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Kriegen meine Kinder noch eine Rente?

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Im Jahr 2030 kommt auf jeden ASVG-Versicherten bereits mehr als ein Pensionist. Die Grenzen der Finanzierbarkeit sind somit bald erreicht.

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Im Jahr 2030 kommt auf jeden ASVG-Versicherten bereits mehr als ein Pensionist. Die Grenzen der Finanzierbarkeit sind somit bald erreicht.

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Auf dem Weg ins Sozial-debakel" - So lautet der Titel eines Buches des ORF- Wirtschaftsjourna-listen Ernst Swietly. Er macht darin deutlich, daß sich die Pension der jetzt ins Berufsleben eintretenden Männer und Frauen - bei gleichem Pensionsalter und gleichen Beträgen wie heute - um 65 Prozent gegenüber den heutigen Renten vermindern müßten. Eine Alternative wäre die Verschiebung des Pensionseintritts auf das 72. Lebensjahr. Will man beides vermeiden, müßten die Pensionsbeiträge auf 55 Prozent des Gehaltes steigen.

Diese dramatische Aussage wird nicht ernsthaft bestritten. Uneinigkeit besteht jedoch über die zu treffenden Maßnahmen. Manche Politiker halten am gegenwärtigen System im Grundsatz fest. Sie glauben, mit kleinen Retuschen (Bekämpfung von Mißbräuchen, geringe Beitragserhöhung und Leistungsbeschränkungen) das Auslangen zu finden. Andere glauben, daß einschneidende Reformen unverzichtbar sind, wenn der derzeitige „Generationenvertrag" nicht zusammenbrechen soll. Bekanntlich sorgt nach diesem „Umlageverfahren" die erwerbstätige Bevölkerung durch ihre Beiträge zur Sozialversicherung für die jetzt fälligen Pensionen, in der Erwartung, daß die nächste Generation in gleicher Weise für die Altersversorgung der heute noch Berufstätigen aufkommen werde.

Die Reformer halten einen - mehr oder weniger behutsamen - Umbau des Pensionssystems durch eine Stärkung der beruflichen und privaten Eigenvorsorge durch das sogenannte „ivapitaiaecKungsverianren" tur notwendig. Danach werden die gesetzlich festgesetzten oder freiwilligen Beiträge während der Jahre der Berufstätigkeit angespart und erst im Alter von den Einzahlern konsumiert.

Die Kritiker des heutigen Systems sprechen von „der Unfinanzierbarkeit der gesetzlichen Pensionsversicherung". Sie erinnern daran, daß heute auf je 1.000 ASVG-Versicherte 593, im Jahre 2030 jedoch 1.010 Pensionen kommen werden. Die Verteidiger der derzeitigen Regelung sind der Auffassung, daß der Mehrbedarf teils durch Wirtschaftswachstum und erhöhte Produktivität, teils durch Konsumverzicht gedeckt werden könne. Letzteres sei ja auch bisher durch die fortgesetzte Anhebung der Pensionsbeiträge geschehen. Einkommensminderungen seien zwar unverzichtbar, doch wäre es Aufgabe der Politik, für Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen, so etwa durch eine Vereinheitlichung des Pensionssystems (keine Sonderstellung im Staatsdienst oder im sonstigen geschützten Sektor). Was auch immer überlegt wird, die Szenarien der künftigen Altersversorgung werden durch drei Hypotheken belastet:

Die österreichische Wirtschaftsund Sozialpolitik hat Frühpensionen jahrelang nicht zuletzt auch deshalb gefördert, um de facto-Arbeitslosig-keit zu kaschieren.

■ Mit 150.000 Frühpensionisten zu den 200.000 Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt würde die Arbeitslosenrate dem EU-Durchschnitt nahe kommen. Der Frührentner als Person ist nicht dafür verantwortlich zu machen, daß Osterreich bei den über 50-jährigen die niedrigste Erwerbsquote Europas hat. Er hat lediglich die sich legal bietenden Möglichkeiten wahrgenommen. Parlament und Regierung haben die gesetzlichen und administrativen Maßnahmen zu vertreten, die den Anteil der Frühpensionen an den Neuzugängen von 54 Prozent im Jahre 1970 auf 80 Prozent im vergangenen Jahr erhöht haben. Dabei hat sich� die durchschnittliche Lebensarbeitszeit seit 1970 um acht Jahre auf 36 Jahre verringert, während die Pensionsbezugsdauer zugleich um neun Jahre auf 23 Jahre angestiegen ist.

Angesichts dieser Zahlen sind „bewußtseinsbildende Maßnahmen bei Unternehmern" und „gesundheitsfördernde Maßnahmen am Arbeitsplatz" - wie sie der Sozialminister anbieten will - völlig ungenügend. Die unumgängliche Systemänderung muß jedoch - extrem schwere Aufgabe - mit einer dynamischen Beschäftigungspolitik abgestimmt werden.

■ Das zweite Handicap besteht in der Langfristigkeit der zu treffenden Maßnahmen. So wie die Sünden einer weiter zurückliegenden Vergangenheit erst allmählich offenkundig werden, sind die Auswirkungen der heute getroffenen oder unterlassenen Maßnahmen erst in späteren Jahren spürbar. Der Politiker und seine Partei, die sich zu einem viel früheren Zeitpunkt der Wahl stellen müssen, werden sich im Interesse der Stim-menmaximierung in der Regel hüten, unpopuläre Vorschläge zu propagieren, die Ansprüche in Frage zu stellen, an die sich die Bevölkerung nur allzu rasch gewöhnt hat.

■Schließlich sind die hohen Transaktionskosten jeder weitreichenden Reform in Rechnung zu stellen, sofern man auf Eingriffe in „wohlerworbene Rechte" verzichten will. Ein anschauliches Beispiel dafür bietet die Diskussion um den wünschenswerten Ausgleich zwischen den verhältnismäßig niedrigen Anfangsgehältern und den relativ hohen Bezügen älterer Arbeitnehmer aufgrund automatischer, leistungsunabhängiger Lohnsteigerungen.

Dieses System wird weithin als ungerecht und schädlich empfunden. Aber wäre es vertretbar, die Besserstellung der Jungen zu Lasten der Alten zu erreichen? Schließlich haben die heute 50jährigen in früheren Jahren niedrigere Gehälter bei längerer Arbeitszeit in Kauf genommen, um in der zweiten Lebenshälfte in eine relativ bessere materielle Situation zu kommen.

Können sich aber Staat und Wirtschaft leisten, die Anfangsgehälter für Neueintretende zu erhöhen und zugleich jene Kosten weiter zu übernehmen, die sich aus den automatischen Vorrückungen der bereits in einem längeren Arbeitsverhältnis stehenden Beschäftigten ergeben und ohne Eingriff in bestehende Rechte noch für lange Zeit ergeben werden?

Mit diesen Schwierigkeiten wird sich die neue Regierung jetzt ernsthafter als zuletzt auseinanderzusetzen haben. Dabei wird rasch zutage treten, wie eng der Spielraum durch die Versäumnisse der letzten Jahre geworden ist. Dazu kommt, daß die durch die Nationalratswahlen vom vergangenen Sonntag gestärkten Sozialdemokraten mit ihren im Wahlkampf gemachten, über weite Strecken unrealisierbaren Versprechungen konfrontiert sind.

Der Autor ist

Publizist in Wien.

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