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Kapitulation vor den Pfeffersäcken

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Es gibt Situationen, in denen man sich zu entscheiden hat, ob man lieber die Wahlspenden verliert oder die Wahlen. Die CDU CSU hat sich für letzteres entschieden. Und die ÖVP?

Nibelungentreue ist heroisch, aber selbstmörderisch. Vor die Wahl gestellt, mit der deutschen Schwesterpartei aufs falsche Pferd zu setzen oder das Richtige zu tun, obwohl es — rein zufällig und, wie am selben Tag eine BAWAG-Aussendung bewies — keineswegs auch in Österreich im Moment einen Anflug von Rot zeigt, wurde zielsicher danebengegriffen.

Das Richtige zu tun? Ökonomisch mag man darüber streiten können, ob und in welchem Ausmaß der Schilling aufwertungsbedürftig ist. Politisch aber hätte es in der Stunde der Entscheidung keinen Zweifel daran geben dürfen, daß das Kapital, von dem weltweit die bürgerlich- konservativen Parteien leben, die Inftationsfurcht ist, oder positiv formuliert: Wenn irgend etwas am Programm der ÖVP bis weit nach links hinüber glaubwürdig ist, dann das Bekenntnis zur Stabilität des Schillings. Nicht zufällig sind alle bisherigen Nationalratswahlen für die ÖVP ausgegangen, so oft die Erhaltung der Währungsstabilität den Wählern am Herzen lag (oder von der Propaganda ans Herz gelegt werden konnte), und für die SPÖ, wann immer eher die Vollbeschäftigung in Gefahr schien (denn das Bekenntnis zur Vollbeschäftigung klingt eiben aus dem Mund einer sozialistischen Partei glaubwürdiger).

Die einmalige Gelegenheit, den Plakatslogan, daß der Schilling hart bleiben müsse, in die Tat umzusetzen, hat sich die ÖVP entgehen lassen. Die Rechnung wiird ihr im peinlichsten Moment präsentiert werden, „denn die Aufwertung der D-Mark und die De-facto-Abwertung des Schillings sind so „rechtzeitig“ erfolgt, daß die jetzt in Gang kommende Anpassungsinflation ihren Niederschlag im letzten vor dem Wahltermin veröffentlichten Verbraucherpreisindex finden wird — aber mit beträchtlich mehr als dem halben Prozent, mit dem die Industrie das Opfer bagatellisiert, das sie Millionen Verbrauchern und Sparern aufbürdet.

Einen kräftigen, aber noch nicht ihren vollen Niederschlag. Diese An- passungsinffation, von der wir erst einen kleinen Vorgeschmack genossen haben, muß unweigerlich auch das eben errichtete Gebäude der Lohnpolitik zum Einsturz bringen. Dabei waren die Weichen für 1970 so schön gestellt: Trotz erster Arbeitszeitverkürzung hätte alle Aussicht bestanden, daß die Lohnkosten je Stück oder Tonne, die 1968 und im ersten Halbjahr 1969 um dreieinhalb Prozent gesunken waren, auch 1970 annähernd stabil bleiben, denn die jüngste Lohnrunde war durchaus „produktivitäTsorientiert“; um so peinlicher wirkt das Haltet-den- Dieb-Geschrei. das schon vorbeugend die „Anpassungsinflation“ den Gewerkschaften in die Schuhe schieben will.

Wie Immer der „Aufwertungsersatz", zu dem man sich durchringt, aus- sehen mag — mehr als Augenaus- wischerei kann dabei nicht herauskommen. Wer’s nicht glaubt nehme den Rechenstift zur Hand: Das

„Äquivalent“ für eine mehr als neunprozentige DM - Aufwertung wäre eine lineare Zollsenkung (bei allen Waren und gegenüber sämtlichen Ländern!) um 60 Prozent; angesichts der Erfahrungstatsache, daß der Widerstand der Interessenten gegen Zöllsenkungen etwa mit dem Quadrat der vorgeschlagenen Reduktion zu wachsen pflegt, kann man sich ungefähr ausrechnen, wie groß die Chancen von Zollsenkungen sind, die den Aufwertungseffekt zumindest importseitig wettmachen.., Zumindest importseitig — denn daß die Inflation genauso über steigende Exporterlöse importiert wird, in deren Sog die Inlandspreise der österreichischen Industrie geraten, wird geflissentlich verschwiegen — und nur auf dem Papier. Oder besteht etwa nach den Erfahrungen, die wir bei allen EFTA-Zollsenkungsetappen und bei der Pfund- wie bei der Franc-Abwertung sammeln durften, irgendeine Gewähr dafür, daß die Importeure die Zollsenkung erstens überhaupt und zweitens im vollen Ausmaß an ihre Abnehmer weitergeben? Einen Druck auf die Importeure kann aber nicht die „Paritätische“, sondern nur ein aufwertungsbedingt niedriger Schillingerlös im Export ausüben, der die Industrie zu einer schärferen Kalkulation gezwungen hätte.

Wir leben in einer Demokratie. Daher darf niemand der Industrie das Recht abstreiten, Zeter und Mordio zu schreien, wenn ihr härtere Konkurrenzbedingungen zugemutet werden, und im pluralistischen Catch-as- catch-can ist auch der Würgegriff erlaubt: der Wink mit dem Zaunpfahl der Parteispenden. An die Galle rührt bei alledem nur die Unschuldsmiene, wenn mit Zeitungstiteln wie: „Die DM wird aufgewertet, der Schilling bleibt stabil“ den ohnedies ökonomisch halbblinden Österreichern bedenkenlos Sand in die Augen gestreut wird.

Die Perfldie liegt darin, daß das Doppelargument der Paritätsmumi- fizierer durchaus triftig ist: daß erstens Wechselkursänderungen kein konjunkturpolitisches Instrument seien und daß zweitens die österreichische Konjunktur noch keiner Dämpfung bedürfe. Warum wird aber dann der Schilling de facto ab gewertet? Warum wird damit die bisher ausgebliebene Konjunkturüberhitzung absichtlich herbeigeführt? Und warum wird die Nationalbank gezwungen, diese künstlich angeheizte Konjunktur mit Restriktionsmaßnahmen abzuwürgen? Vielleicht auch das noch gerade rechtzeitig vor den Wahlen, damit sich die Regierungspartei zum Vorwurf der Schillingverdünnung obendrein noch die Anschuldigung einheimst, die Arbeitsplätze in Gefahr zu bringen

Wenn sich die ÖVP-Propagandisten das Kunststück Zutrauen, den Wählern als hart gebliebenen Schilling einen paralytisch gewordenen zu „verkaufen“, könnten sie ihre Überredungsgabe inzwischen an der internationalen Spekulation erproben: Vielleicht bringen sie es, gestützt auf das Beweismaterial einer munteren Anpassungsinflation, auch fertig, die Tatsache wegzudisputieren, daß seit der DM-Aufwertung der Schilling die am eklatantesten unterbewertete

Währung der Welt ist. Sonst könnte es sich nämlich in Kreisen der internationalen Devisenspekulation herumsprechen, daß die mit Abstand interessanteste Veranlagungsmöglichkeit für jenes „heiße Geld“, das jetzt in Milliardenbeträgen aus der nach Lukrierung des Aufwertungsgewinnes reizlos gewordenen D-Mark „aussteigt“, der Schilling ist.

Das brächte die österreichische Nationalbank in eine peinliche Situation, denn vor der Devisenspekulation die Waffen strecken mußte sogar die mächtige Deutsche Bundesbank. Wäre es aber nicht auch für den Österreicher, dessen wirtschaftliches Selbstbewußtsein eben jetzt das alljährliche Nährklistier der Österreichwoche verabreicht bekommt, ein klein wenig peinlich, wenn ausländische Spekulanten von der Güte des Schillings eine bessere Meinung hätten als die österreichische Regierung?

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