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Kein Bedarf für Bauernsorgen

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Die Lebensmittelversorgung funktioniert seit Jahren wieder reibungslos. An manch nahrhaften Erzeugnissen ist vorübergehend sogar Überfluß vorhanden. Erdäpfel, Roggenbrot und fettes Fleisch etwa sind eben jetzt nicht mehr so gefragt wie einst zu Zeiten der „Normalverbraucher“. Und die Milch hat große Konkurrenz auf dem Getränkemarkt. Daß sie weit billiger ist als selbst Soda- oder Mineralwasser, macht kaum Eindruck auf den Konsumenten von 1960.

, Wenn auch der Bauer in dieser Wirtschaftswunderwelt leben und verdienen will, muß er sich selbst umstellen, so rät man ihm oder — weil ja die Umstellung in der Landwirtschaft nicht so einfach ist — noch besser: einen neuen Beruf suchen! Die Wirtschaft kann in der Zeit der Konjunktur Hilfsarbeiter immer brauchen. Schließlich sind 45-Stunden-Woche und Arbeitslosenversicherung auch nicht zu verachten. Es bleiben noch immer genug zurück, die für die Ernährung sorgen können, und notfalls wird man sich mit billigen Exporten helfen.

„KOSTGELD“ FÜR DIE KUH

Ein deutscher Industrieller, der kürzlich zu Besuch in Wien weilte, lehnt diese Einstellung allerdings als unrealistisch ganz energisch ab. Er hat sich vor einiger Zeit zwei gute Milchkühe gekauft und diese zu einem bekannten Bauern in Kost gegeben. Und weil der Milchpreis nach seiner Kalkulation kaum kostendeckend ist, bezahlt er dem Landwirt auch noch ein monatliches Kostgel'd. Das Ganze alles einzig und allein zu dem Zweck, um im Falle einer durch Kriegs- oder sonstige Ereignisse bedingten Lebensmittelverknappung für seine Kinder bestimmt genug Milch zu haben. Das deutsche Landwirtschaftsgesetz bietet ihm dafür nicht genug Sicherheit und noch weniger die Verläßlichkeit des Weltmarktes. Da verläßt er sich lieber auf die eigene Vorsorge ...

Es handelt sich hier fürwahr um keinen billigen Witz, sondern vielmehr um eine sehr realistische Konsequenz zur gegebenen Sachlage. Der Industrielle würde sich leicht einen ganzen Landwirtschaftsbetrieb kaufen können, aber das wäre ihm — so sagt er — zuviel Risiko und Aufwand im Verhältnis zum Ertrag, der dabei herauskäme.

Alles, was hier gesagt wurde, könnte vollinhaltlich auch auf österreichische Verhältnisse übertragen werden. Es entspricht auch ganz und gar den zahlenmäßig gründlich untermauerten Tatsachen, die im „Bericht über die Lage der österreichischen Landwirtschaft 1959“ („Grüner Bericht“) übersichtlich und anschaulich dargestellt Werden. In dem zusammengefaßten Ergebnis dieses Berichtes heißt es u. a.:

„Aus den rechnungsmäßigen Buchführungsuntertagen ergibt sich für 1959 — im ganzen gesehen — eine Steigerung der landwirtschaftlichen ,Roherträge um rund drei Prozent. Ihr steht eine Erhöhung des Aufwandes von rund fünf Prozent gegenüber. Hatte sich im Jahre 1957, vor allem infolge einer günstigen Hackfruchternte gegenüber 1956, noch ein höherer Rentabilitätsindex von 17 Prozent ergeben können, so gingen die Reinerträge im Bundesdurchschnitt seither von 826 Schilling auf 726 Schilling im Jahre 1958 und nunmehr auf 640 Schilling je Hektar im Jahre 1959, das (st jährlich um 12 Prozent, zurück.“ Abschließend heißt es im „Grünen Bericht“: „Das in den Betrieben festgelegte Vermögen verzinste sich noch geringer als im Vorjahr. Erkennt man die Zinsansprüche, wie das auch in den gewerblichen Wirtschafts-sparten geschieht, als echte Kosten an, so wird eine volle Produktionskostendeckung in keinem Betriebstyp erreicht. — Alles in allem muß damit trotz hoher Produktivitäts- und Investitionsanstrengungen das Zurückbleiben der landwirtschaftlichen Betriebe hinter der gesamtwirtschaftlichen Prosperität festgestellt werden.“

Das heißt mit anderen Worten, daß es hoch an der Zeit war, mit Hilfe des Landwirtschaftsgesetzes und des darin vorgesehenen „Grünen Planes“ alle Maßnahmen zu forcieren, die für die Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und damit für die Sicherung der Ernährung unseres Volkes notwendig sind. Auf den vereinfachten Nenner des deutschen Industriellen gebracht: Sorgen wir dafür, daß noch jemand im Lande ohne wirtschaftliche Selbstmordabsichten dazu bereit sein kann, Kühe zu halten, sie auch am

Samstag und am Sonntag zu versorgen und zu melken, damit die Milchversorgung unserer Kinder nicht eines Tages gefährdet ist. Und weniger naiv: Verhelfen wir der Landwirtrchaft zu einer ausreichenden Rentabilität, und sichern wir damit die Ernährung unseres Volkes 1

„GRÜNER PLAN 1961“

Der „Grüne Plan 1961“, mit dem „Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Landwirtschaft im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes“ vorgesehen sind, verfolgt diese Absicht und trägt damit den im „Grünen Bericht“ offenkundig gewordenen Erfordernissen Rechnung. Alle Maßnahmen, die mit Hilfe des relativ bescheidenen Betrages von 200 Millionen Schilling getroffen werden sollen, kommen eindeutig und direkt auch der Allgemeinheit zugute, ob es sich nun etwa um Forstaufschließungs- und Wegebaumaßnahmen handelt oder um die Förderung des landwirtschaftlichen Forschungs- und Versuchswesens.

Um so bedauerlicher war es, in der Sitzung des österreichischen Nationalrates vom 7. Dezember d. ]., in der der „Grüne Plan“ von den Abgeordneten der Regierungsparteien beschlossen wurde, neuerlich Stimmen hören zu müssen, die die Bauernschaft gewissermaßen als Schmarotzer in Volkswirtschaft und Staatshaushalt hinstellten. Und das von Parlamentariern, die auf Grund ihres genauen Wissens um die Stichhaltigkeit des „Grünen Berichtes“, dem sie selbst ihre Zustimmung nicht verweigern konnten, über die wahren Verhältnisse bestens informiert sind. Man hat in diesem Zusammenhang auch nicht einmal versäumt, neuerlich auf das gute Geschäft hinzuweisen, das die bäuerliche Bevölkerung mit Kinder- und Familienbeihilfen mache, wofür sie weitaus weniger Beiträge zahle, als ihr an Leistungen zukäme. Ist aber nicht die Erhaltung einer kinderreichen Familie selbst die größte Leistung, die eine bescheidene Anerkennung wohl verdient? Und wenn vorwiegend bäuerliche Familien dieses Opfer auf sich nehmen, machen sie dann wirklich mit der Kinderbeihilfe ein „gutes Geschäft“, das man ihnen bei sachlicher Behandlung wirtschaftspolitischer Fragen vorwerfen dürfte?

„WAS WOLLEN DIE BAUERN DENN NOCH?“

Sagen wir es klar heraus: Weil weithin die sogenannte öffentliche Meinung bei vollem Magen und gedecktem Tisch, bei 5-Tage- und bei 4 5-Stunden-Arbeitswoche, an die Sorgen, die Arbeitsüberlastung und das Risiko der Bauern nicht gerne erinnert wird. „Antiagrarisch“ zu sein ist bequem, weil es leichter fällt, mit als gegen den Strom zu schwimmen, und beinhaltet außerdem eine gesunde Portion Egoismus, so-ferne man selbst Konsument ist. Vor allem aber ist ein solches Verhalten grenzenlos kurzsichtig.

„Was wollen die Bauern denn noch? Denen geht es ohnhin so gut wie nie zuvor“, das sind so die Redewendungen, denen man täglich und stündlich begegnet. Fragt man dann dagegen: Warum gibt es wohl tausende verlassene Höfe, warum eine überhandnehmende Landflucht? Wissen sie, daß 67 Prozent unserer bäuerlichen Betriebe bis zu höchstens 10 Hektar Grund besitzen und fast 50 Prozent bist zu höchstens fünf Hektar, und können sie sich vorstellen, welcher Gewinn da herausschaut? Ist bekannt, daß von den rund 430.000 land- und forstwirtschaftlichen Betrieben rund 167.000 im Bergbauenigebiet liegen und davon mehr als 80.000 nicht einmal über geeignete Zufahrtswege verfügen? — Taube Ohren, Verständnislosigkeit und Ablehnung sind meist die Antwort auf diese Fragen. Es besteht kein Bedarf für Bauernsorgen!

Diese gruppenegoistische Vogel-Strauß-Politik, der mehr Menschen unterliegen, als man annehmen würde, birgt große Gefahren in sich; Gefahren volkswirtschaftlicher, politischer und auch geistiger Natur. Mit den 200 Millionen Schilling des „Grünen Planes“ allein wird man diesen Gefahren nicht wirkungsvoll genug begegnen können. Erhöhtes Verständnis und mehr Aufgeschlossenheit gegenüber den Anliegen der Bauernschaft wären weitaus wichtiger.

Im Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe hieß es in richtiger Erkenntnis der Situation eindringlieh und erschütternd zugleich: „Man läßt den Bauernstand allein.“ Wenn dieser Erkenntnis nicht bald Rechnung getragen, ihren möglichen Konsequenzen nicht rechtzeitig und energisch entgegengetreten wird, werden wir eines Tages das Trümmerfeld kaum mehr bewältigen können, das- — abgesehen von allen wirtschaftlichen Fragen — sowohl im politischen als auch im geistig-religiösen Bereich erstehen könnte, weil da die wahre Solidarität und dort die echte Brüderlichkeit vom Verbrauchergruppenegoismus erstickt wurde.

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