Jeder Frachter eine Arche Noah

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Die Gefahren durch weltweite Verschleppung von Tieren und Pflanzen werden heruntergespielt oder ignoriert

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Die Gefahren durch weltweite Verschleppung von Tieren und Pflanzen werden heruntergespielt oder ignoriert

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Nicht immer ist Microsoft schuld, wenn der PC abstürzt. In immer größeren Teilen der Welt kann es auch das Werk von Pharaoameisen sein, die sich an den Isolierungen der Kabel gütlich tun. Die warmen, verwinkelten Computergehäuse bieten ihnen wunderschöne Lebensbedingungen. Aber auch in deutschen und amerikanischen Spitälern sind Tramp-Ameisen wie die Pharaoameise als Krankheitsüberträger zur Gefahr geworden.

In tropischen Ländern ist das Problem größer. In brasilianischen Kliniken hielten sich die heimischen Ameisen in den Außenmauern auf, während die Zugewanderten die Innenräume eroberten und mitunter die Flure und Trakte untereinander aufteilten.

Das Buch "Die Ameise als Tramp - Von biologischen Invasionen" von Bernhard Kegel macht auf Probleme aufmerksam, das mit Vorliebe ignoriert oder verharmlost werden: Die weltweite Verschleppung von Tieren und Pflanzen - und deren Folgen.

Ameisen sind besonders tüchtige Tramps. In Panama ist die Kleine Feuerameise eine von 14 Arten, die einander in Schach halten. In dieser harten Konkurrenzsituation entwickelte sie einen besonders harten Panzer, einen besonders wirkungsvollen Stich und die Fähigkeit, das Ameisenvolk besonders schnell zu mobilisieren. Als sie auf die Galapagos-Inseln verschleppt wurde, errang sie dort Vorherrschaft - mit zehnmal so vielen Nestern pro Quadratmeter wie daheim. Aber auch in den USA dringt die mit Schiffsladungen eingeschleppte Feuerameise vor - mit unabsehbaren mittel- und langfristigen Folgen für die dortige Insekten- und Pflanzenwelt.

Aus Neuseeland eingeschleppte Plattwürmer sind in Irland drauf und dran, die für die Landwirtschaft lebenswichtigen Regenwürmer zu verdrängen. In Neuseeland leben sie in der Kühle der Wälder, da sie bei Temperaturen über 20 Grad eingehen. Im kühlen, feuchten Irland erobern sie Äcker und Wiesen.

In Kanada wurden kleine, räuberische Krebse ausgesetzt, die von kanadischen Lachsen mit Vorliebe gefressen wurden. Als Mysis relicta aber völlig ungebeten auch den Flathead Lake in Florida, einen der größten Seen der USA, besiedelte, erwies sich, daß die dort beheimateten Lachse den Krebs als Futter verschmähten, worauf er sich ungehemmt vermehrte, den Lachsen die Wasserflöhe wegfraß und mit der Lachspopulation auch die Lachsfischerei und mit der Lachsfischerei der Tourismus zusammenbrach.

Die Luft der Pazifikinsel Guam wiederum war einst von Vogelgezwitscher erfüllt - bis sich einige eingeschleppte Baumnattern genügend vermehrt hatten, um die Vögel auszurotten. Die Wissenschaftlerin Julie A. Savidge, der dies frühzeitig aufgefallen war, wurde auf einer Tagung auf peinliche Weise beschimpft. Heute ist Guam von Spinnennetzen übersät. Fressen die Spinnen nun die einst von den Vögeln gefressenen Insekten? Oder halten die Netze länger, weil sie nicht mehr von Vögeln zerrissen werden?

Undurchschaubare Zusammenhänge Die Wechselwirkungen sind kaum zu durchschauen. Die Netze vieler Radnetzspinnen auf den Nachbarinseln von Guam enthalten Stabilimenta: auffallende weiße Seidenstrukturen. Für zwei der vielen Erklärungsversuche gibt es Anhaltspunkte. Die Stabilimenta reflektieren ultraviolettes Licht und locken Insekten ins Netz - veranlassen aber vor allem gleich Leuchtfeuern die Vögel, den Netzen auszuweichen. Mit diesen Gebilden ausgestattete Netze haben eine längere Lebensdauer. Andererseits kostet die Seidenproduktion die Spinnen Energie und der Rohstoff ist offenbar so kostbar, daß sie wieder aufgefressen werden, wenn das Netz ausgedient hat.

Das Buch ist eine geballte Ladung von Beispielen dafür, was bewußt importierte oder unabsichtlich eingeschleppte Tramps auslösen können. Der Import erfolgt oft mit besten Absichten. Die afrikanischen "Killerbienen", die den Honigertrag verbessern sollten und die Imkerei temporär völlig zusammenbrechen ließen, wird Lateinamerika und der Süden der USA nicht mehr los.

Nachdem Indien mit amerikanischen Getreidesorten auch Samen des Unkrauts Parthenium hysterophorus importiert hatte, holte es sich den Käfer Zygogramma bicoloratia ins Land, der zu Hause von ebendieser Pflanze lebt. In Indien ging der Appetit des einstigen Nahrungsspezialisten aber plötzlich in die Breite und, er darf jetzt nicht mehr ausgesetzt werden.

Hingegen erfüllen die in Togo ausgesetzten 40.000 amerikanischen Stutzkäfer Teretriosoma nigrescens bisher (noch) brav ihre Aufgabe, den mit Hilfslieferungen von Nahrungsmitteln eingeschleppten Kornbohrer, und nur ihn, zu fressen.

Anfängerfehler in Sachen biologische Schädlingsbekämpfung: Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden Warane nach Mikronesien gebracht, damit sie die Ratten fraßen. Nicht bedacht: Ratten sind nacht-, Warane tagaktiv, sie bekamen einander nie zu Gesicht. Daher hielten sich die Riesenechsen an das Geflügel der Bauern.

Daraufhin wurde Bufo marinus hergeholt, die Aga-Kröte, der man großen Appetit auf Schadinsekten nachsagt. Die Aga-Kröte sollte die Insekten in den Kokosnußplantagen fressen und zugleich die Warane ernähren und sie von den leckeren Hühnchen ablenken. Die Aga-Kröte schmeckte den Waranen, aber leider starben sie daran in Massen - worauf Unmengen von Rhinozeroskäfern über die Kokospalmen herfielen.

Von Waranen, Kröten, Katzen und Ratten Was niemand gewußt hatte: Die Warane hatten längst die Rhinozeroskäfer entdeckt, die Hühnchen waren nur ein Zubrot gewesen. Als die Warane starben, stürzten sich Hausschweine, Hunde und Katzen auf die Kröten, vergifteten sich aber ebenfalls, worauf sich wieder die Ratten ungehemmt vermehrten, die von den Hunden und Katzen in Schach gehalten worden waren.

Zu allem Überdruß wimmelte es nun von Kokosnußkrabben, die sich ursprünglich sehr nützlich gemacht hatten, um die im Zweiten Weltkrieg von den Japanern als Nahrungsmittel importierten afrikanischen Achatschnecken auszurotten. Offenbar hatten sich die Warane den Bauch auch mit Kokosnußkrabben vollgeschlagen.

In französischen Flüssen wurden bereits Piranhas gefangen, wegen der "Killeralge" Caulerpa taxifolia macht man sich Sorgen um das Mittelmeer: "Um Verheerendes anzurichten, braucht es keine Tier- und Pflanzentransporte in großem Maßstab. Für den größten tropischen See der Erde genügte ein Mann mit einem Eimer voller Fischbrut," und mitunter genügt ein losgerissenes Algenfragment auf dem Anker oder im Ballastwasser eines Frachters.

Manchmal hat das Drama ein "happy end". Um 1900 hatte Europa Angst, Elodea canadensis, die aus den Botanischen Gärten entkommene Kanadische Wasserpest, könnte alle europäischen Binnengewässer "bis zum Rande mit dem Kraute füllen", wie der Heimatdichter Hermann Löns schrieb. Sie setzte auch mit explosiver Wucht zu einem Siegeszug an. Warum sie plötzlich wieder in sich zusammenfiel, weiß niemand.

Dies sind nur einige wenige, aus einer Fülle von Material herausgegriffene Beispiele für die Hilflosigkeit des Menschen angesichts der Komplexität biologischer Zusammenhänge. Am Ende steht die "wenig aufmunternde Erkenntnis, daß bedeutende biologische Invasionen jederzeit aus heiterem Himmel über jeden Ort dieser Erde hereinbrechen können" und kein überzeugender, zuverlässiger Weg bekannt ist, "eine solche Entwicklung vorauszusagen, zu stoppen oder ihre Folgen zu beseitigen". Pflanzen, die in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet überhaupt nicht auffallen, wie die Caulerpa taxifolia, können anderswo spontan "explodieren". Dies kann aber auch mit jahrhundertelanger Verzögerung passieren.

Bernhard Kegel plädiert für einen besonnenen Mittelweg zwischen einem Ignorieren der Probleme und "gehölzrassistischer" Rigidität, die sich bei der Silberlinde besonders blamierte: Als sich unter den Blätterkronen des vom Balkan stammenden Baumes Massen toter und sterbender Hummeln fanden, forderten empörte Bielefelder Bürger die Entfernung des "Mörderbaumes"und eine Zeitung meldete: "Alle Silberlinden beseitigt!"

Hinterher stellte sich heraus, daß die spät blühende Silberlinde mit ihrem reichen Nektarangebot im Spätsommer geradezu als Rettungsinsel für Hummeln fungiert, die es noch nicht geschafft haben, sich genügend Energiereserven für die Überwinterung anzufressen. Der Andrang bei den Silberlinden wird dann so groß, "daß viele Tiere nicht mehr ausreichend zum Zug kommen und entkräftet aus dem Geäst purzeln".

Die Situation in Europa ist völlig anders als etwa in Neuseeland, wo tatsächlich nur noch wahre Ausrottungsfeldzüge gegen Ratten, aber auch gegen europäisches Rotwild oder Millionen aus Australien stammende putzige Fuchskusus die noch vorhandenen Reste der empfindlichen Uralt-Biotope retten können.

Völlig folgerichtig gipfelt das Buch in einer skeptischen Betrachtung über die Gefahren der Gentechnik, denn von einer Warnung kann man hier nicht mehr sprechen. Der Zug ist abgefahren. Daß er nicht nur ohne Notbremsen, sondern überhaupt ohne Bremsen fährt, wird den unfreiwilligen Passagieren nicht mitgeteilt.

Die Ameise als Tramp. Von biologischen Invasionen. Von Bernhard Kegel. Ammann Verlag, Zürich 1999, 420 Seiten, geb., öS 291,-/e 21,15,

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