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Investieren in neue Wirtschaftsstrukturen

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Einem Fallschirmspringer, der bemerkt, daß sich sein Schirm nicht öffnet, gleicht die Pensionsdiskussion. Der aber, statt den Reserveschirm zu aktivieren, die Augen schließt ...

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Einem Fallschirmspringer, der bemerkt, daß sich sein Schirm nicht öffnet, gleicht die Pensionsdiskussion. Der aber, statt den Reserveschirm zu aktivieren, die Augen schließt ...

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Die aktuelle Diskussion um die Pensionsreform gleicht einem Fallschirmspringer, der bemerkt, daß sich sein Fallschirm nicht öffnet. Statt den Reserveschirm zu aktivieren, schließt er die Augen und sorgt sich, welchen Fuß er beim Aufprall wohl verstauchen wird. Kaum ein Fallschirmspringer wird sich so realitätsfremd verhalten. Je höher in der politischen Hierarchie derzeit zur Pensionsreform eine Aussage gemacht wird, um so wahrscheinlicher ist diese vom Wirklichkeitsverlust jenes fatalen Fallschirmspringers befallen. Einige Orientixerungshilfen sollen deshalb zu mehr Aktualitätsbezug verhelfen. erstens: Erst ab der Jahrtausendwende verschlechtert sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Pensionsbeziehern und Beitragszahlern. Die aktuellen Probleme im Pensionssystem sind vor allem verursacht durch das sinkende Pensionseintrittsalter, den Anstieg der durchschnittlichen Pensionshöhe und die zunehmende Lebenserwartung. Die wirksamste Antwort auf diese akuten Schwierigkeiten im Pensionssystem sind deshalb evident: Die Bückführung des Pensionsantritts auf den vom Gesetzgeber vorgesehenen Zeitpunkt und Korrekturen bei der Pensionshöhe.

ZWEITENS: Mit gutem Grund werden viele Elemente im gegenwärtigen Pensionssystem als ungerecht empfunden. Nur auf die augenfälligen Unterschiede zwischen ASVG- und Beamtenpensionen zu schielen, ist jedoch zuwenig. Vor allem Frauen spüren schwere Benachteiligungen, da nicht erwerbsmäßige Tätigkeiten bei der Pensionsbemessung noch immer ungenügend berücksichtigt bleiben und in der Privatwirtschaft Frauenarbeit einkommensmäßig benachteiligt ist. Der Konsens für Reformschritte müßte aber schon bei der Verteilung der Erwerbseinkommen über den Zeitraum der Erwerbstätigkeit ansetzen: Die mit dem Alter ansteigenden Einkommenskurven sollten verflacht und für gleiche Tätigkeiten die Entlohnung der Frauen denen der Männer angeglichen werden. Dri'ITENS: Ein reformiertes Pensionssystem sollte zwischen Grundansprüchen und leistungsorientierten Elementen unterscheiden. Eine bescheidene Grundpension wäre eine konsequente Fortsetzung der aus vielen Gründen unterstützungswerten Idee des Grandeinkommens, das jedem Bürger ab Geburt eine Einkommensbasis sichert, die nach Korrekturen im Steuersystem weitgehend kostenneutral die bisherigen Transfers ersetzen würde. Vorbild für die Grundpension wäre die in Skandinavien eingeführte Volkspension mit rund 5.000 Schilling im Monat. Auf diese Grundrente könnte dann eine Ieistungspension aufsetzen, die auf zwei Entscheidungen des Empfängers beruht: Dem individuellen Beitrag zur Wirtschaftsleistung und den eigenen Vorstellungen über die Verteilung des Konsums über die erwartete Lebenszeit.

VIERTENS: In welchem institutionellen Rahmen ein solches neues Pensionssystem organisiert werden soll, ist keineswegs offensichtlich. Wohl wird die Grundpension weiter Aufgabe des Staates sein. Für die Leistungspension wäre eine Kombination zwischen dem jetzt dominierenden Umlagesystem, bei dem Erwerbstätige für Pensionisten aufkommen, und kapitalorientierten Systemen, bei denen der Erwerbstätige selbst für seine künftige Pension anspart, zu finden. Betriebs- und Privatpensionen werden dabei als neue Säulen für die Pensionsvorsorge entdeckt.

Vor überzöge- r..mmm nen Hoffnungen auf ein kapitalorientiertes Pensionssystem sei jedoch gewarnt: Das in den letzten Jahren beobachtete

Auseinanderklaffen von realer Wirtschaftsentwicklung und den um das Zehn- bis Vierzigfache höheren Vermögenssteigerungen auf den Finanzmärkten sollte signalisieren, daß die Wertaufbewahrung in Finanzvermögen sich als Illusion erweisen kann, wenn eine bestimmte Produktionsleistung damit eingetauscht werden soll.

FÜNFTENS: Ohne Kooperationsbereitschaft künftiger Generationen können Pensionsan-

Sprüche nicht realisiert werden. Diese Aussage mag überraschen, weil viele Sanierungsvorschläge zum Pensionssystem an die Sparbereitschaft des einzelnen appellieren, um sich eben dadurch die Pension selbst zu sichern. Zwei Voraussetzungen ermöglichen aber erst die Einlösung von angesparten Pensionsansprüchen: Das entsprechende Produktionsvolumen in Form von Gütern und Dienstleistungen muß überhaupt verfügbar sein und die Kaufkraft darf nicht durch die zusätzliche Nachfrage der Pensionsempfänger geschmälert werden.

Die Schlußfolgerungen für die nächsten Reformschritte sind deshalb ernüchternd. Auch wenn die Pensionssysteme sich künftig stärker auf die kapitalorientierten Säulen verlassen wollen, sind sie dennoch auf die Kooperationsbereitschaft der nachfolgenden Generationen im Sinne eines umfassenden Umlageprinzips angewiesen. In diesem Sinne wird es keinen Abschied vom Umlagesystem geben können und der Appell an die Solidarität zwischen den Generationen wird weiter notwendig sein. Die beste Strategie zur Sicherung der wirtschaftlichen Ansprüche im Pensionsalter hat aber noch kaum die öffentliche Diskussion erreicht. Statt dubiosen Finanzderivativen empfiehlt sich die Investition in solche Wirtschaftsstrukturen, die den gewünschten Wohlstand mit deutlich reduzierten Produktionsaufwendungen und Einkommensbedarf erreichen. Das bedeutet beispielsweise Wohnen in Häusern, die nur einen Bruchteil des Energieverbrauchs des Durchschnittsbestandes benötigen oder die Beduktion der Zwangsmobilität mit dem teuren eigenen Personenkraftwagen, weil andere Verkehrsoptionen fehlen. Anreize zum Übergang zu einem solchen

Wirtschaftssystem der Nachhaltigkeit sind ebenfalls eine Aufgabe für eine umfassende Pensionsreform. Diese Dimension der Pensionssicherung ist die wichtigste Langfriststrategie und würde - anknüpfend an das Verhalten des Fallschirmspringers - zwar nicht die Landung schmerzfrei machen, aber doch vor einem fatalen Absturz bewahren.

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