7122411-1996_42_14.jpg
Digital In Arbeit

Kinder, Küche und Computer

Werbung
Werbung
Werbung

Derzeit vollzieht sich ein Wandel vom Prinzip des Industriezeitalters „Arbeitskräfte an den Ort der Arbeit”, zu einem neuen Grundsatz: „Die Arbeit zum Wohnort der Arbeitskräfte”. Der Ort der Arbeitsverrichtung wird in Zukunft, bedingt durch die neuen Kommunikationstechnologien, immer unwichtiger. Gearbeitet wird großteils zu Hause. Telearbeiter, Unternehmer und vor allem dünn besiedelte Regionen, so meinen Befürworter dieser neuen Art von „Heimarbeit”, werden davon enorm profitieren:

■ Die Schaffung solcher Arbeitsplätze verbessert die Chancengleichheit zwischen Stadt und Land, die Landflucht kann gemindert werden.

■ Durch die Auslagerung von Arbeitsplätzen wird der Pendlerverkehr reduziert. Kosten und Zeit werden eingespart, was sich wiederum positiv auf die Umwelt auswirkt.

■ Als positives Argument für Tele-heimarbeit gilt, daß sich Familienleben und Beruf besser verbinden lassen. Die Arbeit kann auf den individuellen Arbeitsrhythmus abgestimmt werden. Dadurch wird die Konzentration gesteigert, die Effizienz durch ungestörtes Arbeiten verbessert und die Motivation durch größere Eigenverantwortungtund flexiblere Arbeitszeit erhöht.

Soweit die optimistische Beurteilung dieser Entwicklung. Eine Pilotstudie des Österreichischen Institutes für Familienforschung hat auch gezeigt, daß die Lebensqualität durch Telearbeit tatsächlich zunimmt.

Michael Kinn, Mitarbeiter der Studie: „Die von uns untersuchten Telearbeiter waren mit ihrer Situation sehr zufrieden.” Allerdings betont Kinn, daß ein wesentlicher Faktor für die Zufriedenheit die freiwillige Entscheidung für Telearbeit ist. Es bedarf auch der Unterstützung und desEinverständnisses der Familie.

Skeptiker befürchten dagegen eine ganze Beihe von Nachteilen für Telearbeiter, insbesondere wenn die Arbeit von zu Hause aus erledigt wird:

■ Das Bisiko zur „freiwilligen Selbstausbeutung” ist besonders hoch, etwa wenn trotz

Krankheit „nebenbei” am Bildschirm gearbeitet wird, oder wenn der Telearbeiter seine Arbeit am Wochenende fortsetzt. Mangelnde berufliche Anerkennung kann darüber hinaus zu Frustration führen (siehe Seite 15).

■ Telearbeit ist in vielen Bereichen gesetzlich ungeregelt. Beispielsweise ist es schwierig zu klären, wann es sich um einen Arbeits- und wann um einen Freizeitunfall handelt und wie da die soziale Absicherung erfolgt.

■ Die weibliche Arbeitskraft als „feminine Beservearmee” und die stärkere Doppelbelastung von Beruf und Familie kann sich besonders für Frauen negativ auswirken.

■ Oft ist mit der Firma nicht eindeutig ausgemacht, wer die Kosten für Telefon, Computer, Heizung oder Miete trägt. „Das kann sich ganz schön zusammenläppern”, erklärt Roland Alton-Scheidl, Mitarbeiter der Forschungsstelle für Sozioökono-mie an der Österreichischen Akade'-mie der Wissenschaften in Wien. Alton-Scheidl, der sich seit längerem mit Telearbeit beschäftigt, kritisiert, daß diese Art der „Heimarbeit” oft zu Laster! der Arbeitnehmer gehe, da diese die Kostenverantwortung zu tragen haben. „Wer zu Hause Telearbeit macht, der rechnet meist falsch. Telearbeiter lügen sich ein bißchen selbst in die Tasche.”

Die Mitbestimmungsmöglichkeiten innerhalb der Firma und der Kontakt zu Kollegen gehen verloren. — Außerdem bestehe die Gefahr, daß Telearbeiter bei Gehaltserhöhungen und ßeförderun-gen leichter übersehen werden. Alton-Scheidl empfiehlt daher Telear-beitern, drei Tage pro Woche in einem Telearbeitszentrum zu arbeiten und zwei Tage ins Büro zu gehen. „Das ist eine sozial abgefederte Variante”.

Auch Renate Czeskleba, Mitarbeiterin im Referat Humanisierung, Technologie und Umwelt des Österreichischen Gewerkschaftsbundes warnte bei einer Diskussion zum Thema „Arbeitswelt 2000” davor, daß „durch Telearbeit eine zweite Sorte von Arbeitnehmern entstehen, die andere Rechte, Möglichkeiten, Versicherungen und schlechtere Urlaubs-bedingungen hat als Angestellte, die das Glück haben, m einem Unternehmen zu arbeiten.”

Daß durch Telearbeit die Umwelt geschont werden kann, hält Alton-Scheidl für eine Illusion. Der Einsparungseffekt beim Verkehr wäre nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein.” Eine Untersuchung in Niederösterreich habe gezeigt, daß Telearbeiter vermehrt in der Freizeit das Auto benützen, wenn sie es weniger für die Arbeit brauchen.

Trotzdem ist Alton-Scheidl der Ansicht, daß Telearbeit Zukunft hat und eine wünschenswerte Form der Arbeit ist, wenn sie richtig durchgeführt wird. Vor allem im persönlichen Rereich kann sie sehr positive Auswirkungen haben. „Es hat sich gezeigt, daß bei projektbezogenen Arbeiten die Produktivität um 20 Prozent gestiegen ist”.

Prinzipiell unterscheidet der Wissenschafter zwischen zwei Formen von Telearbeit:

■ Die hochqualifizierte Arbeit von Wissenschaftlern, Journalisten, Kundenberatern, Architekten, Anwälten, Übersetzern, Versicherungssachbearbeitern oder Programmierern.

■ Einfache Telearbeitsformen, etwa die Eingabe von Daten.

Letztere, so ist Alton-Scheidl überzeugt, wird in Österreich aber keine Zukunft haben, da sie ins billigere Ausland verlagert wird. Die AUA beispielsweise haben ein solches Büro in das viel billigere Indien verlegt.

Die EU fördert intensiv den Ausbau von Telearbeit. Nach den Vorstellungen der Kommission soll sie dazu beitragen, die derzeit bestehende Arbeitslosigkeit abzubauen. Bis zum Jahre 2000 sollen rund 40 Milliarden Schilling in die Telearbeit investiert werden (siehe Seite 17).

Dieses Engagement ist ein Teil eines 1.000-Milliarden-Schilling-Paketes, das zur Entwicklung von europaweiten Telekommunikationsnetzen in den vier Hauptbereichen Telearbeit, Telebildung, Telegesund-heitswesen und Televerwaltung bereitgestellt wurde. In der Bonner Untersuchung „Empirica” wird das Potential an Telearbeitern europaweit auf zehn Millionen geschätzt. Insgesamt, so die Studie, existieren derzeit 1,25 Millionen Telearbeitsplätze in Europa. Großbritannien hat mit über einer halben Million Telearbeitern eine Vorreiterrolle übernommen. An zweiter Stelle steht Frankreich mit rund 220.000 „Heimwerkern”, gefolgt von Deutschland, Spanien und Italien.

Österreich ist weit abgeschlagen, -1-Telearbeit steckt bei uns noch in den Kinderschuhen. Erich Lifka, kaufmännischer Leiter des Telezentrums Wien-Floridsdorf: „Nach Österreich kommt Telearbeit mit der üblichen Verspätung. Hier ist jetzt wichtig, die Schwellenangst abzubauen.”

Daß diese Schwellenangst nicht ganz unberechtigt ist, zeigt eine noch unveröffentlichte Studie einer Expertengruppe, die im Auftrag des Sozialministers die sozialen Folgen von Telearbeit, Telebanking, Teleinsuring und Teleselling untersuchte. Fazit: „Es ist davon auszugehen, daß vor allern kurzfristig eine gewisse Gefahr für negative Beschäftigungseffekte gegeben ist ... Diese neuen Dienste sind nur teilweise zusätzliche Dienste und werden deshalb auch den Druck auf bestehende Arbeitsplätze verstärken.”

Ähnliches liest man in einer von der Schweizer Begierung in Auftrag gegebenen Studie: Die Telekommunikation wird zwar vorerst 100.000 bis 500.000 Arbeitsplätze in der Schweiz wegrationalisieren, aber dafür gleichzeitig 130.000 bis 500.000 neue schaffen. Bis zum Jahr 2025 wird es fünf bis 15 Prozent „Heimarbeiter” geben.

Der Mensch, so die Studie, wird wieder einen Status wie im 19. Jahrhundert erreichen, wo Arbeitsplatz und Wohnung beisammen waren. Die Familie kann wieder öfter zusammen sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung