Jeans suchen Gewissen

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Geliebt von den Massen, gegeißelt von Umweltaktivisten: Was macht die Jeans so kontrovers und warum ist es so schwer, ein ethisch einwandfreies Exemplar zu kaufen?

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Geliebt von den Massen, gegeißelt von Umweltaktivisten: Was macht die Jeans so kontrovers und warum ist es so schwer, ein ethisch einwandfreies Exemplar zu kaufen?

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Der Sound fährt in die Glieder, perfekt schmiegt sich blauer Stoff an den durchtrainierten Körper des dunkelhaarigen Adonis. Mit einer blonden Schönheit auf dem Beifahrersitz fährt er in einem US-Musclecar der blutorangenen Nachmittagssonne entgegen. Der Name Wrangler erscheint in betont altmodischer Schrift. Die Botschaft, die der aktuelle Werbespot des amerikanischen Jeansherstellers transportieren soll, ist klar: Wer unsere Hosen trägt, ist jung, attraktiv, frei. Etwa 100 Euro kostet das Stück. Nur wenige erahnen indes das Bild, das sich jenseits dieser sorgsam inszenierten Fassade bei der Produktion bietet.

Bislang schweigt Wrangler zum ökosozialen Engagement des Unternehmens. Auf der internationalen Nachhaltigkeitsrangliste von rankabrand.org belegt das Label mit den hochpreisigen Hosen einen der unteren Plätze. Wrangler produziert unter anderem in Bangladesch, China, Indien und in Vietnam. "Der Preis, den eine Jeans kostet, steht in keinem direkten Zusammenhang mit der Situation der Arbeiter in den Herstellungsländern und sagt nichts aus", sagt Michaela Königshofer vom österreichischen Ableger der Clean Clothes Kampagne, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für die Verbesserung von Arbeitsrechten in der Bekleidungsindustrie einsetzt.

Die Rohstoffe für die Jeans und auch das Endprodukt kommen oft aus Staaten, in denen Menschenrechte ausgeklammert werden. Die Auftragnehmer missachten Arbeits- oder Umweltschutz, die Folge sind Kinderarbeit, sklavenähnliche Arbeit und Umweltverschmutzung. Je niedriger zudem der national festgelegte Mindestlohn, desto gefragter ist das Land bei ausländischen Investoren. Die - wie auch Wrangler - berufen sich wiederum darauf, sich für die Bezahlung des Mindestlohns in ihren Zulieferfirmen einzusetzen. Nur: Der ist teilweise so gering, dass er für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreicht.

Weltgrößte Textilfirma VF "beschämend"

"Viele österreichische Firmen argumentieren, dass sie in Europa produzieren, aber das heißt nicht zwingend, dass Menschenrechte und existenzsichernde Löhne eingehalten werden", so Königshofer. Eine Untersuchung zeigt, dass der rumänische gesetzliche Mindestlohn mit 133 Euro sogar niedriger ist als der in chinesischen Textilregionen (175 Euro)."Das sind um 50 Prozent weniger als das, was zur bloßen Existenzsicherung nötig wäre. So zu produzieren ist unlauterer Wettbewerb auf Kosten von Menschenleben", sagt sie. VF Corporation, das größte Textilunternehmen der Welt, zu dem Wrangler gehört, erkennt den Existenzlohn nicht als Teil der Unternehmensverantwortung an. Zwar zahlt Wrangler den örtlichen Mindestlohn, dennoch sei es "beschämend", heißt es von der Clean Clothes Kampagne, "dass sich ein Unternehmen dieser Größe nicht für dieses wichtige Thema einsetzt".

Die Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer ist gekennzeichnet von Gewinnmaximierung und Ausbeutung - die im schlimmsten Fall in Sklavenarbeit gipfelt. Besonders alarmierend ist nach Informationen der Menschrechtsorganisation "Anti-Slavery" die Situation in Usbekistan. Das Land ist mit 10 Prozent der weltweiten Baumwollexporte der sechstgrößte Produzent. Sklaverei in der Baumwollproduktion ist staatlich legitimiert und sogar organisiert. Eine Million Zwangsarbeiter soll es auf usbekischen Baumwollfeldern geben. Geerntet wird per Hand.

Laut eines Berichts des britischen Guardian wurden über 80 Prozent der Ernte im Jahr 2013 von China und Bangladesch zur Weiterverarbeitung aufgekauft - Staaten, in denen die größten Jeanshersteller weltweit produzieren. Die Reise zurückzuverfolgen, die eine Jeans von ihrer Produktion bis in den hiesigen Handel nimmt, kann der einfache Kunde nicht, die Herstellerangaben sind meist intransparent. Die Clean Clothes Kampagne appelliert an die Firmen, die gesamte Produktionskette zu überwachen. Daher sage auch der Hinweis "made in" für den Konsumenten selten viel aus. "Es ist nicht wichtig, wo produziert wird, sondern wie, und das erkennt man nicht am Etikett", betont Königshofer. Die Kampagne veröffentlicht regelmäßig Firmeneinschätzungen auf ihrer Homepage. "Wir prüfen: Wer sind die Besseren unter den Schlechten?"

Eines der Hauptproduktionsländer ist China. In Xintang, der "Welthauptstadt der Jeans", reiht sich eine Textilfabrik an die nächste. 260 Millionen Paar Jeans werden dort jährlich gefertigt: genäht, gefärbt, gebleicht, gewaschen, bedruckt, zerschlissen. Viele Unternehmen entsorgen Giftabfälle einfach in der Umwelt. Greenpeace stellte in einer Untersuchung der Umgebung und im Fluss Dong teils dramatisch erhöhte Schwermetall- und Schadstoffwerte fest. Eigentlich sei die Jeans ein sehr unökologisches Kleidungsstück, sagt Nunu Kaller, Konsumentensprecherin von Greenpeace Österreich. Warum ist gerade die Jeans so problematisch? Chemikalien, Bleichmittel und giftige Dämpfe belasten die Gesundheit der Arbeiter und werden im aufwendigen Färbeprozess oft ins Grundwasser gespült. Für ein Paar Jeans werden bis zu 11.000 Liter Wasser verbraucht. Sandstrahlen, mit denen der beliebte abgenutzte "Used-Look" erzeugt wird, führen zur Silikose, der "Staublunge" der Arbeiter - mit tödlichen Auswirkungen. In vielen Ländern ist diese Methode inzwischen verboten, angewendet wird sie oft immer noch.

Keine Öko-Jeans um 20 Euro

"Ökologie und faire Arbeitsbedingungen müssen Hand in Hand gehen, weil Umweltschutz die Arbeit beeinflusst", so Kaller. "Das Pendel schwingt in zwei Richtungen." Ein Minus an Chemikalieneinsatz bedeute eine Steigerung an Sicherheit für die Arbeiter. Nachhaltige Labels reduzieren den Wasserverbrauch und verzichten auf giftige Chemikalien und Sandstrahlen. Die korrekte Jeans existiert, sagt Kaller: "Öko-Jeans stehen den Konventionellen in nichts nach, aber es gibt sie eben nicht für zwanzig Euro."

Seit Oktober hallt ein Satz durch die deutsche Politik: "Es geht um einen Euro bei der Jeans." Er stammt aus dem Mund des derzeitigen Bundesentwicklungsministers Gerd Müller. Es könne nicht sein, dass von einer neuen Jeans nur Cent-Beträge bei den Näherinnen und Nähern ankämen, so der Politiker. Er will ein Textilbündnis knüpfen, ein Produkt-Siegel und strengere Richtlinien in den Kleidungsfabriken der Entwicklungsländer einführen. Forsch wandte er sich damit an die Textilbranche und forderte sie auf, endlich soziale und ökologische Mindeststandards einzuhalten.

Müllers Ruf war laut, das Echo leise. Viele Platzhirsche, die erst ihr Ja zum geplanten Bündnis verlauten ließen, darunter Adidas, Kik, H&M, Puma oder C&A, sind wieder abgesprungen. Die Vorschläge seien nicht realisierbar, heißt es von Unternehmerseite. Sie griffen zu kurz, klagen Konsumenten. Und was vom "Mehreuro" schließlich bei den Arbeitern ankäme, wisse sowieso niemand. Am Ende versackt er vielleicht noch in Werbebudgets.

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