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Lebensversicherung 1968

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Zum erstenmal in der Geschichte der privaten Lebensversicherung in Österreich stieg die Versicherungssumme, auf die alle Lebensversicherungsverträge abgeschlossen sind, in einem Jahr — 1968 — um vier Milliarden Schilling an. 1967 waren es 3,2, 1965 und 1966 je 3 Milliarden, 1964 „nur“ 2,3 Milliarden Schilling. Da im Vorjahr mehr als eine halbe Milliarde Schilling für fällige Verträge aus- bezahlt wurde, beläuft sich der Gesamtzuwachs auf weit mehr als viereinhalb Milliarden Schilling. Mit anderen Worten: allein in diesem einen Jahr entschlossen sich zahlreiche Österreicher, während der Dauer ihrer Verträge diesen Milliardenbetrag nicht zu verbrauchen, sondern einen Konsumverzicht zu leisten, um für ihr Alter oder ihre Hinterbliebenen (zusätzlich) vorzusorgen.

Die gesamte Versicherungssumme stieg 1968 auf fast 30 Milliarden Schilling an. Dafür hatten die österreichischen Versicherungsnehmer im Vorjahr fast 1,6 Milliarden Schilling an Beiträgen aufzubringen. Das sind allerdings nur 0,72 Prozent des Volkseinkommens dieses Jahres, gegenüber 1967 ist hier eine leichte Steigerung festzustellen, damals waren es erst 0,67 Prozent des Volkseinkommens. Eine ähnliche Rate war in Italien (0,6 Prozent) zu verzeichnen, wenig höher lag sie in Frankreich (0,8 Prozent), die Westdeutschen wendeten hingegen schon wesentlich mehr für die Lebensversicherung auf (2 Prozent des Volkseinkommens). Darüber noch lagen die Schweiz und die Niederlande. An den ersten Plätzen der Liste fanden sich Kanada (3,2 Prozent), Neuseeland (3,3 Prozent), Japan (3,1 Prozent);

mit einigem Abstand, aber immer noch weit vorn, folgten die USA (2,7 Prozent).

Europäische Konfrontation

Österreich liegt, verglichen mit sozialpolitisch ähnlich geordneten Nachbarländern auf gleicher Höhe nur mit Italien, einem Land allerdings, dessen immer noch unentwickelter Süden den Gesamtdurchschnitt drückt. Dia Schweizer und Westdeutschen zweigen jedoch einen viermal so hohen Prozentsatz ihres Volkseinkommens für die private Lebensversicherung ab als die Österreicher.

Daß sich das Sparen durch Lebensversicherung in Österreich gerade in den letzten Jahren relativ gut durchzusetzen beginnt, beweisen die hohen prozentuellen Zuwachsraten der gesamten Versicherungssumme. Diese nahm 1968 um rund 15,7 Prozent zu, etwas mehr als 1967 (14,7 Prozent). Schon mit diesem Prozentsatz des Jahres 1967 stand Österreich unter den europäischen Staaten an vierter Stelle! Hinter unserem Land rangierten hier Italien, die Deutsche Bundesrepublik, die Niederlande, die Schweiz. Vergleicht man die Zunahme der Versicherungssummen von 1962 und 1967, so kommt Österreich in Europa hinter Schweden zusammen mit Frankreich auf den zweiten Platz. Die Gesamtsumme hat sich mehr als verdoppelt.

Übersehen werden darf allerdings nicht die immer noch relativ niedrige Versicherungsdichte. Hier wirken sich vor allem die sehr ungünstige Ausgangsbasis 1945 und der anfänglich langsame Wiederaufbau aus. So sind die fast 30 Milliarden Gesamtversicherungs-summe erst 11 Prozent des Volkseinkommens; 1967 war der Prozentsatz gleich hoch. Österreich müßte jedoch seine Versicherungssumme vervierfachen, um die Bundesrepublik zu erreichen, verfünfzehnfachen, um auf gleiche Höhe mit Schweden zu kommen.

Daran ist in absehbarer Zeit nicht zu denken. Aber diese europäische Konfrontation ist vor allem für die wirtschafts- und sozialpolitisch Verantwortlichen in unserem Land von größter Bedeutung. Denn sie stehen damit dem Problem gegenüber, wie der privaten Lebensversicherung in Österreich die notwendigen Impulse zu einer noch schnelleren Entwicklung gegeben werden können. Dies ist nicht etwa deshalb notwendig, um die Bilanzen der Versicherungsunternehmungen zu verbessern, sondern um zwei Ziele anzuvisieren: Erstens die (zusätzliche) Vorsorge breiter Volksschichten für den Ruhestand und zweitens die Vervielfachung des Kapitals, das die Lebensversicherung der Wirtschaft zur Verfügung stellen kann.

Es hat den Anschein, als würden die politisch führenden Gruppen aller Richtungen die fundamentale Bedeutung der privaten Lebensversicherung auf beiden Sektoren unter- schätzen. Ansonsten wäre es nicht denkbar, daß — um nur ein eindrucksvolles Beispiel zu nennen — die Lebensversicherung als einzige Sparform besteuert wird.

Es schmälert die großen Leistungen der sozialen Pensionsversicherung keineswegs, wenn gesagt wird, daß sie in den meisten Fällen eine Grundversorgung zu leisten hat, die naturgemäß nicht immer dem vielfach gehobenen Lebensstandard während der Berufstätigkeit entsprechen kann.

Der große Abstand

Trotz aller Anstrengungen der Sozialpolitik bleibt in den meisten Fällen der Abstand zwischen dem Einkommen der arbeitenden Menschen und derer im Ruhestand beträchtlich. Entscheidend wichtig ist deshalb, die Sozialpensionen so weit aufzustocken, daß wenigstens etwa 60 bis 70 Prozent der Löhne und Gehälter erreicht werden. Dann kann — immer noch mit Einschränkungen — das gewohnte Leben auch im Ruhestand oder nach Ableben des Erhalters in etwa weitergeführt werden. Dieses Ziel kann man aber nur durch eine Lebensversicherung erreichen, da die Versicherungssumme im Ereignisfall sofort voll ausbezahlt wird.

Ende 1968 bestanden in Österreich 4,095.311 Lebensversicherungsverträge. Im Durchschnitt dürften zwei Verträge auf einen Versicherungsnehmer fallen. Damit hätten zwei Millionen Österreicher Lebensversicherungen abgeschlossen, also ungefähr zwei Drittel der berufstätigen Bevölkerung. Die Zahl der Verträge nimmt in den letzten Jahren stetig zu. 1968 wurden 205.600 Verträge neu abgeschlossen, rund 156.600 wurden fällig, das ergibt einen Nettozuwachs von rund 49.000 Verträgen. Aber: von den rund vier Millionen Verträgen waren Ende 1968 fast 3,5 Millionen Kleinlebensverträge mit einer durchschnittlichen Versicherungssumme von 2853 Schilling. Auch ein Betrag in dieser Höhe kann — das sei mit Nachdruck unterstrichen — für so manche Familie gerade beim Ableben des Versicherungsnehmers von großer Bedeutung sein. Für eine zusätzliche Alters- oder Hinterbliebenenvorsorge reicht er jedoch nicht aus.

In der Großlebensversicherung wurden zum gleichen Zeitpunkt fast eine halbe Million Verträge gezählt mit einer durchschnittlichen Versicherungssumme von immerhin schon 39.019 Schilling. Aber auch hier ist zu bedenken: selbst wenn bis zum Fälligwerden der Verträge eine sehr beträchtliche Gewinnbeteiligung hinzukommt, so ist ein Zinsertrag eines Kapitals von, sagen wir, 50.000 bis 60.000 Schilling naturgemäß nur eine sehr willkommene Zubuße etwa zur Sozialpension, aber in den meisten Fällen dürfte er nicht auslangen, um den Standard aufrechtzuerhalten.

Deshalb ist der unverkennbare Trend zu höheren Versicherungssummen als überaus positiv zu bewerten. Auch bei den Gruppenversicherungen gehen die Versicherungssummen im Durchschnitt hinauf. 1968 wurden 6554 Einzelrisken im Rahmen der Gruppenversicherung mit durchschnittlich 3417 Schilling fällig. Die neu abgeschlossenen Gruppenversicherungen lauteten jedoch schon je Einzelrisiko im Durchschnitt auf 18.599 Schilling. Auf dem sozialen Sektor hat die private Lebensversicherung zwar bis jetzt schon beachtliche Erfolge erzielen können, aber das Ziel einer ausreichenden zusätzlichen Altersund Familienvorsorge durch sie ist immer noch weit entfernt.

Der am weitesten verbreitete Er- und Ablebensvertrag ist in seinem Wesen ein Sparvertrag, bei dem sich der Versicherer verpflichtet, ein frei vereinbartes Kapital (und dazu eine Gewinnbeteiligung) im Erlebensfall nach Ablauf einer bestimmten Frist, bei Ableben des Versicherungsnehmers sofort in voller Höhe auszuzahlen. Die Beiträge des Versicherungsnehmers werden zum größten Teil bis zu diesem Zeitpunkt rückgestellt und möglichst sicher, aber auch möglichst ertragsgünstig angelegt. Aus diesen Kapitalerträgen wird in erster Linie die Gewinnausschüttung bestritten.

Keine Utopie

Angenommen, die rund zwei Millionen berufstätiger Österreicher, die jetzt schon lebensversichert sind, würden Lebensversicherungsverträge mit einer immer noch nicht voll ausreichenden aber doch ansehnlichen Summe von 100.000 Schilling abgeschlossen haben. Das ergäbe eine gesamte Versicherungssumme von 200 Milliarden, Legt man das derzeitige Verhältnis 30 Milliarden Versicherungssumme und 7 Milliarden Vermögensanlagen zugrunde, dann ergäbe das langfristig für Wirtschaft und öffentliche Hand ein verfügbares Kapital in der Höhe von etwa 46 Milliarden. Diese Zahl ist nur scheinbar utopisch. Denn Nachbarländer, wie etwa die Schweiz oder die Deutsche Bundesrepublik, in denen sich die Lebensversicherung dem Stadium der Vollentwicklung nähert, haben sich längst daran gewöhnt, mit Kapital aus der Lebensversicherung in ähnlichen Relationen zu rechnen.

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