"Kommt her: Wir arbeiten für zehn Pence!"

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Der kanadische Dokumentarfilm "The Corporation" zeigt die Auswüchse des unternehmerischen Profitstrebens. Bietet Corporate Social Responsibility (CSR) Heilung?

Im Moment der größten Tragödie in den usa, am 11. September 2001, denkt der Börsenhändler Carlton Brown an nichts anderes als daran, wie stark der Goldpreis steigen wird. Diese erschreckend ehrliche Aussage könnte paradigmatisch für die Weltsicht stehen, die der Film "The Corporation" kritisch unter die Lupe nimmt. Aus der Zerstörung und Ausbeutung scheinen Unternehmen und Finanzmärkte den größten Nutzen zu ziehen. Und der materialreiche, mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilm von Mark Achbar und Jennifer Abbott führt dafür eine Reihe von Beweisen an. Der us-Konzern Bechtel etwa wurde in der bolivianischen Stadt Cochabamba mit der Privatisierung der Wasserwirtschaft beauftragt und erwarb damit auch die Rechte an jedem Regentropfen auf diesem Gebiet. Diese irrwitzigen Ansprüche machte das Unternehmen auch mit Hilfe polizeilicher Gewalt geltend.

Chance durch Hungerlohn?

Interessant an "The Corporation" ist gerade, dass nicht nur die Kritiker (unter ihnen "No Logo"-Autorin Naomi Klein, Filmemacher Michael Moore oder der Philosoph Noam Chomsky) zu Wort kommen, sondern auch die Prediger der liberalen Marktwirtschaft. Trotz vieler negativer Entwicklungen halten sie unbeirrbar an ihren Glaubensgrundsätzen fest. Der Einblick in diese Denkweise ist faszinierend und unfassbar zugleich: Michael Walker, Präsident des Fraser Instituts (ein Think Tank, der die Segnungen des freien Marktes verkündet), ist davon überzeugt, dass Unternehmen etwas Gutes tun, wenn sie Leute in der Dritten Welt für Hungerlöhne und unter schlechten Bedingungen arbeiten lassen. "Das einzige, was diese Leute der Welt zu bieten haben, ist ihre billige Arbeit. Und was sie der Welt sagen, ist: Kommt her, und lasst uns arbeiten. Wir arbeiten für zehn Pence in der Stunde. Denn für zehn Pence in der Stunde können wir uns Reis kaufen, um nicht zu verhungern." Und nach einigen Jahren verlagere der Konzern seine Produktion in ein anderes armes Land und helfe den Menschen dort, ihren Lebensstandard zu heben.

Schönfärberei, um Ungerechtigkeiten wegzuretuschieren? Für Abbott und Achbar ist der Fall klar. Sie nehmen den Status von Unternehmen als (juristische) Personen wörtlich und legen den Patienten auf die Couch. Ihre Diagnose, die auf dem Buch "The Corporation: The Pathological Pursuit of Profit and Power" von Joel Bakan beruht: Konzerne handeln wie Psychopathen. Sie sind selbstsüchtig und hinterhältig, verletzen ständig ethische und rechtliche Normen, empfinden weder Schuld noch Reue und sind gleichzeitig in der Lage, dem Rest der Welt Verantwortungsbewusstsein und Mitgefühl vorzutäuschen.

Tatsächlich sind Unternehmen weltweit durch die Kritik zahlreicher Nicht-Regierungs-Organisationen in Bedrängnis geraten - und haben reagiert: Überall ist nun von Corporate Social Responsibility, kurz csr, die Rede. Damit nehmen Firmen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr.

Doch nicht nur die beiden Regisseure zweifeln an der Aufrichtigkeit dieser Bekenntnisse. Karin Lukas vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte in Wien sieht die Schwierigkeit vor allem darin, dass es keine anerkannte Definition von csr gibt. "Damit sind sehr verschiedene Konzepte gemeint", sagt sie im furche-Gespräch. csr-Initiativen reichen von Mitarbeiterschulungen über firmeneigene Kinderbetreuungsangebote bis zu Umweltschutzaktionen. Qualitativ besteht zwischen den einzelnen Maßnahmen ein großer Unterscheid, aber alles läuft unter dem Modewort csr. Wenn ein Unternehmen also mit csr wirbt, ist ein genauer Blick notwendig. "Es sind noch relativ wenige Unternehmen, die soziale Verantwortung übernehmen", so Lukas. "Rein quantitativ sprechen wir hier von einer geringen Anzahl. Und viele machen csr nur zur Imagepflege." Allerdings zeige das Beispiel omv auch, dass sich hinter dem Kürzel ernsthafte Ansätze zur Einhaltung ethischer Standards verbergen können.

"Wir sind ein Unternehmen, das dazugelernt hat", meint omv-Sprecher Thomas Huemer gegenüber der furche. Der österreichische Erdöl- und Erdgaskonzern musste sich durch sein Engagement im Südsudan vorwerfen lassen, den blutigen Bürgerkrieg mitzufinanzieren. Nach anhaltender Kritik zog sich die omv 2003 aus dem Land zurück. Mittlerweile gehört csr laut Huemer zur Unternehmensstrategie: "Immer wenn wir neue Anlagen erwerben, schauen wir nicht nur auf die Rentabilität, sondern berücksichtigen auch soziale Standards." In den pakistanischen Orten Miano und Sawan seien die Anlagen nicht nur unter Einhaltung umweltfreundlicher Normen gebaut worden, sondern man habe auch eine Bedarfserhebung für die beiden Gegenden durchgeführt. Diese Analyse führte zum Bau von Brunnen, Schulen und Straßen - "wobei es wichtig ist, dass die lokale Verantwortung bei der Bevölkerung liegt", betont Huemer.

Dass es sich bei csr um freiwillige Initiativen handelt, sieht Menschenrechtsexpertin Karin Lukas indes kritisch. Sie plädiert für eine rechtliche Verpflichtung der Unternehmen und begrüßt die entsprechenden Bemühungen der uno.

CSR als Image-Blase?

Für attac-Aktivistin Astrid Konrad geht die Debatte um csr überhaupt am Problem vorbei. "Mit dieser Imageblase wird das neoliberale System stabilisiert und verhindert, dass neue Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer entstehen", kritisiert sie. "Der Sozialabbau wird dadurch legitimiert, und Konzerne entscheiden dann selber, wie viel sie zahlen. Dabei wäre es Aufgabe des Staates, über die Einnahme von Unternehmenssteuern Bildung und Gesundheit zu fördern."

Die Globalisierungskritikerin schlägt damit in die selbe Kerbe wie Mark Achbar und Jennifer Abbott. Alle drei hoffen auf einen zunehmenden Druck aus der Zivilgesellschaft, um die Unternehmen in ihre Schranken zu weisen - wie in Cochabamba, wo es die Bevölkerung nach Aufständen geschafft hat, die Verfügungsgewalt über das Wasser zurückzuerobern. Ein Erfolg, der für den Aktivisten Oscar Olivera nur durch Geschlossenheit möglich war: "Ein geeintes Volk kann niemand besiegen."

The Corporation

CDN 2003. Regie: Mark Achbar,

Jennifer Abbott. Mit Noam Chomsky, Milton Friedman, Naomi Klein, Michael Moore. Verleih: Freunde der Deutschen Kinemathek. 144 Min.

Von 9. bis 20. September täglich um

17 Uhr 30 und 20 Uhr 30 im Wiener

Gartenbaukino. Nähere Infos unter

www.gartenbaukino.at

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