Islands Rettung aus der HÖLLENFAHRT

Werbung
Werbung
Werbung

In der Edda, der ältesten Sammlung nordischer Mythen, die vor mehr als tausend Jahren auf Island verschriftlicht wurde, geht es nicht gerade sonnig zu. Da gähnen die Abgründe, die Walküren reiten, es entgrünt sich die Natur, Mord und Brand glühen inmitten des göttlichen Treibens. Wenn es stimmt, dass Mythen beschreiben, was niemals war und doch immer ist (siehe "Klartext" Seite 9), dann kann das Eddalied auch auf das Island in seiner ökonomischen und monetären Gegenwart "gemünzt" werden. Denn auch im modernen Island scheint sich 2008 die Edda'sche "Hel", die Hölle, aufgetan zu haben. Und auch da grünt und sprießt es 2015 wieder, weil es so etwas wie eine Wiederauferstehung gab, die manchen ebenso unglaublich erscheint, wie die Wiederkehr des Edda-Sonnengottes Baldur aus dem Reich der Toten.

Tatsächlich war Island 2008 finanziell mausetot, wenn man in Betracht zieht, dass die Verschuldung von Bürgern und Banken damals 1000 Prozent des BIP betrug. Vor dieser Zeit der Katastrophe hatte es freilich ein unglaubliches Experiment des Reichtums gegeben, in dem die Edda die Isländer wohl wie folgt beschrieben hätte: "Sie warfen im Hofe heiter die Würfel und darbten goldener Dinge nicht."

Island war seit 1995 ein Paradies des Neoliberalismus gewesen. Es wies 15 Jahre in Folge Wachstumsraten über dem OECD-Schnitt auf. Das Volumen seines Aktienmarkts versiebenfachte sich in dieser Zeit, und ausländische Kredite und Kapital flossen zu Milliarden in die privatisierten Staatsbanken, die damit auf den Finanzmärkten spekulierten und Zinsen und Renditen in Rekordhöhe garantierten. Der Reichtum verteilte sich vor allem auf die Konten des obersten Einkommenszehntels der isländischen Gesellschaft: der GINI-Koeffizient, der die Ungleichheit der Einkommen misst, verdoppelte sich beinahe in den Jahren zwischen 1996 und 2008.

Die Ökonomen Stefan Olafsson und Arnaldur Kristjansson von der Universität Rejkiavik sprechen in einer Studie über diese Zeit vom "steigenden Glauben in sich selbst regulierende Märkte, Privatisierung, Steuerbegünstigung von Firmen und Investoren und eine Laissez-faire-Politik der Regierung in der Finanz-und Wirtschaftspolitik."

Wenn man das ganze Konstrukt allerdings auf seine tatsächliche Werthaltigkeit und seine Verankerung in der realen Wirtschaft geprüft hätte, wäre davon nicht viel Lebendiges übrig geblieben. Eher leblose Materie, wie die Edda meinen würde: "... und besaßen nicht Seele, und Sinn noch nicht, nicht Blut noch Bewegung, noch blühende Farbe."

Sich türmende Gefahren

Denn im Schatten des Booms begannen sich bereits mit Kreditschuld und Zins verbundene Gefahren aufzubauen, sagenhaften Monstern durchaus vergleichbar. Der kanadische Ökonom Charles Kindleberger sprach schon 2001 von einer "exzessiven Vermögensund Schuldenblase". Gemessen am BIP und den Schulden seiner Bürger war Island bereits in diesen Jahren des Booms die höchstverschuldete Nation der Welt. Nur das beständige hohe Wachstum ließ die Schulden vergessen. Daraus ließe sich übrigens ein tödliches Paradox neoliberaler Politik konstruieren: Das Wachstum entsteht durch Schulden, die durch weiteres Wachstum exponentiell erhöht -und durch ebendieses Wachstum als akzeptabel eingestuft werden. Das geht natürlich nur so lange gut, wie das Wachstum aufrecht bleibt. Danach schlägt das Pendel zurück und die Manie verwandelt sich in eine tiefe Depression: "Kreppa" nennen die Isländer diese Zeit, die US-Ökonom Paul Krugman so beschreibt: "Island produzierte die schlimmste Finanzkrise der Geschichte".

Die Währung fiel über Nacht um mehr als 20 Prozent, die Löhne fielen um ein Viertel und 20.000 Jobs gingen verloren -und das bei einer Bevölkerung von knapp mehr als 300.000 Menschen. 80 Prozent der Unternehmen standen vor dem Konkurs. Die Wirtschaft schrumpfte um 6,5 Prozent. Ein

nordischer Weltuntergang: "Ich sah die Walküren weither kommen Da wurde Mord in der Welt zuerst und die hohe Halle helle sie brannte, der Seligen Saal besudelt das Blut, der Sonne Schein dunkelte."

Tatsächlich verdunkelte der Schein der Sonne mitten in der Wirtschaftskrise durch den Ausbruch des Vulkans Eyafjallajökull 2010, was den Flugverkehr über Teilen Europas lahmlegte. In Rejkiavik marschierten die Bürger mit Kochtöpfen auf, um gegen die Regierung zu demonstrieren, die sich mit dem Gedanken trug, die Schulden der Banken bei europäischen Gläubigern, knapp 85 Milliarden Dollar, zu übernehmen. Nichts da, meinten die Isländer und würzten das ganze mit einem bitteren Vulkan-Witz: "Zuerst haben wir euer Geld verbrannt und jetzt schicken wir euch die Asche."

Verweigerung der Schuldenlast

Die Schulden wurden nicht übernommen -die Pleitebanken verstaatlicht und Badbanks verwalten seither die wertlosen Wertpapiere. Die Gläubiger schäumten und klagten Island wegen Vertragsbruch, vor allem England und die Niederlande, deren Banken Milliardensummen investiert und juristisch abgesichert geglaubt hatten. England ließ sogar isländisches Vermögen auf englischen Banken sperren. Doch Pleite ist Pleite, das wusste schon der Edda-Barde: "Da schwanden die Eide, Worte und Schwüre, alle Verträge jüngst trefflich erdacht."

Gerade dieser Vertrauensbruch gegenüber Investoren, gesteht heute sogar der Internationale Währungsfond ein, war ein guter Schritt. Es begann die Zeit der Wiederauferstehung. Die isländische Regierung verabschiedete mehrere offenbar sehr wirksame Gesetze. Die Entwertung der isländischen Krone wurde durch Kapitalverkehrskontrollen ergänzt. Der Transfer von Vermögen ins Ausland ist seither nur noch in Ausnahmefällen möglich. In der Boomzeit waren die Steuern stark reduziert worden (bei Spitzeneinkommen von 32 auf 16 Prozent). Diese Entwicklung wurde nun revidiert und die Progression bei der Einkommenssteuer verschärft.

Für Tausende Isländer hatte die Krise nicht nur Arbeitslosigkeit gebracht, sondern ehemals billige Fremdwährungskredite in unerschwingliche Höhen getrieben. Die Politik verordnete jetzt einen Schuldenschnitt bei Immobilienkrediten, dann wurden Fremdwährungskredite grundsätzlich für ungesetzlich erklärt.

Tage des Gerichts

Aber was passierte mit den tatsächlich Verantwortlichen? Die Isländer setzten keine Untersuchungsausschüsse ein oder Kommission nach Kommission. Ihr Gemüt scheint da ein wenig strenger zu sein -und düsterer: "Da gingen die Berater zu den Richterstühlen, hochheilige Götter hielten Rat, ob die Asen sollten Untreue strafen." Der ehemalige Premierminister, Geir Haarde wurde teilweise schuldig gesprochen, zu wenig über die Schieflage der Banken informiert zu haben, sieben Manager der größten Banken wurden wegen Betrug und Marktmanipulation zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Weitere Prozesse sind noch im Gang.

Was den Erfolg seiner Krisenprogramme betrifft, steht Island als einziges der Krisenländer heute wieder auf einem Wachstumskurs von über drei Prozent. Die Realwirtschaft treibt wieder die Wirtschaft -und hier vor allem Fischerei und Tourismus. Die Abwertung der Krone hat den Export stark unterstützt. Das Sozialsystem wurde so gestaffelt, dass vor allem untere Einkommensbezieher gefördert werden. Und auch wenn 15 Prozent der Haushalte noch heute überschuldet sind - die Arbeitslosigkeit ist wieder von zehn auf vier Prozent gesunken. Die Hilfskredite einiger nordischer Länder und des IWF sind heute beinahe abgezahlt.

Der Bankensektor ist vollkommen restrukturiert, das Budgetdefizit Islands beträgt heute nur noch 98 Prozent des BIP, seit 2014 bilanziert der Staat ausgeglichen. Finanzminister Steingrimur Sigfusson wurde vom IWF eingeladen, Hauptverantwortlicher des Währungsfonds für Griechenland zu werden. Er lehnte ab. Warum sollte man sich auch eine zweite Katastrophe aufhalsen, wenn man eine erfolgreich abgewendet hat und den Ruhm ernten kann, den sagenhaften: "Da werden unbesät die Äcker tragen, alles Böse bessert sich. Mit Gold bedeckt auf Grimils Höhen, da werden bewährte Leute wohnen und ohne Ende der Ehren genießen."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung