Kalter Krieg in Caracas

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Wie lange kann sich Venezuelas Präsident Nicolas Maduro noch halten? Nur wenige versuchen, einen Kompromiss zu finden. Eine Analyse.

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Wie lange kann sich Venezuelas Präsident Nicolas Maduro noch halten? Nur wenige versuchen, einen Kompromiss zu finden. Eine Analyse.

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Eine Brise Kalten Krieges konnte man zuletzt auf der Sicherheitskonferenz in München schnuppern. Aber auch was sich im fernen Venezuela abspielt, erinnert an einen Stellvertreterkrieg, wie ihn sich USA und Sowjetunion einst in mehreren Ländern lieferten. Seit sich der Parlamentspräsident Juan Guaidó am 23. Jänner zum "Interimspräsidenten" erklärte, mobilisiert die Opposition jede Woche gegen Präsident Nicolás Maduro, der sich in antiimperialistischer Rhetorik übt und jedes Zurückweichen ausschließt. Nicht ausschließen will Präsident Donald Trump hingegen die militärische Intervention: "Alle Optionen sind auf dem Tisch."

Der 35-jährige Juan Guaidó war ein relativ unbeschriebenes politisches Blatt, als er mit Jahresbeginn turnusmäßig für seine Partei Voluntad Popular (Volkswille) den Vorsitz der Nationalversammlung übernahm, einer gleichwohl machtlosen Volksvertretung. Denn das 2015 gewählte Parlament, in dem die Opposition eine Zweidrittelmehrheit hält, wurde von Präsident Maduro mit einem wenig eleganten Trick kaltgestellt. Er ließ 2016 eine Verfassunggebende Versammlung wählen, die dank eines Boykotts der Oppositionsparteien fast zur Gänze mit seinen Gefolgsleuten besetzt ist. An der Legitimität der Präsidentschaftswahlen vom vergangenen Jahr zweifelt nicht nur die Opposition. In Abwesenheit unabhängiger Wahlbeobachter durften auch die Toten wählen. Deswegen ist die Wiederwahl des gelernten Busfahrers Nicolás Maduro umstritten und seit dessen Vereidigung zu seiner zweiten Amtszeit am 10. Jänner ist für die Opposition der Posten des Präsidenten vakant.

Mike Pence und die Staatsgeschäfte

Für die dauerhafte Abwesenheit des Präsidenten sieht die Verfassung vor, dass der Parlamentspräsident interimistisch die Staatsgeschäfte übernimmt. Das tat Guaidó am 23. Jänner. Dass dieser Schachzug mit Washington abgesprochen war, belegen ein Telefonat des neuen Oppositionsführers mit US-Vizepräsident Mike Pence und die sofortige Anerkennung durch Präsident Donald Trump. Die spanischen Medien berichteten sehr ausführlich, wie US-Botschafter Duke Buchan in Madrid Außenminister Josep Borell zu sich zitierte, um ihm klar zu machen, die USA wünschten keinen Dialog mit Maduro. Kurz darauf preschte eine Gruppe von acht EU-Staaten - darunter Österreich -vor und setzte Maduro ein Ultimatum von acht Tagen, neue Präsidentschaftswahlen auszurufen. Andernfalls würde man Guaidó als legitimen Staatschef anerkennen.

Das ist ein Bruch mit der sogenannten Estrada-Doktrin, die auf den mexikanischen Außenminister Genaro Estrada Félix im Jahr 1930 zurückgeht. Jede Anerkennung oder Nicht-Anerkennung einer Regierung ist demnach eine völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates. Wenn Österreich und eine Gruppe von zehn EU-Staaten Juan Guaidó als legitimen Präsidenten von Venezuela anerkennen, dann betreten sie diplomatisches und völkerrechtliches Neuland.

In den USA hat sich mit der Amtsübernahme von Außenminister Mike Pompeo im April vergangenen Jahres die erzkonservative kubanische Lobby durchgesetzt, angeführt vom Abgeordneten Mario Díaz Balart und Senator Marco Rubio. Die wollten sogar erreichen, dass Venezuela auf die Liste der Terrorfinanzierer gesetzt wird, so wie Iran, Sudan oder Syrien. Sehr bald bastelte die Gruppe am regime change in Caracas. Die Ernennung von Elliott Abrams zum Sonderbotschafter für Venezuela Ende Jänner wird allgemein als Ansage gesehen, dass die USA keine Kompromisse machen werden.

Abrams war als Staatssekretär im Außenministerium für die Vertuschung des schlimmsten Massakers auf lateinamerikanischem Boden der jüngeren Geschichte verantwortlich. Ein in den USA trainiertes Bataillon hatte im Dezember 1981 im salvadorianischen Dorf El Mozote die ganze Bevölkerung von fast 1000 Personen ausgelöscht.

Blutige Meriten

Er paktierte mit dem panamaischen Diktator Manuel Noriega, der damals im Sold der CIA stand, und fädelte Raketenschmuggel in den Iran und Kokaingeschäfte ein, um die rechtsgerichteten Contras in Nicaragua zu finanzieren. So ist es nicht unbillig anzunehmen, dass Menschenrechte nicht ganz oben auf der Agenda der USA stehen.

Während die EU ihre Unterstützung für die venezolanische Opposition mit dem Bestreben, die Demokratie wiederherzustellen, argumentiert, spricht US-Sicherheitsberater John Bolton erfrischend Klartext, worum es wirklich geht.

Er hat bei einem Auftritt im rechten TV-Sender Fox News seine Visionen für die Zeit nach dem Sturz von Maduro ausgebreitet: "Es lohnt sich für die USA, wenn unsere Ölgesellschaften in Venezuela investieren und dort die Ölförderung steigern." Venezuelas Oppositionsführer tun sich also schwer, als überzeugende Patrioten aufzutreten. Dass sowohl Gauidó als auch sein Mentor Leopoldo López, der seit Jahren in Hausarrest sitzt, in den USA studiert haben, ist für die lateinamerikanische Wirtschaftselite nichts Besonderes, doch wenn Guaidó eine militärische Intervention "als letztes Mittel" nicht ausschließt, begibt er sich auf dünnes Eis. Zunächst versucht er, sich als Wohltäter der Armen zu inszenieren. Auf seine Veranlassung lagern Tausende Tonnen an Hilfsgütern aus den USA auf LKWs in Kolumbien und anderen Staaten. Sie warten, dass die Grenze nach Venezuela freigegeben wird, damit sie unter der bedürftigen Bevölkerung verteilt werden können. Nicht nur Maduro sieht darin Vorboten einer Intervention.

Dieses Szenario bringt auch die venezolanische Linke, die Maduro Misswirtschaft und autoritäres Regieren vorwirft, unter Druck. Denn zwischen der Aussicht einer bürgerlichen Machtergreifung von Washingtons Gnaden und einer Verlängerung der Agonie unter einem heillos überforderten Nicolás Maduro ist für differenzierte Zwischentöne wenig Platz.

Gustavo Márquez Marín, ehemals Handelsminister im Kabinett des Hugo Chávez und einige Jahre Botschafter in Wien, fürchtet einen Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung. Auch die Alternative, dass Maduro dem Drängen Washingtons nachgibt, erscheint ihm nicht erstrebenswert: "Die Sieger würden ihre Beute beanspruchen und dem Land ihre Bedingungen für die Ausbeutung der Ölreserven aufzwingen." Über eine Marionettenregierung würden die USA ihre geopolitischen Interessen wahren.

Verheerende Versorgungslage

Auf der Internet-Plattform Aporrea empfiehlt er daher einen "alternativen Weg für Frieden und Wandel", der mit einem Dialog der Regierung mit dem von Maduro ausgeschalteten Parlament beginnen sollte. In einer zweiten Phase solle die Bevölkerung via Referendum über Neuwahlen entscheiden. "So würde der Souverän über die Lösung des Konflikts entscheiden und Trump samt seiner Bande aus dem Spiel nehmen."

Maduro bestreitet indessen das Offensichtliche: dass die Versorgungslage der Bevölkerung verheerend ist, die Hyperinflation die Löhne auffrisst und niemand ohne Schwarzmarkt überleben könnte. Dass es so weit gekommen ist, kann schwerlich allein den Unternehmern angelastet werden, die Waren aus spekulativen und politischen Gründen zurückhalten. Jahrelange Misswirtschaft hat das einst prosperierende Ölland zum Armenhaus gemacht. Daran zweifelt auch Márquez Marín nicht, der als Ökonom weiß, wovon er spricht.

Alles hängt jetzt davon ab, ob die venezolanischen Militärs ihrem Oberbefehlshaber die Treue halten. Die hochgerüstete Armee verfügt zwar über die stärkste Luftwaffe der Region, doch politisch zuverlässig ist sie nicht mehr. Mehrere hohe Offiziere haben sich im wohlverstandenen persönlichen Interesse für den "Interimspräsidenten" Guaidó ausgesprochen, doch die meisten Generäle, die durch legale und illegale Geschäfte vom Status quo profitieren, halten Maduro vorerst die Treue. Dass sich der inzwischen mit russischen und kubanischen Leibwächtern umgibt, mag ein Indiz sein, dass er den eigenen Leuten auf längere Sicht nicht über den Weg traut.

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