Jeder Euro bewegt ein Kilogramm

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An die Stelle von Einzelmaßnahme des Umweltschutzes sollte ein umfassendes Konzept für ein die Substanz schonendes Wirtschaften treten.

Als vor etwa 15 Jahren hochrangige Vertreter der damals noch existierenden Sowjetunion mit westlichen Experten über die Herausforderungen einer Umweltpolitik bei einem Übergang zu einer Marktwirtschaft diskutierten, wurde schnell klar: zunächst wolle man das wirtschaftliche Niveau des Westens erreichen, dann erst könne man über substanzielle Ausgaben für den Umweltschutz nachdenken. Wie wir heute wissen, wird dieser Aufholprozess noch eine Zeit dauern.

Zwar ist es Europa gelungen, Maßnahmen in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung auch in den der EU beigetretenen Ländern zu verankern. Die wesentlichen Konkurrenten Europas im weltwirtschaftlichen System sind bis heute aber kaum bereit, auf diesen Weg einzuschwenken, der uns in den letzten 30 Jahren einerseits eine deutlich verbesserte Umweltsituation, andererseits aber auch neue Umweltprobleme ("Klimawandel") und vor allem erhebliche Kosten im Vergleich zu unseren Konkurrenten aufgebürdet hat.

Die Antwort Friedrich Schmidt-Bleeks, der damals mit den Reformpolitikern am Tisch saß, lautete: um nicht nur den reichen Westen in Richtung Nachhaltigkeit zu bringen, sondern (und darauf kommt es an!) den Globus als Ganzes, müsse die Umweltpolitik selbst neu orientiert werden. Anstatt wie bisher jede neue (und selbstverständlich alle alten) Anlage(n), mit teuren Abfall- und Emissionsbeseitigungsanlagen auszustatten, müssten von vornherein weniger Ressourcen verbraucht und damit - quasi automatisch - weniger Abfälle, Abwässer und Emissionen verursacht werden.

90 Prozent weniger Abfälle

Das Konzept der Dematerialisierung war geboren und damit das Ziel eines "Faktor 10", also der Verringerung des gesamten Ressourcenverbrauchs und damit auch aller Abfälle und Emissionen um 90 Prozent über einen Zeitraum der nächsten 50 Jahre. Obwohl dieses Ziel relativ schnell Eingang in den ersten (und bisher einzigen) nationalen Umweltplan Österreichs von 1994 gefunden hat, lassen sich 10 Jahre später kaum Erfolge in dieser Richtung nachweisen.

Immerhin hat die Österreichische Bundesregierung 2002 in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie mit der Forderung nach einem Aktionsplan zur Steigerung der Ökoeffizienz den eingeschlagenen Weg bekräftigt. Und auch in der EU tut sich etwas: "Clean, clever and competitive" lautet etwa der Titel einer entsprechenden Initiative der niederländischen Ratspräsidentschaft.

Heute bewegt im Durchschnitt jeder Euro, der der in Österreich über den Ladentisch geht, etwa ein Kilogramm Natur: direkt oder indirekt - irgendwo auf der Welt, wo Erzeugung, Transport und Vermarktung in vielfältiger Weise Ressourcen verschlungen hat. Ein Monatslohn entspricht also schon mehrere Tonnen. Es stellt sich also neben allen technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, Ressourcen zu sparen, die Frage: wieviel (Umwelt) braucht der Mensch?

Dabei zeigen internationale Studien immer wieder, dass es erhebliche Potenziale dafür gibt, den Ressourcenverbrauch zu verringern, Arbeitsplätze zu schaffen und den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand zu erhöhen. Nach Hartmut Fischer von der internationalen Unternehmungsberatung "A.D. Little" könnten in der Industrie und im Gewerbe durchschnittlich 20 Prozent der Material- und Energiekosten eingespart und dabei Wettbewerbsvorteile geschaffen werden, deren Ausnutzung in Deutschland 760.000 Arbeitsplätze bringen könnte. Aber: Während bei den Arbeitskosten weiter rationalisiert wird, seien die meisten Unternehmen bei den Materialenergiekosten blind.

Dabei sind Ressourceneinsparungen in der Produktion und dematerialisierte Produkte nur der erste Schritt. Eine längere Lebensdauer qualitativ hochwertigerer Produkte könnte dazu führen, dass insgesamt weniger Stück produziert werden müssten. Und neue Geschäftsmodelle werden möglich, wenn an Stelle eines (oft kurzlebigen) Produkts eine Dienstleistung oder die Kombination von Produkten und Dienstleistung angeboten wird.

Car-Sharing als Modell

So bieten Car-Sharing-Systeme Menschen, die ihr Auto nicht täglich nutzen, einen flexiblen aber sicheren und letztendlich billigeren Zugang zur Mobilität, wenn der öffentliche Verkehr nicht ausreicht, ohne sich um Erhaltung und Kosten kümmern zu müssen. Heiz- und Klimatechnikfirmen verkaufen anstelle von Anlagen und Heizenergie das gewünschte Raumklima und bleiben selbst für den Betrieb und die Instandhaltung der nötigen Technik verantwortlich. Dies fördert ihr Interesse an effizienteren Anlagen, spart den Kunden Zeit und Geld und reduziert letztlich den Ressourcenverbrauch.

Die weite Verbreitung solcher technischen wie wirtschaftlichen Maßnahmen sind eine absolut notwendige Bedingung für die erforderliche Reduktion des Ressourcenverbrauchs. Allerdings werden Rationalisierungsgewinne in aller Regel nicht dazu benutzt , weniger zu produzieren - sonst würden wir heute nur mehr eine Stunde pro Woche arbeiten, um den Wohlstand von vor 100 Jahren produzieren zu können. Wenn dematerialisierte Produkte billiger werden, kaufen wir mit dem Ersparten normalerweise andere Produkte. Dematerialisierung schafft also Platz für weiteren Ressourcenverbrauch, wenn nicht aktiv diesen Tendenzen entgegengesteuert wird.

Dazu gehört eine steuerliche Belastung des Ressourcenverbrauchs bei gleichzeitiger Reduzierung der Einkommensteuer genauso wie die gezielte Förderung von Forschung und Entwicklung in diesem Bereich. Aber auch die Unterstützung aller Initiativen jenseits von Gelderwerb und materiellem Konsum, die das eigene Glück und das Glück der anderen erhöhen.

Steuersystem reformieren

Laut dem Wiener Sozialforscher Bernd Marin wünschen sich schon heute viele Berufstätige Arbeitszeiten zwischen 25 und 30 Stunden pro Woche, um Zeit mit ihren Kindern zu verbringen oder sich in sozialen und kulturellen Initiativen zu engagieren. (Freiwillige!) Teilzeitarbeit, mehr Flexibilität am Arbeitsplatz, Sabbaticals könnte so allen etwas bringen: persönliche Bereicherung, erhöhte Produktivität im Beruf - und weniger Umweltverbrauch!

Natürlich sind in diesem Zusammenhang noch viele offene Fragen zu klären - etwa zu den nötigen Änderungen im Sozialsystem, das derzeit diejenigen "bestraft", deren Einkommen unregelmäßig fließt. Klar ist aber, dass ein Faktor 10 möglich ist, wenn er umfassend gedacht wird und technische, wirtschaftliche wie gesellschaftliche Innovationen voll ausgeschöpft werden.

Der Autor ist Präsident des Sustainable Europe Research Institute in Wien und Mitglied im Austrian Chapter des Club of Rome.

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