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Kinder: Ein Privileg der Reichen?

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Einen Rückschritt statt der erwarteten Verbesserungen gab es in Österreichs Familienpolitik am Ende dieses Internationalen Jahres der Familie.

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Einen Rückschritt statt der erwarteten Verbesserungen gab es in Österreichs Familienpolitik am Ende dieses Internationalen Jahres der Familie.

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Das von den Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP geschnürte Sparpaket muß wohl massiven gesellschaftspolitischen Sprengstoff enthalten. Ansonsten würde der stets besonnen formulierende Bischof von Feldkirch, Familienbischof Klaus Küng, nicht von einer „sozialen Schande“ für ein wohlhabendes Land wie Österreich sprechen, in dem die Gründung einer Familie zu einem „Privileg der Reichen“ werde. Dabei geht es „nur“ um rund zwei Milliarden Schilling, die die Familien künftig jährlich weniger bekommen.

Seit Jahren kritisieren die Famili- enlobbies wie Katholischer Familienverband, ÖVP-Familienbund, Freiheitlicher Familienverband und die sozialistischen Kinderfreunde die Versäumnisse der Familienpolitik der Regierung. Trotzdem beschwor die Koalition noch 1990 die Wichtigkeit der finanziellen Unterstützung der Familie, wohl wissend, daß der Familienlastenausgleichsfonds immer mehr zur budgetären Umschichtung mißbraucht wurde:

„Die Bundesregierung bekennt sich zur Familie als soziale Gemeinschaft, die eine den wichtigsten Grundlagen des Staates ist. Sie bekennt sich zur Fortsetzung einer Fa-, milienpolitik, die Rahmenbedingungen schafft, die es den Menschen 'Ermöglichen, ihre Lebensbedürfnisse und Lebensplanung mit dem Kinderwunsch zu verbinden .“

VERSÄUMTE REFORM

Trotz dieser hehren Beteuerungen wurden etwaige Reformvorhaben entweder von einem der beiden Regierungspartner behindert oder durch eine schwache (ÖVP-)Famili- enministerin beziehungsweise durch einen starrköpfigen (SPÖ-)Finanz- minister, überhaupt nicht erst ermöglicht. Familienministerinnen traten bei unverbindlichen Zusagen groß in Erscheinung, hüllten sich aber ansonsten eher in Schweigen, wenn es um eklatante Verstöße gegen die Familienpolitik ging.

Finanzminister Ferdinand Lacina zog Ende August 1994 sogar seine Beamten aus dem Finanzministerium kommentarlos aus einer vielversprechenden FL AF-Reform gruppe zurück. Hintergrund des Rückzugs: Die Studie über den Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) von Professor Christoph Badelt von der Wirtschaftsuniversität Wien weist den Mißbrauch des FLAF für budgetpo litische Kosmetik zuungunsten der heimischen Familien nach. Gerade der Miöbkauch des FLAF ist jener Punkt, der die Familienlobbies immer wieder in Rage versetzt.

Dieser war „ursprünglich nicht als Teil des Staatsbudgets gedacht“, so der Präsident des Katholischen Familienverbandes (KFÖ), Frieder Herrmann. Er sollte die Lasten, die Familien im Interesse aller tragen, ausgleichen. Doch seit den siebziger Jahren hätten die „jeweiligen Finanzminister die Mittel des FLAF hemmungslos verschwendet und zur Budgetsanierung mißbraucht“.

Als „größten Skandal“ bezeichnet der KFÖ den Umstand, daß „die Regierung die Familien für ihre Mißwirtschaft büßen“ lasse. Denn statt „den FLAF rechtzeitig, wie vom KFÖ immer wieder gefordert, neu zu strukturieren, beginnt sie, die Familienbeihilfen zu kürzen“.

Die Entwicklung des FLAF, so Herrmann, ist eine „Geschichte des ständigen Betrugs an den Familien“. So verringerten sich etwa in den letzten 15 Jahren die Ausgaben für die Familien- und Geburtenbeihilfe von rund 86 Prozent auf 72 Prozent. Zudem überwies der FLAF in den letzten 15 Jahren rund 115 Milliarden Schilling an andere öffentliche Fisken (Pensionsversicherung, Kran-kenversicherung, Arbeitslosenversicherung). Die kritische Lage des FLAF selbst ist durch die Senkung der Dienstgeberbeiträge unter Bruno Kreisky von ursprünglich sechs auf 4,5 Prozent, die gleichzeitige Anhebung der Pensionsbeiträge und Selbstträgerschaft entstanden. Denn hätten die Dienstgeberbeiträge nur ein halbes Prozent mehr, nämlich fünf Prozent betragen, dann hätte der Reservefonds mit 79 Milliarden Schilling dotiert werden können. Allein durch die Kürzung der Dienstgeberbeiträge verlor der FLAF von 1978 bis 1992 110 Milliarden Schilling.

Durch das neue Sparpaket werden „nur“ rund zwei Milliarden Schilling an den Familien eingespart. Durch die Selbstträgerschaft (Bund, Länder und Gemeinden über 2000 Einwohner zahlen „nichts“ in den FLAF ein, erhalteh aber daraus die Familienbeihilfe für ihre Bediensteten) allein entgingen dem FLAF im Jahr 1995 rund 1,7 Milliarden Schilling. Absurd: Hätte die Regierung schon 1993 die Selbstträgerschaft aufgehoben, müßte sie 1995 nicht die geplanten 1,5 Milliarden bei den Familien einsparen.

GERINGE PENSION ALS STRAFE

Als äußerst „ungerecht“ bezeichnet der KFÖ die Tatsache, daß die heimische „Steuerpolitik nicht beachtet, wieviele Personen von einem Gehalt leben müssen“. So zahlen Mehr-Kind-Familien, die von einem Einkommen leben müssen, „jährlich einen durchschnittlichen Monatslohn mehr Lohnsteuer als Doppelverdiener“. In Österreich ist auch, so Herrmann, nicht einmal das Existenzminimum für Kinder steuerfrei.

Eltern müssen im Gegensatz zu Kinderlosen Erwerb und Familienarbeit vereinen. Elternteile, die sich mehrere Jahre der Kindererziehung oder Pflege eines Angehörigen gewidmet haben, werden durch eine geringe Pension bestraft.

Treffender als Karl-Heinz Ritschi schon 1991 in den „Salzburger Nachrichten“ kann man das Dilemma der „Familienpartei“ ÖVP nicht mehr formulieren: „Bei der Diskussion um die Angleichung des Pensionsalters der Frauen an jenes der Männer gibt es die richtige familienpolitische Absicht, die Jahre der Kindererziehung für die Pension berufstätiger Frauen anzurechnen. Prompt meldete sich die Vorsitzende der Gewerkschaft Frauen, Irmgard Schmidtleitner, zu Wort und meinte, eine solche Angleichung der Kindererziehung sei eine Schlechterstellung für kinderlose Frauen. Das ist eine so ungeheuerlich dumme und familienfeindliche Aussage, daß man wohl einen Aufschrei hätte erwarten können. Vor allem aus der familienfreundlichen Volkspartei. Doch siehe da - Schweigen im Walde.“

Seit damals hat sich an dieser Ungerechtigkeit nichts geändert. Im Klartext: Je länger eine Frau haupt beruflich ihre eigenen Kinder erzieht, desto geringer ist ihre Pension.

Es ist wohl kein Zufall, daß im Sparpaket der Regierung der sogenannten „Schüler-Freifahrt“ weniger Augenmerk geschenkt wird als der „Gratis-Schulbuch-Aktion“, beides schönfärberische Begriffen, da hinter „gratis“ und „frei“ rund fünf Milliarden Schilling stecken. Während für die Gratis-Schulbücher 1992 rund 950 Millionen Schilling aufgewendet wurden, belief sich der Aufwand für die Schüler-Freifahrt auf rund 3,4 Milliarden Schilling.

Und künftig dürfen Österreichs Familien nach den Vorstellungen der Regierung mit einem Selbstbehalt von zehn Prozent rechnen. Sollte der Selbstbehalt bei den Schulbüchern kommen, wären wieder Eltern mit mehr Kindern benachteiligt, kritisiert Herrmann. Aktuellen Berechnungen zufolge ergebe der Selbstbehalt eine Mehrbelastung von 100' bis 200 Schilling bei Volksschülern und 400 bis 500 Schilling für jeden Schüler in AHS und BHS.

Hingegen wäre bei der Schüler- Freifahrt zu hinterfragen, warum nicht endlich die großzügigen Subventionen der Verkehrsbetriebe aus den Mitteln des FLAF gestrichen werden. Denn der Preis einer Schülerstreckenkarte, ist absurderweise höher als eine Erwachsenenkarte. Während die Ausgaben pro Schüler bei den Schulbüchern in den letzten 20 Jahren um 138 Prozent (1972: 401 Millionen, 1992: 954 Millionen Schilling) anstiegen, steigerten sich die Kosten der Schüler-Freifahrt gar um 1.051 Prozent (1972: 295 Millionen, 1992: 3.395 Millionen Schilling).

EIN RECHENBEISPIEL

Ein Beispiel: Aus dem FLAF wurden in Wien 1993 pro Schülerstrecke 4.230 Schilling bezahlt. Zusätzlich zahlten die Eltern pro Schüler für eine Zusatzmarke zur ganztägigen Benützung weitere 550 Schilling. Insgesamt kostete eine Schülernetzkarte also 4.780 Schilling. Im Vergleich dazu bezahlten Erwachsene für eine Jahresnetzkarte nur 4.400 Schilling. Herrmann fordert, daß die „Verkehrsbetriebe den Schülern endlich Kindertarife verrechnen sollen und nicht mehr als die Erwachsenentarife.“ Schließlich werden immer weniger Kinder zu immer höheren Preisen befördert...

Es verwundert nicht, wenn nunmehr der KFÖ das „Internationale Jahr der Familie 1994“ als „Annus horribilis“ für die Österreichs Familien bezeichnet.

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