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Koalitionsbudget 1964

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Mit der Rede des Finanzministers Dr. Korinek vor dem Nationalrat am 30. Oktober wurden die parlamentarischen Budgetberatungen für das Jahr 1964 eröffnet. Gleichzeitig erlischt mit diesem Datum die Geheimhaltungsfrist bezüglich der Einzelheiten des Voranschlages, über deren Wert und demokratische Berechtigung man verschiedener Meinung sein kann. Auch die Abgeordneten haben den — umfangmäßig einem Buch gleichenden — Entwurf nunmehr erst ausgefolgt bekommen und nehmen sich sehr richtig noch einige Tage — nämlich bis 4. November — zur Vertiefung in das Zahlenlabyrinth Zeit, bevor sie in die sogenannte Erste Lesung der Regierungsvorlage eintreten werden. Das Hohe Haus wird zweifellos gyt daran tun, dem fristgerecht eingebrachten Budgetentwurf größte Aufmerksamkeit zuzuwenden, denn schon jetzt, da noch kaum Einzelheiten bekannt sind, geschweige denn gründlich überlegt sein können, schwankt die Beurteilung — von der Parteien Gunst und Haß verwirrt; wobei diesmal das Wort „Parteien“ nicht wörtlich zu nehmen ist, denn mehr noch handelt es sich um Gruppen innerhalb der politischen Lager.

Das staatliche Budget greift tief in das Leben der Wirtschaft und unter Umständen auch erheblich in die Gebarung privater Haushalte ein. Die Beurteilung der Qualität eines Staatsvoranschlages ist daher immer stark „standortbedingt“. Immerhin gibt es drei sozusagen klassische Merkmale, nach denen sich die Gediegenheit eines Bundesvoranschlages erweisen sollte; es sind dies die Merkmale der Budgetwahrheit, der Budgetklarheit und der wirtschaftlichen Angemessenheit. Die Anwendung dieser Kriterien wird sich auch für das Budget 1964 empfehlen, das mit Ausgaben von 56,7 Milliarden Schilling im ordentlicher! Haushalt und 3,4 Milliarden Schilling im außerordentlichen Haushalt einen Gesamtrahmen von 60.1 Milliarden Schilling — und damit abermals eine bedeutende Ausweitung des Staatshaushaltes — aufweist.

Die Budgetwahrheit erfordert sogleich eine ergänzende Anmerkung: entsprechend einem Wunsche des Nationalrates wurden im Bundesvoranschlag einige Doppelbudgetierungen beziehungsweise sogenannte Durchlaufposten ausgeschieden. Bei einem Vergleich mit dem Bundesvoranschlag für das laufende Finanzjahr, der in der ordentlichen Gebarung Ausgaben von 56,5 Milliarden und in der außerordentlichen Gebarung Ausgaben von 2,8 Milliarden Schilling vorsah, muß dies berücksichtigt werden. Hätte man den Budgetentwurf für 1964 in gleicher Weise erstellt wie den Bundesvoranschlag für das laufende Jahr, so müßte der Gesamtausgabenrahmen für 1964 rund 62,5 Milliarden

Schilling betragen, gegenüber 59,3 Milliarden Schilling im Jahr 1963.

Wird die Gesamtsumme der staatlichen Ausgaben derartig erweitert, dann stellt sich natürlich unweigerlich die Frage nach der Bedeckung. Wie inzwischen bekannt wurde, standen mehrere Steuererhöhungen sowie eine Erhöhung des Sozialversicherungsbeitrages in der Bundesregierung zur Diskussion. Proporzgetreu wurde schließlich im wesentlichen von beidem Abstand genommen. Ob die Wahrhaftigkeit nicht das Gegenteil gefordert hätte? Auf die Dauer ist es zweifellos ein unehrliches Spiel, immer mit der Binsenwahrheit Stimmung zu machen, daß der Staat, um mehr Geld ausgeben zu können, erst in fremde Taschen greifen müsse. Es gibt eben Gemeinschaftsaufgaben, die nicht vom einzelnen wahrgenommen werden können; durch die Erfüllung solcher Gemeinschaftsaufgaben wird der einzelne im allgemeinen — selbst wenn er für die materielle Bedeckung aufkommen muß — nicht ärmer, sondern reicher! Die Frage der Abgrenzung der Gemeinschaftsaufgaben gegenüber der Eigenverantwortlichkeit des einzelnen mag schwer zu lösen sein und zu vielen Meinungsverschiedenheiten Anlaß geben. Eines aber ist sicher nicht möglich: Die Gemeinschaftsauf gaben und damit die Staatsausgaben dauernd zu erweitern, den Konsequenzen für die Einnahmenseite des Staatsbudgets aber nicht Rechnung zu tragen.

Ebenso sollte man freilich bei sozialpolitischen Maßnahmen — wie etwa der beabsichtigten Rentenerhöhung — nicht vergessen, daß die Einrichtungen der Sozialversicherung ihr Entstehen echten Solidar- aktionen und Selbsthilfeeinrichtungen der Arbeitnehmerschaft verdanken. Man kann daher auch auf diesem Gebiet nicht immer wieder an sich erfreuliche Verbesserungen durchführen und damit Ausgabenerhöhungen bewirken, ohne auf die finanzielle Lage der Versicherungsinstitute Rücksicht zu nehmen. Der Notruf der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, der gerade in diesen Tagen Aufsehen erregte, sollte ebenso wie die Ausführungen des Präsidenten des Hauptverban- des der Sozialversicherungsträger, Hillegeist, Anlaß zu einer ernsten Gewissenserforschung bieten. Im übrigen gilt mit tödlicher Folgerichtigkeit: Je mehr man das Solidaritätsbewußtsein in der Sozialversicherung schwinden läßt, desto unwirtschaftlicher wird die Gebarung werden. Wenn einmal in diesen Einrichtungen nur mehr die Apparate gesehen werden und jeder Versicherte bestrebt ist, mehr an Leistungen herauszubekommen, als er einzahlen muß, dann hat eigentlich die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger jeden Sinn verloren.

Was die Budgetklarheit anlangt, so ist zunächst die Beseitigung von . Doppelbudgetierungen durchaus zu begrüßen. Eine genaue Überprüfung scheint jedoch hinsichtlich der Trennung von ordentlicher und außerordentlicher Gebarung notwendig. Schon in den vergangenen Jahren hat man, um reiner Optik willen, bisweilen Ausgaben, die zweifellos zur ordentlichen Gebarung zählten, in die außerordentliche Gebarung geschmuggelt und dadurch eine halbwegs ausgeglichene ordentliche Haushaltsführung erzielt. Nach dem Budgetrecht gehören in die ordentliche Gebarung alle Ausgaben, die ihrer Natur nach regelmäßig wiederkehren. Ein gewisser Instandhaltungsaufwand und auch ein Bauaufwand in mäßigen Grenzen zählen daher zur ordentlichen Haushaltsführung des

Bundes. Es hat wenig Sinn, nur um den Anschein einer ausgeglichenen ordentlichen Gebarung zu erwecken, dieses Prinzip zu durchbrechen.

Ob es übrigens gelingen wird, den ordentlichen Haushalt im Jahre 1964 wirklich halbwegs ausgeglichen zu halten, wird von Fachleuten stark bezweifelt. Die Einnahmen des ordentlichen Haushaltes sollen nämlich über 56 Milliarden Schilling erbringen, gegenüber 55,9 im laufenden Jahr. Da aber gewisse Durchlaufposten gestrichen sind, ist der Vergleich nicht ganz zutreffend, und überdies hat man im Bundesministerium für Finanzen schon jetzt wenig Hoffnung, die veranschlagte Einnahmensumme im Jahr 1963 tatsächlich erzielen zu können. Sollten die Einnahmen des Staates im kommenden Jahr nur durch die schleichende Inflation und eine dadurch bewirkte weitere Drehung der Lohn-Preis-Spirale wesentlich größer werden, so wäre dies auch nicht gerade eine wünschenswerte Entwicklung. Es scheint daher eher unbedacht, wenn bisweilen argumentiert wird, man könne sich Steuererhöhungen trotz vermehrter Staatsausgaben ersparen, da diese durch einen „natürlichen Einnahmenzuwachs“ bedeckt werden. Eine solche auf der Einnah-

menseite des Staatshaushaltes einkalkulierte schleichende Inflation ist nämlich ebenso ein Griff in die Taschen der Privathaushalte, aber ein viel unsozialerer als etwa gezielte Steuererhöhungen; denn durch die Geldentwertung werden vor allem die Empfänger geregelter Einkommen, unter anderen natürlich die Rentner, sowie meistens auch die kinderreichen Familien am härtesten betroffen.

Bleibt schließlich noch die Frage nach der wirtschaftlichen Angemessenheit des Bundes Voranschlages für 1964. Die Ausgaben der außerordentlichen Gebarung sind zweifellos als Konjunkturspritze gedacht. Mit einer solchen Überlegung hat Österreich bereits einmal, nämlich 1958, Glück gehabt. Damals blieb unsere Wirtschaft durch ein massives Budgetdefizit von der weltweiten Rezession unter fast allen Ländern am meisten verschont. Aber solche Zukunftserwartungen sind natürlich zum überwiegenden Teil Glückssache. Wie schwer es ist, selbst auf Grund objektiver Gegebenheiten wirtschaftliche Prognosen zu stellen, zeigt deutlich eine Anekdote, die man sich gegenwärtig in einem kommunistischen Nachbarstaat erzählt: Dort hatte man zwei Experten nach Afrika entsandt, um die Möglichkeiten des Schuhexportes zu prüfen. Nach persönlichem Augenschein berichtete dann der eine Experte, der Schuhexport habe kaum Aussichten, da alle Leute bloßfüßig gehen; der andere hingegen prophezeite beste Chancen für den Export von Schuhen, da fast niemand Schuhe habe.

Mit dem nötigen Ernst betrachtet, ist also die Berechtigung der Ausgabenerweiterung im außerordentlichen Haushalt noch nicht endgültig abzuschätzen. Hier bleibt wirklich nichts anderes übrig, als die notwendige Elastizität der Budgetpolitik als Konjunkturstütze zu sichern. Diese Aufgabe zu meistern ist freilich nicht Sache des Bundesvoranschlages eines einzigen Jahres, sondern eine Aufgabe der Neugestaltung des Haushaltsrechtes des Bundes, unter Umständen aber auch einer langfristigeren Budget- und Investitionsplanung, wie sie nunmehr in Angriff genommen werden sollen. Vor allem vom neuen Haushaltsrecht des Bundes wird viel für die organische Verbindung von Staatsbudget und allgemeiner Volkswirtschaft abhängen. Es ist zu hoffen, daß hiebei nicht engstirnige Parteistandpunkte und unbedachte Schlagworte, wie etwa das vom Machtstreben der Finanzbürokratie, den Ausschlag geben werden. Nach dem Gesetz des ständigen Wachsens der Staatsaufgaben und der Budgetausgaben ist der sachgerechte Einbau des Staatshaushaltes in die Gesamtwirtschaft eine lebenswichtige Notwendigkeit.

Das Budget war und ist jedoch nicht nur eine wirtschaftliche, sondern ebensosehr eine politische Angelegenheit. Heuer wurde es ganz besonders als solche empfunden: Wäre doch die verfassungsrechtliche Bestimmung, daß die Bundesregierung spätestens zehn Wochen vor Ablauf des Finanzjahres den Entwurf eines Voranschlages für das kommende Jahr im Nationalrat ein- bringen muß, ein geeigneter Stein des Anstoßes beziehungsweise Anlaß für einen allenfalls gewünschten Koalitionsbruch gewesen. Nun ist also dieser Termin vorübergegangen, und wer jetzt die Koalition aufgeben will, wird für alle sichtbar als erster vom Verhandlungstisch auf stehen müssen. Aber mehr noch: Nicht zu Unrecht sagt man, der Bundesvoranschlag sei ein in Zahlen gegossenes Regierungsprogramm. Logischerweise müßte man also aus dem Zustandekommen des Budgetentwurfes für 1964 folgern dürfen, daß nun die Koalition für das kommende Jahr ein gemeinsames Arbeitsprogramm besitzt. Die vor einer solch optimistischen Einschätzung der Situation warnenden Stimmen scheinen nicht immer von gänzlich uninteressierter Seite zu kommen

Die Bevölkerung hat jedenfalls das Zustandekommen des Budgetentwurfes für 1964 mit weitaus überwiegender Mehrheit erleichtert, ja man kann ruhig sagen „freudig“ begrüßt. Aus der gleichen Haltung hat sie mit Befriedigung die Äußerung des neuen Bundesparteiobmannes der Volkspartei zur Kenntnis genommen, daß seiner Meinung nach die Zusammenarbeit der beiden großen Parteien noch längere Zeit notwendig ist. Wer übrigens daran gezweifelt haben sollte, daß für unser Land das klassische Zweiparteiensystem mit der wettkampfähnlichen, fairen Auseinandersetzung zwischen Mehrheit und Minderheit, sowie der jederzeitigen Chance des friedlichen Wechsels der Mehrheitsverhältnisse noch kein allgemeinverbindliches Vorbild darstellt, den müßten Ereignisse und vielleicht mehr noch Töne der letzten Wochen hinlänglich gewarnt haben! So kann also durchaus in einem Punkt einem Leitartikel des sozialistischen Zentralorgans beigepflichtet werden, in dem es zusammenfassend hieß: „Es ist kein Idealbudget, denn es ist auch keine Idealregierurig, die es beschlossen hat. Aber es ist ein Budget, dessen Zustandekommen vielleicht imstande ist, die gemeinsame Arbeit anzukurbeln. Und das ist schon sehr viel.“

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