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Lerne jammern, ohne zu leiden

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Als klassisches Durchreise-Ländle waren die Vorarlberger immer schon um die Verpflegung anderer bemüht. Revor sie in großem Stil selbst an die Produktion von Lebensmittel gingen, erkannten andere die Vorteile des Standorts: zentral gelegen in einem Dreiländereck und - damals -billige Arbeiter. So ist es kein Zufall, daß Suchard in Bludenz zu Hause ist. Auch Maggi hatte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ein Standbein in Vorarlberg.

Heute heißen die Vorarlberger Riesen Ölz, Rauch, Pfanner, Rupp oder Alma. Die Nahrungsmittel-Industrie ist zu einem immer bedeutenderen Faktor in Vorarlberg geworden. Und das, obwohl die Rohstoffe in den meisten Fällen von ganz woanders her bezogen werden müssen.

Mit dem sprichwörtlichen Vorarlberger Fleiß hat man sich ein gutes Stück Kuchen auf dem nationalen Markt erobert, daneben aber immer den Export im Auge behalten. Rei den durstigen Arabern etwa war der Fruchtsafthersteller Rauch vor allen anderen. Oder der Räcker Ölz, dessen Firma binnen weniger Jahre wie ein Germteig aufgegangen ist, operiert schon lange mit dem deutschen Kornbrot-Spezialisten Harry - bis ins Detail gemeinsamer Frachtbehälter, die nicht nur den Austausch der Rackwaren vereinfachen, sondern bei der Logistik beider Unternehmen kaum einen Kubikzentimeter Luft Frachtraum ungenützt lassen.

Daß ausgerechnet die exporterprobten Nahrungsmittelerzeuger unter Vorarlbergs Industrie im Vorfeld der EU-Entscheidung zu den großen Jammerern zählten, überrascht nur auf den ersten Blick. Zu einer Größe gewachsen, bei der nichts mehr Zufall und Improvisation überlassen werden kann, hat man vielleicht früher als anderswo erkannt, wo die Pferdefüße stecken. Wäre, sagt stellvertretend für die Branche Karl Wiesmann, Geschäftsführer des Kartoffel-Verarbeiters Her, weniger Stimmenfang betrieben und stattdessen bei Übergangsregelungen und Überbrückungshilfen vieles klar definiert und festgeschrieben worden, hätte es keinen Anlaß für die ungute Stimmung gegeben: „Das Problem reicht ja, wie man heute sieht, vom schwächsten Glied in der Kette, dem kleinen Bauern, bis hin zur verarbeitenden Industrie.”

Betriebsabsiedelung war ein gängiger Terminus in den Vortagen der Abstimmung. Nur ein halbes Jahr später verlautet .vom Fachgruppen-Geschäftsführer Michael Amann, daß allein der Industriesektor der Branche binnen drei Jahren eine Milliarde Schilling in Vorarlberg investieren will. Selbstverständlich will man dabei von den Förderungen profitieren. Dabei sieht man sich plötzlich einem Problem aus einer unvermuteten Bichtung ausgesetzt. Ausgerechnet die auf die Exporterfolge der heimischen Betriebe stolze und hilfreiche Landesregierung zögert, ihren Beitrag zur EÜro-fit-Äktion locker zu machen.

Grundsätzlich sei man ja dafür, sagt der zuständige Abteilungsleiter im Landhaus, Karl-Heinz Büdisser zur furche, „aber die Details müssen noch geklärt werden”. Die Sektion Industrie in der Wirtschaftskammer rechnet, daß die Zusage bis Ende Februar eintrifft. Die Bedingungen, die das Land stellt, könnten einige aber überraschen. So will Rü-disser den Geldhahn nur für jene aufdrehen, die nachgewiesenermaßen „seit dem Reitritt anderen und erschwerten Marktbedingungen ausgesetzt sind”. Überspitzt gesagt: wer schon vorher von außen mit der EU gut lebte, soll durch die Finger schauen.

„Hier geht es schließlich um gewaltige Dimensionen von mehreren hundert Millionen Schilling”, rechtfertigt Rüdisser das Zaudern.

Er erteilt auch der Ansicht Amanns eine Absage, daß es ein Betrieb derart geschickt machen könnte, „während der dreijährigen EUrofit-Aktion gleich dreimal Zuschüsse für je 100 Millionen Schilling Investition im Barwert von 15 Prozent zu erhalten”. Das Land will die förderbare Gesamtinvestition pro Unternehmen auf 100 Millionen begrenzen.

Die Vorarlberger argumentieren damit, daß es zu keiner Wettbewerbsverzerrung in Österreich kommen darf. Ein Beispiel: Weil das Land Wien den Anker-Brot-Werken im Rahmen der Zinsstützungs-Aktion rasch unter die Arme greift, sieht sich Konkurrent Ölz zu Hause in Dornbirn benachteiligt.

Wer bereits Marktführer ist, tut sich leichter. Rauch wartete erst gar nicht lange ab und baut auf dem Gelände des ehemaligen Egger-Spanplattenwerks in Nüziders eine zweite große Abfüllanlage. Und Mitbewerber Pfanner will nur wenige Kilometer über der Grenze im bayerischen Lindau mit einem Getränkemarkt selbst unter die Detaillisten gehen. Vorbei ist auch das lautstarke Gezeter aus dem Hause Grabher: der Spezialist für Kartoffelverarbeitung, bisher auf die heimische Produktion angewiesen, will schon für die Erdäpfel-Kampagne 1995/96 ein Drittel aus Rayern beziehen und nur noch zwei Drittel aus dem Marchfeld. Ein Jahr später wird das Verhältnis bereits umgekehrt sein. Die Lieferverträge sind fixiert, sagt Marketing- und Vertriebschef Wiesmann. Damit verbunden will „1 ler” den Export in die EU von 75 Millionen Schilling (1994) in diesem Jahr verdreifachen. „Wir haben deshalb vor, in Vorarlberg zu bauen”, sagt er fast schon entschuldigend für die Verbalattacken, mit denen Firmenchef Hubert Grabher noch vergangenes Jahr für Aufsehen sorgte. Die EUrofit-Aktion käme gerade recht.

Weniger optimistisch blickt man im traditionellen Landwirtschaftsbereich in die Zukunft. Hier unterscheidet sich die Situation nicht von der in anderen Rundesländern. Die Bauern bekommen bei Alma und der Vorarlberg-Milch so wenig für die Milch, daß von vielen das bessere Angebot einer Allgäuer Molkerei allem Patriotismus zum Trotz ernsthaft überlegt wird.

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