Kohle als nationales Heiligtum

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In Schlesien, einst umfehdeter Landstrich zwischen Preußen und Österreich, kämpft der polnische Staat gegen illegalen Kohleabbau. Dabei ist er bisher erfolglos. Eine Reportage.

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In Schlesien, einst umfehdeter Landstrich zwischen Preußen und Österreich, kämpft der polnische Staat gegen illegalen Kohleabbau. Dabei ist er bisher erfolglos. Eine Reportage.

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Die Botschaft der neuen polnischen Premierministerin Beata Szydło war eindeutig: "Klimapolitik ist gegen unsere Interessen, und ich werde dafür sorgen, dass Polen sich an so etwas nicht beteiligt." Die nationalkonservative Politikerin hat mehrfach bekundet, dass das Wirtschaftswachstum des EU-Mitgliedslandes ihrer Meinung nach nur ohne ökologische Rücksichtnahme erfolgen kann. Im Vorfeld des erst kürzlich zu Ende gegangenen Weltklimagipfels in Paris forderte Piotr Naimski, Energieexperte der Regierungspartei "Prawo i Sprawiedliwos´c´ (PiS)", zu Deutsch "Recht und Gerechtigkeit", einen Sonderstatus für Polen. "Wir werden kein Dokument unterschreiben, das die Bedingungen für unsere Wirtschaft verschlechtert", drohte der einflussreiche Politiker offen. Noch immer gilt in Polen Kohle als ein nationales Heiligtum und wird von vielen als "schwarzes Gold" bezeichnet.

Gegen Restrukturierung

Auch Polens Präsident Andrzej Duda räumte während seines Wahlkampfes im Frühjahr des vergangenen Jahres, angefeuert durch Proteste in den Kohleabbaugebieten in Oberschlesien gegen geplante Restrukturierungsmaßnahmen des Bergbaus, der Energiepolitik des Landes einen prominenten Platz in seiner politischen Kampagne ein.

Mit Sorge blicken die Politiker des Landes dabei immer noch nach Niederschlesien, wo bereits in den 1980er-Jahren viele Bergbaugruben unrentabel wurden und nach dem durchaus nicht optimal gesteuerten Übergang von der Plan-zur Marktwirtschaft später schließen mussten. Tausende Kohlekumpel verloren quasi über Nacht ihren Job. In Wałbrzych, dem ehemaligen deutschen Waldenburg, wurde jahrhundertelang nach Kohle gegraben. In den 1990er-Jahren mussten die meisten Kohlezechen schließen, davon hat sich die Region trotz Ansiedelung neuer Wirtschaftszweige nicht mehr erholt.

Noch heute gilt Niederschlesien als das Armenhaus Polens und hat die höchste Arbeitslosenrate des Landes. "Nach dem Auflösungsprozess der Zechen gab es jahrelang keine anderen Jobmöglichkeiten für die Menschen und auch Sozialleistungen des Staates blieben erst einmal aus", erzählt der 57-jährige Roman Janiszek.

Nachdem er seinen Arbeitsplatz verloren hat, wurde der ehemalige Bergbaukumpel, wie viele seiner früheren Kollegen, zu einem "Kohlespecht". So werden jene illegalen Kohlegräber genannt, die nach der Schließung der Zechen damit begonnen haben, selbständig Kohle abzubauen.

Nacht für Nacht ziehen die Männer, ausschließlich mit Spaten und Spitzhacke ausgerüstet, los, um in den Wäldern um Wałbrzych nach Kohle zu graben. "Wir arbeiten nach demselben System wie früher beim industriellen Bergbau", sagt Janiszek und erläutert die genaue Vorgehensweise. Zunächst wird ein Schacht in die Tiefe gegraben, so lange bis eine Kohleader entdeckt wird. Dann wird horizontal unter Tag weitergegraben und möglichst viel Kohle an die Oberfläche gebracht.

Der Wert der Arbeit

Für sehr viele Menschen ist es lukrativ, illegal Kohle abzubauen und diese weit unter dem Marktpreis an Endverbraucher zu verkaufen. "Die Qualität der Kohle ist einfach hervorragend", schwärmt Janiszek und zeigt ein glitzerndes Kohlestück in seiner Hand.

Doch die Arbeit hat einen gravierenden Haken: Die Kohlespechte gelten als Kriminelle und werden von der Polizei erbarmungslos gejagt. Dabei gehen die Behörden nicht zaghaft vor. Immer wieder müssen viele der Männer ins Gefängnis, Kohle und Transportfahrzeuge werden beschlagnahmt. Um den Handel mit Kohle am Schwarzmarkt einzuschränken, erhalten Sozialhilfeempfänger statt Geld Heizmaterial. Die illegalen Kohlekumpel graben mittlerweile nur mehr nachts, da kann die Polizei sie im unwegsamen Gelände nicht überraschen.

In den Wäldern um Wałbrzych reiht sich ein Kohleloch an das andere, das wirkt sich auch negativ auf die Umwelt aus: Aufgelassene Kohlegruben werden zur Abfallentsorgung missbraucht, Bäume abgeholzt, um daraus Leitern und Abstützungen für die Schächte zu errichten. Gegraben werden kann nur in den kalten Wintermonaten, ansonsten ist die Gefahr zu groß, dass die Männer in den bis zu zehn Meter unter der Erde liegenden Kohleschächten lebendig begraben werden.

Wagnisse ohne Ende

Dennoch wagen sie sich immer wieder in die engen Schächte und fördern kübelweise Kohle zutage. Wer die Käufer sind und wie viel sie bezahlen, will keiner der Männer verraten. Nur so viel: "Jeder hat seine eigenen Kunden und der Preis wird bereits im Voraus vereinbart." Die Luft in Wałbrzych ist mittlerweile zum Schneiden, mehr als drei Viertel aller Haushalte heizen ausschließlich mit Kohle. Eine starke Luftverschmutzung mit dichtem Nebel und intensivem Schwefelgeruch, der allgegenwärtig über der Stadt liegt, sind die Folge. Dennoch können und wollen sich die Menschen in Wałbrzych nicht von der Kohle trennen. "Seit über 500 Jahren wird in Wałbrzych gegraben. Solange es Kohle gibt, wird sie jemand abbauen", ist sich Jansizek sicher.

In Polen bleibt Kohle jedenfalls auch abseits der illegalen Abbaugebiete, bedingt durch den günstigen Preis, der beliebteste Energieträger: 80 Prozent des Stroms im ganzen Land werden so erzeugt. Die negativen Begleiterscheinungen sind im ganzen Land bemerkbar. Im modernen Krakau macht sich unterdessen Widerstand gegen die permanente Luftverschmutzung breit.

Mehrere Bürgerinitiativen wie "Luft für Krakau" oder "Krakauer Smog Alarm" wurden gegründet, um auf die Gesundheitsbelastung durch Kohle hinzuweisen. Die Stadt gilt mittlerweile als eine der EU-Städte mit den schlechtesten Atemluftwerten. Dem nur knapp 100 Kilometer von Krakau entfernten Kurort Wisła wurde es jüngst sogar gerichtlich verboten, Luftkurgebühren einzuheben.

Polen hat sich beim vergangenen Klimagipfel, ebenso wie etwa Indien, China oder Saudi-Arabien, gegen eine Dekarbonisierung, also einen Verzicht auf die Verwendung fossiler Brennstoffe zur Energiegewinnung, bis zum Ende des 21. Jahrhunderts gewehrt und sich lediglich dazu verpflichtet, zukünftige Treibhausgasemissionen nicht noch weiter ansteigen zu lassen. Auch in Wałbrzych wird weiter mit Kohle geheizt und so verbringen Roman Janiszek und seine Kumpel Nacht für Nacht damit, im Lichtkegel ihrer Taschenlampen, illegal nach dem "schwarzen Gold" zu graben.

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