Konjunkturprognosen: Nebelstochern statt Klarsicht

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Einander widersprechende Prognosen verwirren Politiker und Wirtschaftstreibende. Einmal heißt es, die Krise sei bald vorbei. Wenig später wird eine Rekordrezession diagnostiziert. Warum irren Prognosen?

Mitte April reichte es selbst dem hochangesehenen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (IfW): In tiefster Zerknbirschung ob der eigenen Fehlbarkeit trat der Leiter der Agentur, Klaus Zimmermann, vor die erstaunten Vertreter der Presse und sagte seine Prognose ab: „In der gegenwärtigen Lage mit extrem großen Unsicherheiten ist eine quantitative Prognose nicht sinnvoll.“ Warum aber sollten die Hüter der Ökonomie gerade in der Krise kapitulieren? Erstaunliches enthüllte Zimmermann da auf Nachfrage: „Wir haben in den Konjunkturmodellen Finanzkrisen nicht berücksichtigt.“

Soweit zur Substanz der verwirrenden Voraussagen in der aktuellen Krise. Weil sich der Rest der Ökonomen nämlich nicht an Zimmermanns Ratschlag hält, kommt es zu einer beinahe schon amüsanten Konkurrenz der Schlagzeilen: „Krise in einem halben Jahr vorbei“, verkündete eine Tageszeitung am 9. Juni unter Berufung auf die OECD. Die Presse am gleichen Tag unter Berufung auf das WIFO: „Im Herbst 500.000 Arbeitslose.“ Am 22. Juni legte die Nationalbank nach: Das reale BIP werde um 4,2 Prozent schrumpfen. Die Krise dauere über 2010 an, erst dann werde das BIP wieder wachsen. Selbst hocherfahrene Ökonomen wie Erich Streissler korrigierten zuletzt ihre Erwartungen über die Dauer der Krise von schlimmstenfalls fünf auf schlimmstenfalls sieben Jahre.

Das Leid der Prognostiker

Warum die steigende Ungewissheit, wenn doch einige Wissenschafter bereits die „Talsohle“ der Rezession erreicht wissen? Nun, offenbar ist auch die Sichtung des Krisenbodens eher Nebelstechen als klare Gewissheit. Ob Konsumerwartung, Industrie-Wachstum, oder zu erwartende Inflation: Derzeit ist keiner der sonst sicheren Parameter abzusehen. Entsprechend beliebig fallen demnach auch schon die Berechnungen aus. So schlug sich das globale Leid der Prognostiker in der vergangenen Woche im Bericht der Weltarbeitsorganisation ILO nieder. Aufgrund der verwirrenden Daten von UNO, Weltbank und IWF sah sich die ILO zu folgender Prognose gezwungen: Die Weltwirtschaftsleistung werde 2009 bestenfalls um 0,3 Prozent steigen, ungünstigenfalls aber um 3,4 Prozent schrumpfen. Kein Wunder, dass einem prominenten Wirtschaftsforscher jüngst entfuhr: „Im Moment ist es so, als würde ein Meteorologe sagen, morgen liegen die Temperaturen zwischen 30 Grad plus und 20 Grad Minus.“

Die Leidtragenden der Malaise sind aber weniger die Wissenschafter als die Wirtschaftstreibenden: Ihnen fehlt eine wichtige Entscheidungshilfe bezüglich neuer Investitionen. Immer zum schlechtesten Szenario zu greifen, kann sich dabei als schädlich erweisen, sagt IfW-Chef Zimmermann: „Die schlechten Prognosen können sich als selbsterfüllende Prophezeiung herausstellen.“

Gradmesser Ölpreis

Wegen der unsicheren Rahmenbedingungen müssen sich derzeit auch die Regierungen Europas in die Zukunft raten: Werden noch weitere Konjunkturpakete für Banken und Wirtschaft notwendig sein?

Doch weitere Hilfen auf Staatskosten sind unter Experten besonders umstritten, weil die damit verbundene Schuldenlast nur durch Steuern und eine hohe Inflation wieder eingedämmt werden könnte. Als entscheidend für die Konjunktur gilt die Entwicklung des Ölpreises. Sollte dieser über 100 Dollar pro Fass zu liegen kommen, sehen Experten eine neue Schwierigkeit für die Entwicklung. US-Ökonom Daniel Roubini sagt dazu: „Das könnte einen zusätzlichen Schock bedeuten.“

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