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Irrwege der Entwicklungshilfe

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Das „Entwicklungsjahrzehnt“, das die Vereinten Nationen im Jahre 1960 dekretierten, ist zu zwei Dritteln abgelaufen und hat allen, die mit Begeisterung an die Aufgabe der Entwicklungsförderung herantraten, mehr Enttäuschung als Befriedigung gebracht.

Die UNO hatte vorgesehen, daß alle Industrieländer wenigstens ein

Prozent ihres Nationalprodukts für Entwicklungshilfe verwenden und die Entwicklungsländer ihr Realeinkommen um etwa fünf Prozent jährlich steigern würden. Tatsächlich hat mit Ausnahme Frankreichs, dessen Haltung der „Dritten Welt“ gegenüber weitgehend machtpolitisch ausgerichtet ist, kein Land die Ein- Prozent-Grenze überschritten; die USA, Großbritannien und Japan haben sich ihr genähert. In den meisten Industriestaaten bewegt sich der Entwicklungsbeitrag um ein halbes Prozent. Die Produktion der Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas steigt in den meisten Fällen um zwei oder drei, ausnahmsweise um vier Prozent jährlich, und die Agrar- und Nahrungsmittelproduktion um zwei bis drei Prozent; diese Steigerung wird durch die Bevölkerungszunahme, die ebenfalls zwei bis drei Prozent beträgt, wettgemacht.

Vor allem aber ist festzustellen, daß keines der Länder der Dritten Welt den Wendepunkt des „take off“ erreicht hat, jenen Punkt, von dem ab ein Land aus eigener Kraft und mit dem erworbenen Schwung den Weg der modernen Entwicklung, der Industrialisierung, der raschen Hebung des Lebensstandards antre- ten kann. Hunger, Armut, Unwissen lasten nach wie vor auf einer stets wachsenden Bevölkerung.

Ein falsches Virbild: der Marshall-Plan

Immer häufiger hört man Stimmen, die feststellen, daß unsere gesamte Konzeption der Entwicklungshilfe offenbar verfehlt ist, ohne frei-

5 lieh hinzuzufügen, wie die Entwick- : lungshilfe tatsächlich betrieben wer- den sollte.

; Es scheint, daß die Dritte Welt : heute Opfer eines der größten und , erfolgreichsten Hilfspläne ist, den die ; Welt je gekannt hat — des Marshallplans.

5 Im Jahre 1947 unternahmen es die » Vereinigten Staaten, das durch den

Krieg und die Nachkriegswirren zugrundegerichtete Europa mit Hilfe eines großzügigen Plans, der den Namen des damaligen Außenministers der USA, des Generals Marshall, trug, wiederaufzurichten.

Der Plan gelang, sein Erfolg übertraf alle Erwartungen. Wenige Jahre nach seinem Anlaufen hatten die europäischen Nutznießer den Lebensstandard der Vorkriegszeit und den Produktionsstand des letzten Hochkonjunkturjahres vor dem Kriege, 1929, überschritten. Ihre Zahlungsbilanzen waren weitgehend ausgeglichen, der Wiederaufbau glücklich beendet, die Wachstumsrate der meisten europäischen Länder erreichte oder übertraf vier Prozent.

Das Geheimnis dieses Erfolges lag darin, daß der provisorische Niedergang Europas durch die vorangegangenen Zerstörungen verursacht war und nicht durch die Struktur der europäischen Wirtschaft. In den Entwicklungsländern selber wird gelegentlich die abwegige Theorie vertreten, daß das Problem der Dritten Welt in erster Linie ein Problem der Zahlungsbilanz wäre — wollten die reichen Länder die tropischen Agrarprodukte — Zucker, Kaffee, Kakao, Erdnüsse usw. — zu günstigeren Bedingungen ankaufen, so würde genug hartes Geld in die Dritte Welt fließen, um die dringendsten Industria- lisierungs-, Unterbau- und Schulprojekte zu finanzieren. Auf der Genfer Welthandelskonferenz neigten die Vertreter der Entwicklungsländer unter der Führung des Argentiniers Dr. Prebisch (jetzt Generalsekretär der UNCTAD) zu dieser Auffassung.

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