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Initiative heute besonders gefragt

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Die Situation mit der wir gegenwärtig konfrontiert sind: Die sozialen -vor allem ökonomischen Spielregeln, denen wir uns gegenwärtig verschrieben haben gehen auf Welthandelsebene von dem Versprechen aus, daß das uneingeschränkte („freie") Spiel der Marktkräfte automatisch zu einem optimalen Wohlstand für alle Menschen führen wird. Die Hoffnung lautet: Je härter die Konkurrenz, desto erfolgreicher diese Strategie.

Daß unregulierte Märkte in der Regel von kurzfristigen Interessen und vom Recht des Stärkeren beherrscht werden, sowie daß Konkurrenz der Natur der Sache nach auch Verlierer hervorbringt, um die sich ein soziales Netz kümmern muß, wird auf internationaler Ebene beharrlich übersehen.

Der jüngste Weltentwicklungsbericht (1996) im Rahmen des Entwicklungsprogrammes der Vereinten Nationen (UNDP) zeigt die Folgen: In den letzten 15 Jahren sind 100 Länder ärmer geworden und die Einkommen von 1,6 Milliarden Menschen gesunken. Das Mißverhältnis zwischen den Reichsten und den Ärmsten am Weltwirtschaftsprodukt hat sich von 30:1 auf 61:1 mehr als verdoppelt.

Es ist daher an der Zeit, daß wir handeln. Wir müssen eine Vermenschlichung der Spielregeln einfordern und zeigen, daß es auch anders geht. Wo können wir ansetzen?

Dazu genügen einige Grundausrichtungen.

■ Grundlegende Verhaltensmuster müssen auf alle Menschen übertragbar sein, ohne daß wir die Ressourcen dieser Erde überfordern. Das bedeutet, daß wir in den Industriestaaten unseren Stil der Naturbewirtschaftung ändern sowie den Energie- und Materialverbrauch drastisch senken müssen.

■ Grundlegende Verhaltensmuster müssen beliebig lange fortsetzbar sein, ohne daß die Ressourcenausstattung der kommenden Generationen und damit deren Chancen abnehmen. Das heißt, wir dürfen den biologischen Systemen nicht mehr entnehmen, als sie nachschaffen können, und die endlichen anorganischen Rohstoffe wiederverwenden.

■ Die gerechte Verteilung von Arbeit, Einkommen und Bildung kann nicht dem Markt allein überlassen werden, Wettbewerb wird als Patentrezept für das Wirtschaften gehandelt. Er zerstört alle Kleinstrukturen. Kann man sie aber trotz Preisdruck erhalten? weil sonst das Recht der Stärkeren vorherrschen würde.

■ Wenn andere Staaten oder Staatenbünde sich nicht an diese sozialen und ökologischen Grundspielregeln halten, dann müssen Ausgleichsabgaben an den Grenzen für einen fairen Wettbewerb sorgen.

Für die Land- und Forstwirtschaft bedeutet das: Sie muß kleinräumig standortorientiert und vielfältig gestaltet und in Nahversorgungssysteme eingebunden werden. Nur so kann nachhaltig der höchste Flächenertrag erzielt und die höchste Lebensqualität gesichert werden. Um Mut zur Veränderung zu bekommen, brauchen wir Vorbilder. Daher seien einige angeführt. Sie beweisen, daß dann, wenn Zukunftsvision, Tatkraft, lokale Solidarität und Beharrlichkeit einander ergänzen, einiges auch unter widrigen Bedingungen verändert werden kann.

Das Dorf Kautzen im Waldviertel: Ein Bürgermeister und die von ihm entzündete Dorfgemeinschaft brachten es zuwege, die Wärmeversorgung auf erneuerbare Energie (Kleinfernwärmesystem auf Basis der Verbrennung von Holzhackschnitzeln kombiniert mit Solarkollektoren) umzustellen. Nun wird auf der Basis einer Kraft-Wärme-Kupplung auch die Eigenversorgung mit Strom in Angriff genommen. Das Geld für die früher „importierten" Energieträger bleibt daher in der Region.

Das Waldviertelmanagement: Das Waldviertel ist klimatisch (kalt und trocken) und geologisch (karge Böden) sowie durch seine langdauernde Lage am Eisernen Vorhang benachteiligt. Der Direktor der Landwirtschaftsschule Edelhof organisierte einen Aufbruch der europaweite Beachtung fand. Zum Untergang verurteilte Kleinsägewerke schlössen sich zu einem Exportring zusammen und überlebten. Kleinbauern begannen mit biologischem Landbau sowie mit dem Anbau von Heil- und Gewürzkräutern und vermarkteten gemeinsam. Bäuerliche Gästeringe entstanden, ein Reitwegenetz wurde geschaffen.

So konnte die schöne Landschaft auch für den Tourismus erschlossen werden. Kurhäuser in Großgerungs und Harbach sind Marksteine, wobei sich um letzteres ein ökologisch vorbildliches Nahversorgungssystem mit Nahrungsmitteln rankt.

Das Ökodorf Eschenau: Dieses Dorf mit nur 1.500 Einwohnern liegt in einer „Sackgasse" des Traisentales. Es nahm sein Schicksal selbst in die Hand: Ein Durchforstungsverband und eine Hackschnitzelheizung für die wichtigsten Gebäude wurden verwirklicht. Eine Telestube schult die Bevölkerung in der Computertechnik und offeriert moderne Dienste, die von der Herstellung von Etiketten und Werbematerial über Buchhal-tungs- und Konstruktionsprogramme bis zur Direktvermarktung und einer Börse für gebrauchte Musikinstrumente reichen. Das attraktive Milieu führte zur Ansiedlung der Dorfwerkstätte für das Mostviertel.

Geplant wird derzeit „Okoindu-striepark". Dort sollen vorhandene Rohstoffe industriell und handwerklich veredelt sowie die Kosten durch gemeinsame Infrastrukturnutzung konkurrenzfähig gemacht werden. Hinter all dem steht die Bereitschaft, aus sittlicher Verantwortung gegen den Strom zu schwimmen.

Die Wilhelmsburger Hoflieferanten: Im benachbarten Wilhelmsburg, einer Industriekleinstadt im Soge der

Landeshauptstadt St.Pölten, haben sich einige Bauern zusammengetan. Sie erkannten, daß sie ohne Initiative dem Untergang geweiht seien, weil ihre Betriebsgrößen bei den gesunkenen Agrarpreisen nicht mehr ausreichen, um die Familien zu erhalten. Sie rechnen damit, daß zukünftig energie-und materialsparende Nahversorgungssysteme eine Benaissance erleben und die Konsumenten Frische, Natürlichkeit und Kontrollierbarkeit der Nahrung schätzen. Ein Notstand kam ihnen zu Hilfe: Die Versorgung mit Schulmilch funktionierte nicht zufriedenstellend. Mit vielen Opfern, Lehrgeld und der tatkräftigen Unterstützung der Gemeinde bei der Investition errichteten sie im Hofe eines Kollegen eine Kleinmolkerei, die allen hygienischen Vorschriften entspricht.

Die Bauern gehen als Unternehmer in die eigene Kleinmolkerei arbeiten, wodurch sie die ökologische Steuerreform (Entlastung der menschlichen Arbeit von Steuern und Abgaben und dafür Besteuerung des Ressourcenverbrauches) vorwegnehmen. Schulmilch wird nun tagfertig in bester Qualität geliefert. Die Anlage wird auch zur Pasteurisierung und Abfüllung von eigenem Süßmost und Fruchtsäften eingesetzt.

Die Konsumenten können die Herstellung und die Kalkulation überprüfen, wodurch ein wechselseitiges Verstehen und Vertrauen entstehen konnte.

Stephanskirchen am Chiemsee: Diese Gemeinde erhielt den deutschen Umweltpreis 1994. Die Bürger und Gemeindeväter erkannten, daß ihre schöne Kulturlandschaft zugrunde geht, wenn sie nicht mehr die vielfältigen Versorgungsaufgaben erfüllt, die sie entstehen ließ. Daher förderte und schuf die Gemeinde Nahversorgungseinrichtungen, die von der Direktvermarktung der Bauern über die lokalen Bäcker und Fleischer bis zur Gründung einer Kleinmolkerei reichten und zeigten, daß es solidarisch auch anders geht.

Steinbach an der Steyr: Ein beherzter Bürger nahm die Geschicke seines dahinvegetierenden Ortes in die 1 land.'Er baute auf dem christlich-visionären geistigen Fundament der Spes-Gruppe in Schlierbach auf (furche 9/1996). Das Ererbte (z. B. die schöne alte Bausubstanz) wurde als Wert wiederentdeckt, die Nahversorgung mit Gütern und Dienstleistungen partnerschaftlich organisiert und Lebensqualität geschaffen, die auch die Neuansiedlung von Betrieben und Bürgern brachte. Wir wissen bereits genug, um handeln. Die Ausrede, daß alles so kompliziert sei, so daß man die Entscheidungen einigen Experten überlassen müsse, kann uns nicht mehr entschuldigen.

Der Autor ist

Honorarprofessor an der Universität für Hodenkultur in Wien.

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