Kritik am deutschen Export

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Das deutsche Exportmodell soll andere europäische Nationen schwer benachteiligen – die Süddeutsche Zeitung analysiert die Vorwürfe.

Deutschlands Wachstum geht auf Kosten anderer Euroländer und belastet insbesondere Frankreichs Exportindustrie. Das ist im Kern die Kritik, die die französische Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde am Montag in einem Interview mit der britischen Wirtschaftszeitung Financial Times äußerte.

Erstmals drückt damit ein französisches Regierungsmitglied aus, was führende Ökonomen wie Jean-Paul Fitoussi seit Längerem bemäkeln. Sie werfen Deutschland vor, eine Art Preis-Dumping zu betreiben und aufgrund seines Gewichts in Europa andere Euroländer dazu zu zwingen, eine ähnliche Reformpolitik zu fahren. Ohne es offen auszusprechen, lehnte es Lagarde aus politischen Gründen ab, Lohnmäßigung für ihr Land zu fordern. Sie forderte hingegen Deutschland auf, sich Frankreich anzupassen und die Binnennachfrage, das heißt, den privaten Konsum, über höhere Gehälter zu stimulieren. „Wir brauchen eindeutig eine stärkere Angleichung“, sagte sie. Damit machte ein französisches Regierungsmitglied erstmals auch klar, was sich Paris unter einer EU-Wirtschaftsregierung vorstellt.

Harte Kritik von Ökonomen

Ökonom Jean-Paul Fitoussi, der das Wirtschaftsforschungsinstitut OFCE leitet, plädiert seit Jahren dafür, Deutschlands Wirtschaftspolitik stärker einzubinden. Er hält das deutsche Exportmodell für unkooperativ. Zur Erklärung führt er die deutsche Mehrwertsteuererhöhung an. Sie wirke wie ein Zoll innerhalb der Eurozone.

Deutsche Firmen hätten dadurch einen komparativen Kostenvorteil, könnten Güter also relativ günstiger herstellen. Die Einfuhren verteuern sich, die Ausfuhren steigen. Die Folgen seien zweifach negativ: In Deutschland schwäche sich die Nachfrage ab und im restlichen Euroraum belaste der Kostenvorteil die Exportwirtschaft. (...) Unkooperativ sei dies zudem, weil das, was Deutschland an Marktanteilen gewinne, weniger als die Summe dessen sei, was der Rest der Währungsunion verliere. Damit die gesamte Währungszone gewinne, sollte Deutschland seine Politik im Rahmen einer EU-Wirtschaftsregierung mit den Partnern absprechen.

Der Übeltäter als Vorbild

Andererseits prüft Frankreich in diesen Tagen selber, eine „soziale Mehrwertsteuer“ (TVA sociale) einzuführen und über die Mehreinnahmen die Arbeitskosten zu senken. Dagegen spricht, dass der französische Steuersatz bei der Mehrwertsteuer schon über dem deutschen bei 19,6 Prozent liegt. (...)

Andere Ökonomen sehen Deutschland ohnehin eher als Vorbild. Patrick Artus zum Beispiel rät Deutschland, sich nicht von seinem Exportmodell abbringen zu lassen. (...) Den Wettbewerbsvorteil, den Deutschland mit seiner Lohnpolitik gegenüber anderen EU-Ländern erlangt habe, brauche das Land heute nicht mehr. Es habe ihn bereits.

Er ist sich mit dem Großteil der am Montag befragten französischen Ökonomen einig, dass Frankreich Deutschland keine Lektionen zu erteilen habe, sondern selber Reformen versäumt habe.

Am härtesten ging Marc Fiorentino, Leiter des Finanzhauses Euroland Finance, mit Ministerin Lagarde ins Gericht. Es sei „erbärmlich“, sagte er einem Radiosender, „dass ein Land, das nicht den Mut aufbringt, selber Reformen durchzuführen, einem Partnerland vorwirft, seine Hausaufgaben gemacht zu haben“. Frankreich fordere Deutschland im Prinzip auf, seine Standards nach unten zu korrigieren, damit Paris weniger eifersüchtig zu sein braucht.

Süddeutsche Zeitung, 16. März 2010

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