Länder in Ausgleich gehen lassen

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Groß ist die Zahl der Länder, die sich außerstande sehen, ihre Schulden zu bedienen. Die bisherigen Bemühungen, das Schuldenproblem zu lösen, waren ohne Erfolg. Daher ist der Vorschlag des Wiener Ökonomen Kunibert Raffervon größter Aktualität.

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Groß ist die Zahl der Länder, die sich außerstande sehen, ihre Schulden zu bedienen. Die bisherigen Bemühungen, das Schuldenproblem zu lösen, waren ohne Erfolg. Daher ist der Vorschlag des Wiener Ökonomen Kunibert Raffervon größter Aktualität.

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die furche: Sie treten für ein Konkursverfahren für Staaten ein ...

Kunibert Raffer: Für ein Konkursverfahren tritt niemand ein, nur für ein Insolvenz- oder Ausgleichsverfahren. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Bei einem Konkursverfahren wird nämlich die Masse verteilt, dann existiert der Schuldner nicht mehr. In einem Insolvenzverfahren wird man hingegen ökonomisch saniert und lebt weiter.

die furche: Sie schlagen also vor, dass Staaten in die Insolvenz gehen können sollen. Wie kommen Sie auf diese Idee?

Raffer: Die Idee ist nicht so neu, schon Adam Smith hat in seinem Buch "The Wealth of Nations" im 18. Jahrhundert gemeint, wenn ein Staat überschuldet ist, sei ein Ausgleich - wie bei Privaten - die beste Lösung, um den Staat wieder ökonomisch tragfähig zu machen. Nach Ausbruch der globalen Schuldenkrise 1982 hat ein englischer Banker erstmals vorgeschlagen, das Insolvenzrecht von Firmen auf Staaten anzuwenden. Dem wurde sofort - und zu Recht - entgegnet, dass dies nicht möglich sei, weil Staaten souverän sind, weshalb eine direkte juristische Analogie nicht möglich ist. Sehr wohl möglich ist allerdings eine Analogie zum US-Insolvenzrecht. Dort gibt es eine Insolvenz für Schuldner mit Hoheitsgewalt, sogenannte "municipalities" (Gebietskörperschaften), die ohne weiteres auf Staaten übertragen werden kann.

die furche: Wie würde ein derartiges Verfahren aussehen?

Raffer: Man dürfte kein Gericht des Gläubiger- bzw. des Schuldnerlands anrufen, dieses wäre wohl befangen, sondern man müsste ein internationales Schiedsgericht bestellen - eine traditionelle Praxis im Völkerrecht. Jedes Land würde einen oder zwei Vertreter entsenden, die eine weitere Person hinzuwählen und zusammen dafür sorgen, dass die Grundprinzipien des Kapitels 9 eingehalten werden.

die furche: Welche sind diese?

Raffer: Im groben drei. Erstens die Sicherung der Hoheitsgewalt. Hier gibt es im amerikanischen Recht den Paragraphen 904, der besagt, dass weder Gläubiger noch Gericht in die Hoheitssphäre des Schuldners eingreifen dürfen. Das ist sofort auf die Souveränität eines Staates übertragbar. Zweitens muss der Schuldner einen ökonomisch sinnvollen Vorschlag machen, denn das amerikanische Recht verlangt auch, dass die Lösung im besten Interesse der Gläubiger ist. Drittes: Die betroffene Bevölkerung hat nach Artikel 9 ein Anhörungsrecht. Damit ist es ein offenes und faires Verfahren garantiert. Im internationalen Fall müsste die betroffene Bevölkerung etwa durch Gewerkschaften, NGOs oder Kirchen vertreten werden. Derzeit kommt der Schuldnerschutz jedem zugute, außer den Bevölkerungen von Entwicklungsländern. Bei einer "municipality" in den USA wäre es undenkbar, die Schuldeneintreibung so weit zu treiben, dass sich dort die Kindersterblichkeit signifikant erhöht.

die furche: Gibt es ein Anwendungsbeispiel in den USA?

Raffer: Seit Bestehen des Chapter 9 hat es an die 500 Verfahren gegeben.

die furche: Bräuchte man nicht ein eigenes internationales Insolvenzgericht?

Raffer: Nicht unbedingt. Ich schlage vor, dass man ein Ad-hoc-Schiedsgericht bestellt, das von Schuldner und Gläubigern paritätisch besetzt wird. Nach Lösung der Schuldenkrise würde ein permanentes Gericht nicht ausgelastet sein, weil die Einführung des Insolvenzrechts für Staaten dafür sorgen würde, dass Kredite sorgsamer vergeben werden, wodurch es kaum zu weiteren Schuldenkrisen kommen sollte.

die furche: Gibt es Stellungnahmen von privaten Banken?

Raffer: Private Banken lieben Insolvenzen verständlicherweise grundsätzlich nicht. Wer verliert schon gerne Geld? Aber manchmal geht es eben nicht anders, deshalb gibt es auch vorsichtig positive Stellungnahmen privater Banken, etwa der Deutschen Kommerzbank, die sagt, dass sie in Extremfällen prinzipiell nichts gegen ein Schiedsgericht einzuwenden hätte, vorausgesetzt, dass es ein faires Verfahren ist, sprich dass die öffentlichen Gläubiger Weltbank und Währungsfonds nicht besser behandelt werden als die privaten.

die furche: Warum ist die Gleichbehandlung nicht selbstverständlich?

Raffer: Weil sich Weltbank und Währungsfonds de facto einen sogenannten "preferred creditor status" geschaffen haben, der juristisch gar nicht existiert, aber politisch praktiziert wird - zum Teil sogar gegen die Statuten dieser Institutionen. Die Gründer waren nämlich sehr wohl der Ansicht, dass ein Forderungsverzicht im Falle von Zahlungsunfähigkeit sinnvoll wäre, und haben auch statuarisch dafür vorgesorgt. Nur hat man aufgrund der Machtverhältnisse den Marktmechanismus aus den internationalen Entwicklungsbanken hinausgedrängt.

die furche: Was würde sich mit der Einführung des Marktmechanismus "Insolvenz" ändern?

Raffer: Kredite würden sorgsamer vergeben werden. Der "Wapenhans-Bericht" der Weltbank hat gezeigt, dass das Geld ziellos hinausgeschaufelt wurde und das eigentlich Wichtige bei der Kreditvergabe war, dass der Bericht in schönem Englisch abgefasst war.

die furche: Hätte die derzeitige Schuldenkrise durch ein Insolvenzverfahren verhindert werden können?

Raffer: Das internationale Insolvenzrecht wäre ein massiver Anreiz gewesen, die Schuldenbürde nicht so ansteigen zu lassen. Die große Schuldenexplosion der siebziger Jahren beruhte auf der These, dass Länder immer existieren und daher alle Kredite zurückzahlen würden. Das hat dazu geführt, dass die normale Kreditkontrolle, die bei jedem Fleischhacker ums Eck angewendet wird, der 100.000 Schilling bekommt, nicht durchgeführt wurde. Bei einer normalen Kontrolle hätten viele Länder keinen zweiten oder dritten Kredit bekommen, und die Schuldenkrise wäre nicht ausgebrochen.

die furche: Sie sagen, wirtschaftspolitische Reformen seien in den Schuldnerländern sehr wohl nötig, nicht jedoch Strukturanpassungsprogramme (SAP) a la IWF. Was schlagen Sie vor?

Raffer: Die SAP sind nicht erfolgreich. Der Währungsfonds führt seit Mitte der siebziger Jahre in Schwarzafrika Strukturanpassungsmaßnahmen durch, wie er selbst schreibt, und hat dabei bisher kein einziges Land saniert. Es gibt keinen einzigen Fall eines Landes, das mit Hilfe des Währungsfonds saniert worden wäre. Man mag vielleicht Korea Anfang der achtziger Jahre als Ausnahme anführen, das aber konsequent nicht tat, was der Währungsfonds verlangte. Das zeigt, dass SAP nicht funktionieren. Sie haben nicht liberalisiert, die Wirtschaft nicht geöffnet und sind relativ gut über die Krise Anfang der achtziger Jahre hinweggekommen.

die furche: Welche Alternativen zu den SAP schlagen Sie vor?

Raffer: Man müsste den Ländern erlauben, sinnvolle Investitionen in Importsubstitution vorzunehmen, um eine eigene ökonomische Kapazität aufzubauen. Man müsste die Produktionsstruktur diversifizieren und den Aufbau von Exportindustrien in diesen Ländern zulassen. Auch der Inlandsmarkt müsste zum Teil erst aufgebaut werden. Brasilien hat einen solchen (außer in Teilen des Nordostens), aber der in Schwarzafrika ist weitgehend zusammengebrochen, da müsste man gleichsam einen Wiederaufbau starten. Das müsste man länderspezifisch machen und nicht wie der Währungsfonds über alle Länder mit dem Einheitskamm drüberfahren.

die furche: Wie kommen ihre Vorschläge bei IWF und Weltbank an?

Raffer: Diskutiert werden sie bei Bank und Fonds, allerdings äußern sie sich selten offiziell dazu. Bei einer Arbeit voriges Jahr ging man nur auf die Forderungen der Erlassjahr-2000-Kampagne nach dem vorgeschlagenen Insolvenzrecht ein, allerdings fehlten bei den Quellenangaben meine Arbeiten, auch mein Name, zum Teil deshalb, weil einige so hanebüchene Argumente dagegen vorgetragen wurden, die man durch die Lektüre der nicht angegebenen Literatur jederzeit hätte entkräften können.

die furche: Zum Beispiel?

Dass ein permanentes Schiedsgericht notwendig sei, und dadurch eine neue Bürokratie entstünde. Wie Sie selbst gehört haben, mache ich diesen Vorschlag gerade nicht.

die furche: Wäre es schlimm?

Nein, auch im Rahmen der WTO ist eine umfangreiche neue Bürokratie entstanden, da hat es niemanden gestört. Oder durch das NAFTA oder die EU. Bürokratien werden immer nur dann nicht gewollt, wenn man die Sache nicht will.

die furche: Wie reagieren die NGOs?

Es gibt großen positiven Widerhall. Die Erlassjahr-Kampagnen Deutschland und Österreich haben meinen Vorschlag in ihren Forderungen, deshalb wird er auch im deutschen Bundestag diskutiert. Auch die Entschuldungs-Plattform Jubileo 2000 für ganz Lateinamerika fordert ein internationales Insolvenzrecht. Allerdings zieht man die Formulierung "Internationales, faires und transparentes Schiedsverfahren nach Kapitel neun" vor, da man den Ausdruck Insolvenz nicht schätzt.

die furche: Wie nennen Sie Ihren Vorschlag?

Es ist völlig unbedeutend, ob man ihn Insolvenz- oder Schiedsverfahren nennt, denn der wichtige Punkt ist die Rechtsstaatlichkeit, das heißt, dass niemand in eigener Sache Richter sein darf. Derzeit sind die Gläubiger in eigener Sache Richter, Geschworene, Gerichtsvollzieher und manchmal sogar die Anwälte des Prozessgegners, indem Weltbank und Währungsfonds auch noch für den Schuldner sprechen. Das widerspricht zutiefst der Rechtsstaatlichkeit, die von den OECD-Staaten (den wichtigsten Gläubiger-Ländern, Anm.) immer und überall gepredigt wird.

Das Gespräch mit ao.Prof. DDr. Kunibert Raffer vom Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien führteChristian Felber.

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