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Land in Bewegung
Niederösterreich — das Kernland unseres Staates — macht derzeit eine Phase einschneidender Umwälzungen durch. Alles ist In Bewegung geraten: Die überkommenen administrativen und wirtschaftlichen Strukturen, die politischen Fronten, das kulturelle Geschehen und nicht zuletzt — der Mensch selbst. Dies sowohl geistig als auch geographisch.
Die geographische Beweglichkeit schlägt in einer alarmierenden Abwanderungsquote zu Buche. Zwischen den beiden Volkszählungen von 1951 und 1961 mußte das Land einen Bevölkerungsschwund von 27.509 Menschen hinnehmen. Das Fatale an diesem Aderlaß ist, daß gerade die leistungsfähigsten jüngeren Jahrgänge in besonders hohem Maße abwandern. So nahm die Altersgruppe der Fünfundzwanzig- bis Fünfundvierzig jährigen um 11 Prozent ab, während die Jahrgänge zwischen 49 und 65 Lebensjahren nahezu konstant blieben und die Zahl der mehr als Fünfundsechzigjährigen sogar um 14 Prozent wuchs. Was sich seit 1961 bevölkerungspolitisch in Niederösterreich abgespielt hat, läßt sich, da die Fortschreibung der Volkszählungsergebnisse in Österreich noch auf sich warten läßt, nicht exakt angeben. Die Schätzungen jedoch verheißen nichts Gutes.
Wohin der in Gang befindliche Umbruch Niederösterreich führen wird, läßt sich heute noch schwer abschätzen. Ich persönlich glaube aber, daß die Fortsetzung der ressentimentlosen und sachlichen Politik, wie sie vor allem unter der Hartmann-Administration verfolgt wurde, alle Chancen besitzt, Niederösterreich aus dem vielzitierten Wohlstandsgefälle zwischen West- und Ostösterreich herauszulösen.
Die Wurzel jedes wirtschaftlichen Rückstandes — egal, ob man dabei an krasse Beispiele wie an die Entwicklungsländer und an die Negerbevölkerung der Vereinigten Staaten oder weniger krasse Beispiele wie Niederösterreich denkt — besteht in einem unzulänglichen Schul- und Bildungssystem. In Niederösterreich wurden hier in besonders energischer Weise die Hebel der Reform angesetzt. In den letzten drei Jahren wurden 255 niederorganisierte Volksschulen stillgelegt. Es ist geplant, in den kommenden zehn Jahren jährlich zwei neue Hauptschulen zu errichten. Ferner bemühen wir uns, auch auf dem Sektor der höheren Schulen die Schuldichte den heutigen Anforderungen anzupassen, und bewerben uns auch um die An-siedlung verschiedener Universitätsinstitute auf niederösterreichischem Boden. Daß wir dabei nicht nur fordern, sondern durch eigene Leistungen den Anstoß für solche Institutsverlegungen zu geben versuchen, zeigt das Beispiel des Figl-Observatoriums auf dem Mitterschöpfl, in dessen Bau Niederösterreich bisher 8,5 Millionen Schilling investierte.
Ein Bleigewicht Niederösterreichs 'bei dem Versuch, mit der modernen Entwicklung Schritt zu halten, stellt seine veraltete Gemeindestruktur dar. In den letzten Jahren gelang es, die Zahl der Gemeinden von 1652 auf 1486 zu reduzieren. Das Auffangen der in verschiedenen Wirtschaftssparten durch Umstellungen frei werdenden Arbeitskräfte erfordert die Bildung wirtschaftlicher Schwerpunkte. Überhaupt braucht das Land ein System gut aufeinander abgestimmter Zentralorgane verschiedener Ordnung. Ein Konzept hierfür konnte vor kurzem fertiggestellt
werden. Daneben wurde auch ein großes Industrieentwicklungskonzept für Niederösterreich erstellt, das auf die Schaffung von 30.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen innerhalb eines Zeitraumes von 15 Jahren ausgerichtet ist.
Eines zeigt sich heute mit aller Klarheit: Die Zukunft Niederösterreichs wird entscheidend davon abhängen, ob es gelingt, wachstumskräftige Industrien in Niederösterreich anzusiedeln. Die Regional- und Raumplanung empfiehlt bei der Förderung von
Industrieneugründungen, die Stärkung der bestehenden Wirtschaftsschwerpunkte besonders zu forcieren. Das vor allem aus zwei Gründen: Weil dadurch die für infrastrukturelle Verbesserungen nötigen Mittel rationeller eingesetzt werden können und weil gerade jene Industrietypen, die für Niederösterreich besonders interessant wären, als Standortvoraussetzung eine größere Bevölkerungsballung verlangen.
Das Land hat seit 1962 die Haftung für neun Firmendarlehen übernommen, die zum Neubau industrieller Anlagen in Niederösterreich dienten. Es hat indirekt durch den Bau von Straßen und die Sulbventionierung kommunaler Einrichtungen gewaltig dazu beigetragen,
die Standortbedingungen für Industrien in Niederösterreich zu verbessern.
Die Zahl der offenen Wünsche Niederösterreichs ist groß. Auf unserem Wunschzettel stehen nicht nur zusätzliche Donauübergänge, neue Schnellstraßen und Autobahnäste, sondern auch höhere Dotierungen für unsere Grenzlandgebiete, den Schulbau, den Bau neuer Wasserleitungen und Kanalanlagen usw. Was Niederösterreich aber über all diese materiellen Dinge hinaus zur Bewältigung seiner aktuellen Probleme benötigt, sind Mut, Dynamik und der Glaube an die Zukunft des Landes. Solange diese Tugenden erhalten bleiben, braucht einem um die Weiterentwicklung dieses Landes nicht bange zu sein.
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