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Kein Direktorium der Großen

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DIeFüRCHE: Welche Bedeutung hat die Regierungskonferenz 96 für Österreich? Ab'ssknministkr WOLFGANG SCHÜSSEL: Es geht darum, die Union stärker als in der Vergangenheit auf Politikfeldern weiterzuentwickeln, die für den Bürger von großem Interesse sind und wo derzeit von den Mitgliedstaaten zu wenig gemeinsam gemacht wird. Das reicht von der Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden und Europol, die innere Sicherheit betreffend, über die . Intensivierung der Kooperation bei der Verbrechensbekämpfung bis hin zur Entwicklung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist aus meiner Sicht ein besonders wichtiges Thema, weil wir nicht in ruhigere Zeiten, sondern vielmehr in unruhigere hineingehen, mit sehr vielen regionalen Konflikten; zwar nicht innerhalb der Union, aber außerhalb. Die EU sollte da eine durchaus aktive Rolle als Friedensstifter spielen. Sie soll Konflikte vermeiden helfen, und dafür braucht sie politische Instrumente, die Logistik, Finanzierungsmöglichkeiten aus dem Gemeinschaftshaushalt und vor allem auch den Willen der Mitgliedstaaten, dabei mitzutun. Das dritte Thema ist natürlich die Beschäftigung. Vollbeschäftigung ist ein erklärtes Ziel. Wir wollen sie und die Standortsicherung sowohl für Europa als auch für Osterreich verstärkt im Vertrag verankern, wir verlangen ein eigenes Beschäftigungskapitel, kritische Empfehlungen der Kommission und des Bates, ein jährliches Monitoring der nationalen und regionalen Bemühungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Viertes Thema: Wir wollen den Tierschutz auf die europäische Ebene bringen und zwar aus ethischen Gründen, weil das Verhältnis zu den Tieren auch sehr viel über das Verhältnis des Menschen zu sich selbst aussagt...

DIeFurchk: ... schärfere Bestimmungen für die Tierhaltung?

SCHÜSSEL: Ja, von Legebatterien bis zu Lebendtiertransporten. Wir wollen einmal das Ziel verankern, die Umsetzung, als der entscheidende Punkt, ist dann der nächste Schritt. Das ist zum Beispiel eine österreichische Initiative.

Weiters wollen wir, daß die Rolle der Begionen, die Subsidiarität, die Bedeutung unserer Bundesländer, der kleinen Feinheiten, der Minderheiten, der Menschenrechte stärker hervorgehoben werden. Das beinhaltet eine Aufwertung des Ausschusses der Regionen mit Anhörungsmöglichkeit und Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof sowie die Aufwertung des Europäischen Parlaments. Und es geht auch darum, die Union erweiterungsfähig zu machen.

DIeFdrchE: Das ist nicht unproblematisch Wie stellen Sie sich das konkret vor? schüssel: Ich glaube, daß sich die Erweiterung - so wie in der Vergangenheit - nicht schlagartig vollziehen wird. Es wird wohl kaum zu einer plötzlichen Verdopplung der Mitgliedstaaten kommen, sondern wie bisher zu einer Erweiterung um kleine Gruppen von drei bis fünf Ländern, die beitrittswillig, aber auch beitrittsfähig sind. Das scheint mir sehr wichtig zu sein, daß die Spielregeln nicht verwässert werden. Nur wer auch beitrittsfähig ist und alle Kriterien in der Wirtschaft wie im Rechtsbestand oder in der Politik, in bezug auf Demokratie oder auf die Menschenrechte erfüllt, kann der EU beitreten. Würden wir von diesem Prinzip abgehen, würden wir ja nicht Stabilität exportieren, sondern sogar Unsicherheit in die Union importieren. Das kann ja nicht das Ziel sein. Da ist die österreichische Position eine sehr

KLARE: Wir sind zwar für die Erweiterung, aber nicht en blo-que um 15, das wäre nicht verkraftbar. Wir sind für eine viel kleinere Zahl in Etappen.

DIEFURCHE: Wie soll die EU dann ausschauen ? SCHÜSSEL: So wie bisher. Ich halte es für ganz wichtig, daß man hier in keiner Weise aufmacht und die Beteiligung der Mitgliedsländer in allen Organen der Union, ob das jetzt der Europäische Bechnungshof, der Bat der Mitgliedstaaten oder das Europaparlament ist, einschränkt. Das ist von so essentieller Bedeutung, daß wir niemals zustimmen werden, dieses Prinzip aufzugeben. Bei der Kommission kommt noch hinzu, daß das I^ntsenden von Kommissären aus jedem Mitgliedsland deshalb so wichtig ist, weil die Kommission nach dem Vertrag von Maastricht eine besondere Bolle spielt. Nur die Kommission kann Vorschläge zur Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechtes machen. Die Kommission ist gleichsam die Hüterin und Wahrerin der Verträge. Und wer das will, der muß auch dafür sein, daß jedes Mitglied drinnen vertreten ist, sonst hätten wir ein Direktorium der großen Staaten.

DIEFURCHE; Glauben Sie, daß die kleinen Länder im Zuge einer Erweiterung an Stimmengewicht gegenüber den großen Ländern verlieren werden? SCHÜSSEL: In der Praxis hat sich gezeigt, daß es nie ein Stimmverhalten der Großen gegen die Kleinen gibt, sondern es immer quer durch geht. Es gibt oft die seltsamsten Verbündeten, und das wechselt auch von Tagesordungspunkt zu Tagesordnungspunkt.

Natürlich gibt es gemeinsame Interessen der Kleinen: Kein kleines Land wird darauf verzichten, in der Kommission vertreten zu sein; andererseits wird niemand besondere Einwände erheben, wenn es zu einer Begrenzung der Zahl der Europaparlamentarier kommt, oder wenn man verschiedene Sicherheiten anbietet, um bevölkerungsreiche Staaten nicht einfach überstimmen zu können. Aber das ist ja auch jetzt nicht möglich. Ich glaube, diese Befürchtungen sind nicht begründet. Ich halte das für ein medial hochgespieltes Thema, um etwas berichten zu können.

DIEFURCHE: Österreich ist zum ersten Mal bei einer Regierungskonferenz dabei Sucht Österreich für seine Standpunkte Verbündete? schüssel: Wir stehen i n der ersten Runde der Verhandlungen, die Mitte Juni mit einem Zwischenbericht an den Europäischen Rat abgeschlossen werden. Die echten Verhandlungen beginnen erst im Herbst. Ich glaube nicht, daß man jetzt schon Verbündete suchen soll, denn letztlich soll am E,nde ein Konsens möglich sein. Bei der Abänderung der Verträge muß ja Finstimmig-keit herrschen, alle müssen der Meinung sein, daß diese Änderungen gut sind. Und deshalb können weder die kleinen noch die großen Staaten überstimmt werden oder umgekehrt. Alle sind aufeinander angewiesen.

DIEFURCHE: Was tut Österreich für bessere Umweltstaruiards? schüssel: Wir setzen uns dafür ein, daß die Einzelländer auch höhere Umweltstandards beibehalten können. Also daß es Mindeststandards im Umweltbereich gibt, die aber von einzelnen übertroffen werden können. Ob dieser Punkt konsensfähig ist, wird man sehen. Wir wollen das jedenfalls einbringen.

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