Kein Recht auf faule Opposition

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Das Beispiel Grundsicherung zeigt den Mangel der Opposition an politischer Gestaltungskraft.

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Das Beispiel Grundsicherung zeigt den Mangel der Opposition an politischer Gestaltungskraft.

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Die Opposition gewinnt Wahlen, und auch in Umfragen hält Rot-Grün derzeit eine knappe Mehrheit. Trotzdem, nach wie vor kann keine Rede davon sein, dass die angestrebte und angekündigte Themenführerschaft in ihren Händen liegt, sie die Regierung diesbezüglich gefährden könnte. Die gefährdet und schadet sich durch koalitionsinterne Streitereien (siehe Kindergeld), Schlampereien (siehe Ambulanzgebühr) und haarsträubende Nachlässigkeiten (siehe Causa Fabel) noch immer selbst am meisten. Nicht an Möglichkeiten zur Kritik fehlt es - die Regierungsarbeit ist alles andere als fehlerlos. Woran es mangelt, ist kreative Oppositionspolitik, der es gelingt, ihre Botschaft in die Bevölkerung zu tragen.

Alfred Gusenbauer und Alexander Van der Bellen: Der eine vergisst - vor lauter Druck und Eifer, sich in der eigenen Partei als Kanzlerkandidat zu profilieren -, dass er sich zuerst als bissiger Oppositionsführer bewähren muss. Der andere benimmt sich "nach außen staatstragend wie ein Altbundespräsident", brachte es letzte Woche der Philosoph Oliver Marchart in der Zeitschrift Kulturrisse überzeugend auf den Punkt. Die Grünen könnten ihre Stimmengewinne beim Zustand der Regierung und der SPÖ auch "mit einem Besenstiel als Spitzenkandidaten einfahren - ein Ideal, dem ihr gegenwärtiger Spitzenkandidat bedenklich nahe kommt", spottet Marchart nicht zu Unrecht weiter. Statt Besenstielen wären aber zwei starke Oppositionsbesen, die ordentlich kehren, gefragt.

Bisher präsentieren sich Gusenbauer und Van der Bellen als honorige Anwärter für jedes Kabinett. Gusenbauer vergisst, seinem politischen Vorbild nacheifernd, dass dieser nicht ein Leben lang nur Kanzler war, und orientiert sich zuviel an Kreisky II, ohne vorher Kreisky I annähernd gerecht geworden zu sein.

Der Wirtschaftsprofessor wiederum vergisst nie, dass er Wirtschaftsprofessor ist und liefert jede politische Vision schon mit der dazugehörigen Kostenrechnung ab. Brav, den Finanzminister freuts, die Visionen fallen dafür um einiges mickriger aus. Dabei ist es ja nicht so, dass beiden die geforderte Besenrolle nicht zuzutrauen wäre. Oder ist es bloß nützliche Koketterie für die eigenen Reihen oder Reminiszenz an die idealistische Jugendzeit, wenn die Oppositionschefs hin und wieder den Eindruck vermitteln wollen, sie hätten schon einmal eine Ahnung vom Geschmack der Revolution verspürt?

Es kann auch sein, dass Österreich, Oppositionspolitik betreffend, geschädigt ist. Nach Jahren freiheitlicher Fundamentalopposition ist es schwierig, dieses Terrain anders und dabei doch erfolgreich zu besetzen. Rot und Grün können nicht, dürfen nicht und wollen hoffentlich nicht - von Ausrutschern abgesehen, die Ausrutscher bleiben müssen -, so Opposition betreiben wie Haider und seine Partei es betrieben haben. Wie aber dann?

Beispiel Grundsicherung: Klassischer Fall eines oppositionellen Rohrkrepierers! Die SPÖ lässt Anfang des Monats aufhorchen. Bedarfsorientierte Grundsicherung in Höhe von 8.437 Schilling für alle und ein Mindesteinkommen von 1.000 Euro (13.760 Schilling) für unselbstständige Vollzeitarbeit, schlägt Vorsitzender Gusenbauer als wirksames Mittel zur Armutsbekämpfung vor.

Kaum wirklich Neues, alles schon da gewesen, auch wenn jene, die es einmal forderten, mittlerweile nicht mehr da sind. "Willkommen im Boot" ätzen deshalb alle zu Recht, die ein Grundeinkommen schon zu anderen Koalitionszeiten gefordert hatten. Schwamm drüber, und was interessieren mich die Fehler meiner Vorgänger, sagt sich Gusenbauer, zieht alle Register der Oppositionsorgel und? - Nichts!

Ein paar Meldungen in der Presseagentur, ein Zweispalter in den Tageszeitungen, die politischen Magazine des Landes sind gerade mit Schönheit aus der Tube, Allergien und Superbabys beschäftigt - da ist kein Platz für Armutsbekämpfung am Cover. Allein auf den Reflex des politischen Gegners ist Verlass. Kanzler Wolfgang Schüssel klassifiziert den Oppositionsvorschlag als "Politik von vorgestern" ab, und VP-Sozialsprecher Gottfried Feurstein spricht von Gleichmacherei. Außerdem beschäftigt sich bereits eine Expertenkommission der Regierung mit dem Thema. Die wird zu gegebener Zeit sagen, was zu machen ist - und so wirds dann gemacht!

Was ist falsch gelaufen? Warum ist es nicht gelungen, die Armutsbekämpfung zum politischen Thema Nummer eins zu machen und eine breitgefächerte Diskussion, einen Meinungsbildungsprozess bei Politikern und Bevölkerung auszulösen? Liegt es nur an der Performance? Können es die Roten einfach nicht? Hätte Gusenbauer im Gegensatz zum deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder das "Recht auf Faulheit" - mit dem für viele ja ein Grundeinkommen korreliert - vehement verteidigen sollen?

Nein, aber es ist zu wenig, wenn Gusenbauer ein Expertenkonzept verliest. Er muss dazusagen, welche Hoffnungen er mit einem Grundeinkommen verknüpft. Vielleicht sieht er ja im Grundeinkommen den Ausweg aus einer Gesellschaft, die Leistung zum Selbstzweck erklärt hat. Meint er womöglich, ein Grundeinkommen könnte zum Ausdruck bringen, dass ein Mensch nicht erst durch die Gegenleistung für die Gesellschaft beginnt, Mensch zu werden. Eventuell ist er ja auch davon überzeugt, dass Grundsicherungen nicht zur Finanzierung von Freizeit dienen, sondern autonome Tätigkeiten außerhalb der Marktökonomie fördern sollen.

Gusenbauer hat nur nachgebetet, was Experten vorgerechnet haben. Das Warum, die Perspektive, die Vision blieb er schuldig. So muss Oppositionspolitik scheitern. Politiker, die verständlich sagen, warum es wohin gehen soll, brauchte es in Opposition und Regierung. Denn "Besenstiele", die nur Experten rezitieren, gibt es schon mehr als genug.

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