Kant, Kabeljau und Schillerlocken

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Was denken Philosophen vom Essen? Denken Philosophen beim Essen? Welche Vorlieben hatten die großen Denker der Vergangenheit, woran kauten sie am liebsten? Nach Feuerbach ist der Mensch, was er isst. Nahrung soll der „Anfang der Weisheit“ sein. Fragen, die noch lange nicht „gegessen“ sind. Der Autor hilft weiter.

Kant aß nur einmal täglich, Schopenhauer mit einer wahren Gier und Wittgenstein fast gar nichts. Machte sich das in ihrer Philosophie bemerkbar? Entspringen einem Vegetarier andere Gedanken als einem Wurstfetischisten? Ein Blick in die Bäuche und Köpfe großer Denker.

Für Ludwig Feuerbach (1804-1872) „ist der Mensch, was er isst“ und Nahrung der „Anfang der Weisheit“. Um ordentlich zu denken, müsse man ordentlich essen. Deshalb wetterte er gegen die Kartoffel, „ein unmenschliches und naturwidriges Nahrungsmittel“. Sie mache die Deutschen kraftlos und autoritätshörig. Er schwörte auf Leguminosen, die „das faule Kartoffelblut“ wieder in Bewegung bringe. Der „Mangel an Vernunft in der Küche“, so auch Friedrich Nietzsche (1844-1900), habe die Entwicklung des Menschen „am längsten aufgehalten“. Über seine Landsleute schimpfte er: Die deutsche Küche, speziell „die ausgekochten Fleische, die fett und mehlig gemachten Gemüse, die Entartung der Mehlspeise zum Briefbeschwerer“ führe zu „betrübten Eingeweiden“, aus der die Herkunft des deutschen Geistes zu verstehen sei.

Antiker Hunger

Kopfmenschen und Küche – eine innige Beziehung? Mitnichten. Das Verhältnis von Essen und Denken hat in der Geschichte der Philosophie eine gehörige Schieflage. Das Körperliche galt von der Antike bis ins 19. Jahrhundert als materielle Last. Richtig lästig war Platon (um 400 v. Ch.) der hungrige Bauch, da er ihn vom Denken abhielt. Bereits seinem Lehrer Sokrates (ca. 5. Jh. v. Ch.) war das Essen und Trinken eines Philosophen nicht würdig genug, das Körperliche lasse „die Seele nicht in den Besitz der Wahrheit und Vernunfterkenntnis gelangen“. Die Aussage verstört, wenn man an das Symposion denkt, dem ein geselliges Essen vorausging. Feuerbach brach schließlich energisch mit dieser idealistischen Denktradition und warf seinen Kollegen vor, am Tisch dem zu huldigen, was sie am Katheder verdammten.

Zuerst die Moral

Schon Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) vermutete, Speisen hätten einen „sehr großen Einfluss“ auf die Menschen: „Wer weiß, ob wir nicht einer gut gekochten Suppe die Luftpumpe und einer schlechten den Krieg oft zu verdanken haben.“ Wie groß dieser Einfluss tatsächlich ist, damit beschäftigt sich die Ernährungswissenschaft. Und die weiß, Erdäpfel machen nicht dumm und Steaks nicht grausam, wovon Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) überzeugt war.

Schwer zu klären ist allerdings, ob zuerst das Fressen komme und dann erst die Moral (Brecht) oder bessere Speisen zu höherer Moral führen (Feuerbach). Sicher ist, wer durch Mangel- oder Fehlernährung einen niedrigen Serotoninspiegel aufweist, ist in der Regel aggressiver. Bereits Diogenes von Sinope (um 400 v. Ch.) meinte, aus einem, der Gerstenbrot esse, sei noch nie ein Tyrann geworden, „wohl aber aus einem, der üppig tafelt“. Die Antithese zu Brecht wirft die Frage auf: Sind fressende Denker philosophische Tyrannen? Gierhals Arthur Schopenhauer (1788-1860) etwa? Wissenschaftlich ginge das zu weit, wenngleich nicht nur Diogenes, sondern auch Schopenhauer selbst die Askese für ein probates Mittel gegen schädliche Egomanie hielt.

Er selbst kasteite sich dennoch nicht, denn „wer viel denke, müsse auch viel essen“. Eine schlüssige Erklärung und wissenschaftlich haltbar: Denken ist eine körperliche Handlung und verbraucht deshalb Kalorien. Dass Schopenhauer erst einmal kräftig essen musste, bevor er redselig wurde und seine Launen ablegte, liegt vermutlich daran, dass er wegen des Verzichts auf Frühstück unterzuckert war.

Schlecht fürs Gemüt, denn erst Kohlenhydrate führen zu einer erhöhten Serotoninausschüttung im Gehirn. Auch über Ludwig Wittgenstein (1889-1951) wird berichtet, dass seine üble Laune sich erst nach dem Essen legte.

Kant liebte Kabeljau, der wie alle Fische in der Brainfood-Bewegung hoch im Kurs steht. Dass sich die Art der Nahrung auf die Denkleistung auswirkt, ist nachgewiesen. Daraus zu schließen, Speisen beeinflussen damit auch, was wir denken, darf man aber nicht. Auch, wenn einige Philosophen-Biografien den Anschein erwecken, als würden Anschauung und Essen übereinstimmen. Rousseau etwa kritisierte die verworrenen Sitten der Kultur und sah in der Natur das unverdorbene Ideal. Sein Lieblingsmahl passte dementsprechend in einen Picknickkorb: Sauermilch, Brot, Käse und Obst. Sartre dagegen war von Grünzeug und Rohkost nicht sonderlich angetan, was sich in seiner Philosophie widerspiegelt. Weder Natur noch Natürlichkeit sind für ihn positiv besetzt. Rousseau mochte darüber hinaus auch Wein, der, in Maßen genossen, zwar Stimmung und Kreativität verbessert, aber in rauen Mengen äußerst negativ auf das Denken wirkt. Nicht viel vom Nervenzellenkiller Alkohol hielt Wittgenstein, der auch sonst asketisch lebte. Einer, der zumindest ab und zu einen über den Durst trank, war Feuerbach, der seine „diätische Lebensweise“ nur unterbrach, um in sein „System von Ruhe und Ordnung“ eine „wohltätige Revolution“ hineinzubringen. Sartre dagegen war nicht nur dem Alkohol, sondern auch jenen Substanzen sehr zugetan, von denen er sich eine Steigerung seiner Denk- und Schreibproduktivität versprach. Aus medizinischer Sicht ein Verstoß gegen das eigene Wohl, doch der Philosoph und Schriftsteller Sartre sah das ganz anders: Wozu auf seine Gesundheit achten, jeder müsse einmal sterben!

Ohne Abstriche

Ob Schlemmer oder Asketen. Die großen Philosophen waren unbeirrt, unangepasst und eigensinnig. Das gilt für ihre Werke wie für ihr Leben. Einige gastrosophische Überzeugungen erwiesen sich schlicht als falsch, andere dagegen haben nichts von ihrem Esprit verloren. Wie jene des zeitlosen Immanuel Kant: „Gut Essen und Trinken ist die wahre Metaphysik des Lebens.“

* Klaus Ebenhöh studierte Publizistik und Ethnologie in Wien. Er lebt als freier Journalist und Autor in Wien

Der Philosoph im Topf

Klaus Ebenhöh, Wolfgang Popp

Residenzverlag 2008. 256 S. e 19,90

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