt ermittelten Kinderkosten. Man kann aber aus der Erfahrung unschwer das ungefähre Ausmaß der monatlichen Mindestaufwendungen für Kinder errechnen. Sie hängen vom Lebensalter der Kinder, von Art und Dauer ihrer beruflichen Ausbildithg und in gewissem Maß auch von verschiedenen Lebensumständen ab. Auf dem Land etwa werden Kinder (bei gleichen Bedürfnissen) durchschnittlich immer etwas geringere Ausgaben verursachen als in der Stadt.

Der wichtigste Faktor bei der Berechnung der Mindestkosten von Kindern ist natürlich das Lebensalter. Ein Kind in den ersten Lebensjahren erfordert fühlbar geringere Aufwendungen als etwa ein Schulkind von acht Jahren; dieses wiederum verursacht erheblich weniger Kosten als ein Jugendlicher im Pubertäts- und Adoleszenzalter. Nimmt man zur Ermöglichung eines Rechenbeispiels an, daß die monatlichen Mindestkosten für ein Kind bei bescheidener Lebensführung in den ersten Lebensjahren 400 Schilling, in den ersten vier Jahren der Volksschule 600 Schilling und in der Pubertäts- beziehungsweise Adoleszenzzeit 800 Schilling betragen, schließt man daraus, daß die auf die ganze Zeit der elterlichen Unterhaltspflicht bezogenen durchschnittlichen monatlichen Mindestaufwendungen für ein Kind 600 Schilling betragen, so ergeben sich nachstehende, aus dem elterlichen Berufseinkommen zu dek- kende Differenzen zwischen den tatsächlichen Mindestaufwendungen für Kinder und den derzeit gewähr ten Familienlastenausgleichszahlungen (Kinderbeihilfe und Mutterbeihilfe, berechnet nach dem Stand vom 1. Oktober 1963):

Bei exakter Berechnung der Kinderkosten ergibt sich zwar vom zweiten Kind an , ein Ersparnisfaktor, da gewisse Anschaffungen, nipht bei jedem Kind, wiederholt werden müssen. Dieser Ersparnisfaktor —

wie auch die in Österreich leider immer noch geringfügige steuerliche Kinderermäßigung — ist in obigen Zahlen nicht in Rechnung gestellt, weil diese Beträge durch die hier ebenfalls nicht berücksichtigten Wohnungsaufwendungen mindestens voll ausgeglichen werden.

„Durchschnittlich“ und „mindestens“

Man bedenke: Nach diesem

Rechenbeispiel ist das aus dem elterlichen Erwerbseinkommen zu deckende Defizit bei zwei Kindern monatlich bereits um 390 Schilling größer als bei einem Kind; bei drei Kindern macht diese Mehrausgabe gegenüber einem einzigen Kind einen monatlichen Betrag von 700 Schilling aus; bei vier Kindern ist das monatlich erwachsende Defizit um 1075 Schilling, bei fünf Kindern um 1415 Schilling größer als bei einem einzigen Kind usw. Berechnet man die angegebene Differenz zwischen dem Defizit bei drei Kindern und einem einzigen Kind zu Lasten des elterlichen Berufseinkommens auf eine Zeitspanne von 20 Jahren, so ergibt dies einen Betrag von 168.000 Schilling. Diese Differenz an Mehraufwendungen zu Lasten des elterlichen Berufseinkommens wächst bei einer Gegenüberstellung von fünf Kindern und einem einzigen im selben Zeitraum auf einen Betrag in der Höhe von rund 340.000 Schilling an. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Durchschnitts aufwendungen (die genannten Zahlen basieren auf den geschätzten Mindest aufwendungen bei sehr einfacher Lebensführung) erhöhen sich diese Defizitmehrbeträge nicht unbeträchtlich. Natürlich wird nicht jedes Kind bis zu seinem 20. Lebensjahr von den Eltern (allein) unterhalten. Anderseits gibt es heute schon viele Fälle, bei denen Jugendliche infolge sehr langer Berufsausbildung sogar bis zum 25. Lebensjahr und noch länger von den Eltern erhalten werden.

Ein entscheidende!- finänziellef Vorteil der meisten Ein-Kind- Familien besteht darin, daß sie über zwei Erwerbseinkommen verfüget). Mit dem zweiten Kind stellen jedoch sehr viele Ehefrauen die Erwerbstätigkeit (zumindest zahlreiche Jahre hindurch, meist aber auf Dauer) ein. Bei drei Kindern bleibt die Mutter nur mehr in Ausnahmefällen im Erwerbsleben. Der Familie erwachsen somit durch das zweite beziehungsweise dritte Kind nicht nur fühlbar größere, wegen des unzureichenden Familienlastenausgleichs aus dem Berufseinkommen zu tragende Aufwendungen, sondern das Familieneinkommen wird in sehr vielen Fällen aus derselben Ursache .zusätzlich durch den Wegfall des Erwerbseinkommens der Ehefrau stark vermin-, dert. Beide Faktoren zusammen bewirken einen rapiden Absturz in der Lebenshaltung der Familie;

Klare Folgerungen!

Die zahlenmäßig belegbare Feststellung der mit der Kinderzahl wachsenden Deklassierung der Familie verlangt klare Konsequenzen. Will man die künftigen Überschußgelder in den Familienfonds und etwa zusätzlich für diesen Fonds neu erschließbaren Mittel gerecht aufteilen, dann erfordert dies, zumindest auf Jahre hinaus, die Ausklamme- rung der mit Abstand am wenigsten ausgleichsbedürftigen Familien mit einem einzigen Kind von weiteren

Erhöhungen der Familienlastenausgleichszahlungen. Die außerordentlich große Zahl der ersten Kinder im Verhältnis zur Gesamtzahl der Kinder (in Österreich haben derzeit 52 Prozent aller Ehepaare mit Kindern nur ein einziges Kind) hat zur Folge, daß die sich in dem Familienfonds bildenden Reserven beziehungsweise-’ etwa neu für diesen Zweck erschließbaren Mittel viel wirkungsvollere Anhebungsbeträge für die Familien ab zwei Kindern ermöglichen würden als bei gleichzeitiger Einbeziehung der zahlenmäßig dominierenden ersten Kinder. Statt der nahezu wirkungslosen Lappalie einer Erhöhung der monatlichen Kinderbeihilfe um fünf bis zehn Schilling für alle Kinder, könnte dann die Kinderbeihilfe bei gegebenen Anlässen jeweils etwa für die zweiten Kinder um 20 Schiling, für die dritten um 30 Schilling, für die vierten um 40 Schilling, für die fünften und die weiteren Kinder um je 50 Schilling erhöht werden. Nur so kann dem stärkeren Unrecht spürbar entgegengewirkt werden.

Wer also das Schlagwort von der angeblichen Bevorzugung der Kinderreichen wiederholt, ist entweder der Sache unkundig oder er möchte machtpolitische, das heißt wahltaktische Gründe mit einem Mäntelchen fadenscheiniger Rechtfertigung bekleiden. Dasselbe gilt von der inhaltsgleichen . Terminologie von der „Belohnung der Kinderreichen“ und der „Bestrafung der Kinderarmen“, womit man familien- politische Beweggründe fälschlicherweise mit bevölkerungspolitischen Absichtep identifiziert. Für die Öen Unterschied bisher immer noch nicht erfassenden Gemüter sei noch einmal wiederholt: Die Forderung nach Erhöhung der Kinderbeihilfe bezweckt nicht, einen finanziellen Anreiz zur Zeugung mehrer Kinder zu geben (welch ein Verlustgeschäft wäre dies immer noch!), vielmehr fordern die Familienorganisationen den Ausbau des Familienlastenausgleichs, damit die aus ganz anderen Beweggründen elterlicher und geschwisterlicher Liebe sowie aus religiösen Motiven ins Leben gerufenen Kinder nicht zu arger wirtschaftlicher und sozialer Deklassierung der Familie führen.

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