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Kein Ende der Irrtümer

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Leider muß man, sobald die landwirtschaftlichen Sozialfragen angeschnitten werden, das Dementieren fortsetzen. Es scheint kein Ende der Irrtümer zu geben, die über die Landwirtschaft in der Öffentlichkeit verbreitet sind. Die in Österreich so beliebte Ideologie der kleinen Verhältnisse verleitet dazu, im Gegensatz zur Anprangerung des „Großagrariers“ den Kleinstbetrieb als typisch für die österreichische Landwirtschaft anzusehen. Bei einer objektiven Betrachtung muß man auch das wieder für unrichtig erklären, wenn man von der Wirtschaftsfläche ausgeht. Von der selbstbewirtschafteten land- und forstwirtschaftlichen Gesamtfläche im Umfang von 7,684.000 Hektar entfallen auf die Mittelbetriebe mit 10 bis 100 Hektar 48 Prozent, auf die Großbetriebe mit mehr als 100 Hektar 14,3 Prozent und auf die Klein- und Zwergbetriebe unter 10 Hektar nur 11,7 Prozent. Berücksichtigt man, daß die forstwirtschaftlichen Betriebe größere Flächen aufweisen, ohne daß sie damit etwa „reicher“ würden, und betrachtet man daher die eigentliche landwirtschaftliche Nutzfläche allein, so ist das Überwiegen der Mittelbetriebe mit 10 bis 100 Hektar noch deutlicher: von der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche entfallen nämlich auf die Mittelbetriebe 61,7 Prozent, auf die Großbetriebe 20,8 Prozent und auf die Klein- und Zwergbetriebe 17,5 Prozent. Der Mittelbetrieb steht somit nach den ab soluten und relativen Zahlen der landwirtschaftlichen Nutzfläche weit voran. Er ist fast immer identisch mit dem Familienbetrieb, der den Kern der heutigen Landwirtschaft bildet.

Von der forstwirtschaftlich genutzten Fläche entfallen dagegen 54,7 auf die Großbetriebe und nur 6,5 Prozent auf die Klein- und Zwergbetriebe. Man muß aber hier in Rechnung stellen, daß der weitaus größte Waldbesitzer der Bund selbst ist, dann die öffentliche Hand und das Genossenschaftswesen, so daß auch hier die Mittelbetriebe mit einem Anteil von 38,8 Prozent als sozial entscheidender Faktor angesehen werden können. Demgegenüber ist es weniger bedeutsam, daß von den 396.530 land- und forstwirtschaftlichen Betrieben der Zählung 1960 239.351, das sind rund 60%, auf die Klein- und Zwergbetriebe entfielen. Denn dieses Überwiegen der Kleinbetriebe in der Betriebszählung ergibt sich durch die Masse von Nebenerwerbsbetrieben, die insgesamt nur über eine geringe Gesamtfläche verfügen. Nach der damaligen Zählung gab es in Österreich rund 203.000 land- und forstwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe, wovon rund 90 Prozent als Familienbetrieb anzusehen sind. Sie bilden den eigentlichen starken Kern der Landwirtschaft in sozial- und wirtschaftspolitischer Hinsicht. Womit eine sehr wichtige Feststellung getroffen ist. Die Statistik dementiert bei richtigem Lesen nämlich die

Behauptung, daß das Sozialgefüge der österreichischen Landwirtschaft vom Kleinbetrieb beherrscht ist. Mit der Richtigstellung der sozialpolitischen Perspektive ergeben sich freilich auch ganz andere Beurteilungen der Landwirtschaft überhaupt. Es dürfte zweckmäßig sein, wenn man sich allmählich in der österreichischen Öffentlichkeit mit den realen Tatsachen der Landwirtschaft vertraut macht und nicht Phantomen, emotionell bedingten Fehlvorstellungen und Falschmeinungen nachhängt.

Strukturwandlung kostet Geld

Setzen wir die Dementis fort! Überprüft man das Kapitalgefüge der Landwirtschaft und ihre finanziellen Leistungen seit dem letzten Weltkrieg, dann kommt man zum Beispiel zu einem anderen sehr erstaunlichen Ergebnis, nämlich zu der Feststellung, daß das Gerede, die Landwirtschaft lebe einzig und allein von Subventionen, ausgesprochen lächerlich ist. Die österreichische Landwirtschaft hat, nach sehr sorgfältigen Schätzungen, in den vergangenen 20 Jahren rund 20 Milliarden Schilling an Eigenmitteln und weitere 20 Milliarden Schilling an rückzahlungspflichtigen Krediten aufgebracht, um die eigene Struktur den modernen Verhältnissen des technischen Zeitalters anzupassen. Von diesen insgesamt rund 40 Milliarden sind nur 10 Milliarden, also ein Viertel, begünstigte Kredite gewesen, für die aus staatlichen Mitteln Zinsenzuschüsse in der Höhe von rund 700 Millionen Schilling geleistet wurden. Das ist der ganze, zum Kapitalaufwand der Landwirtschaft geleistete Subventionszuschuß. Seine Höhe entspricht dem verlorenen Kredit aus staatlichen Mitteln eines einzigen Jahres für einen bestimmten Betrieb der Verstaatlichten Industrie.

In diesen nüchternen Zahlen drückt sich eine ungeheure Leistung und zwar eine solche sozialpolitischer'Natur auš. Praktisch handelt es sich' nämlich tim' die Finanzierung von Investitionen zur sozialen Strukturänderung. Im Zeitraum 1954 bis 1965 mußte die Landwirtschaft für jede ausscheidende Arbeitskraft 130.000 Schilling für Maschineninvestitionen aus eigener Kraft aufbringen. Für diese stille Subvention, die die Landwirtschaft mit dem Transfer von Arbeitskräften an andere Wirtschaftszweige diesen Branchen zukommen ließ, erhielt sie keine Abgeltung. Das erklärt auch, daß die Landwirtschaft trotz gewaltiger Produktionsleistungen noch immer hinter den Einkommenssteigerungen der anderen Berufsgruppen zurückgeblieben ist. Die Sozialprobleme der Landwirtschaft und ihre Sozialleistungen stellen sich somit in einem völlig anderen Licht dar, wenn man sie aus der Phrase herauslöst und an Hand sachlich einwandfreier Zahlen betrachtet.

Hier ist die Stelle, an der auch ein anderes häufig geäußertes Sozialurteil der Öffentlichkeit über die Landwirtschaft zu berichtigen ist: Es gehört heute geradezu zum guten Ton, der Landwirtschaft Antiquiert- heit und Erstarrung vorzuwerfen. Abgesehen davon, daß die Landwirtschaft mit ihrer Motorisierung und Technisierung wohl den Rekord unter allen Wirtschaftszweigen hält, ist nicht zu übersehen, daß in der Abwanderung von 20.000 bis 24.000 Arbeitskräften pro Jahr aus der Landwirtschaft in andere Berufszweige und dem Ersatz dieser Arbeitskräfte durch Maschinen innerhalb der Landwirtschaft eine soziale und sozialpsychologische Beweglichkeit zum Ausdruck kommt,

die man in anderen Wirtschaftszweigen nicht findet. Man sage nicht, daß die Landwirtschaft mit der Abwanderung bloß einem sozialen Zwang folge. Dieser Zwang liegt auch bei anderen Berufszweigen vor, zum Beispiel beim Bergbau. Aber welche Schwierigkeiten bereitet es dort, auch nur einige hundert Personen zum Wechsel ihres Berufes zu veranlassen, während es in der Landwirtschaft ohne Aufhebens Hunderttausende sind. Wenn man von Anti- quiertheit der Agrarmethoden spricht, so möge doch in Betracht gezogen werden, daß die heutige Gewerbeordnung aus dem Jahre 1859, die Marktordnung dagegen aus dem Jahre 1959 und das Landwirtschaftsgesetz — gewissermaßen die Verfassung der Landwirtschaft — aus dem Jahre 1960 stammen. Wem der Preis der Modernität hier zufällt, ergibt sich aus den Jahreszahlen.

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