"Lieber Regionales als Supermarkt-Bio“

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Das Gespräch führte Christina Repolust

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Das Gespräch führte Christina Repolust

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Bio-Produkte boomen, besonders im Supermarkt. Werbespots zeigen glücklich pickende Hühner auf saftig grünen Wiesen. "Das ist eine starke Verzerrung der Realität“, kontert der österreichische Agrarbiologe Clemens G. Arvay . In seinem neuen Buch "Friss oder stirb“ schildert er, was sich hinter dem Bio-Boom verbirgt.

Die Furche: In Ihrem letzten Buch "Der große Bio-Schmäh - wie uns die Lebensmittelkonzerne an der Nase herumführen“ haben Sie aufgezeigt, dass "Bio“-Etiketten oft Bluffs sind. Passen Supermarkt und Bio überhaupt zusammen?

Clemens G. Arvay: Große Warenmengen und wenige zentrale Verteilerplätze können nicht dem Anspruch der Bio-Landwirtschaft gerecht werden. Die einstigen Forderungen der ökologischen Landwirtschaft waren ja der Erhalt bäuerlicher Strukturen sowie eine dezentrale und vielfältige Produktion. Die Furche: Wo klaffen die beworbene Bio-Idylle und die Realität auseinander?

Arvay: Ein Beispiel ist der heimische Bio-Eiermarkt. Dieser ist quasi in den Händen von drei Konzernen, die fast nur konventionell wirtschaften. Der Bauer selbst kann nicht einmal entscheiden, welches Huhn er halten möchte. Das wird ihm vertraglich von den zwischengeschalteten Handelsfirmen vorgegeben - und letztlich von der Preispolitik der Supermarktketten. Alte Geflügelrassen verschwinden, es gibt auch bei den Bio-Eiern fast nur mehr Hybridzüchtungen.

Die Furche: Es gibt doch Gütesiegel und regelmäßige Kontrollen.

Arvay: Laut der Bio-Richtlinie der EU dürfen pro Stallabteil 3000 Legehennen und 4800 Masthühner untergebracht werden. Der größte biologische Legebetrieb in Österreich fasst 18.000 Tiere und beliefert fast alle Bio-Marken des Handels: "Zurück zum Ursprung“, "ja natürlich“ und "Natur pur“. Auch dort kommen alle Küken auf Fließbändern auf die Welt, männliche Küken werden maschinell getötet. Auch biologisch gehaltene Schweine oder Rinder werden auf industriellen Schlachthöfen geschlachtet.

Die Furche: Bei welchen Bio-Produkten sollte man noch vorsichtig sein?

Arvay: Bei jedem Produkt ist der Bio-Landwirt nur eine von vielen Station. Jedes Produkt für den Supermarkt ist ein hoch industrialisiertes Massenprodukt - auch die Bio-Waren. Ich persönlich gehe gar nicht in den Supermarkt. Denn jeder Supermarkt bietet mindestens 95 Prozent konventionelle Produkte an. Die Produktionsbedingungen dieser Waren übertragen sich auf die Bio-Produkte.

Die Furche: Was war das Bedenklichste, das Sie auf Ihrer Recherche-Reise gesehen haben?

Arvay: Den Federn-Kannibalismus gibt es auch in der Haltung von Bio-Hühnern. Die Ursachen sind die intensive Leistungszucht und die industrialisierte Massentierhaltung. Denn das ökologische Futtermittel ist nicht geeignet für Hybridhühner. Diese leiden unter Nährstoffmangel und es kann zu Kannibalismus kommen: Die Hühner picken sich gegenseitig wund und verschlucken Federn.

Die Furche: Haben Sie auch Positives zu berichten von Ihrer Recherche-Reise?

Arvay: Positive Beispiele habe ich überall dort gefunden, wo ohne Vorgaben der gro-ßen Konzerne gewirtschaftet wird, wo die Handelskette kurz ist, wo Bauern sich selbst Absatzstrukturen schaffen: Direktvermarktung, Bauernläden und -märkte, Kisten-Zustellung, Bio-Läden. So kann man bedarfsgerecht und vielfältig produzieren, ohne lange Transportwege. Der regionale Markt orientiert sich am Bedarf der Leute, nicht am Profit der Konzerne.

Die Furche: Würden Sie eher konventionelle Produkte am Bauernmarkt kaufen oder Bio-Produkte im Supermarkt?

Arvay: Bio ist nicht immer gut, konventionell ist nicht immer schlecht. Es gibt wesentlich nachhaltigere konventionelle Bauern als industrielle Bio-Betriebe. Ich kaufe meine Eier von einem Bauern, der die Futtermittel selbst herstellt - was in der Bio-Großproduktion kaum mehr möglich ist - und die Tiere vorbildlich hält. Vielen Bauern ist es gar nicht wichtig, Bio-zertifiziert zu werden, wenn sie andere Absatzmöglichkeiten haben.

Die Furche: Also sollte man besser direkt am Hof kaufen?

Arvay: Es ist nicht sinnvoll, wenn alle mit ihren Autos direkt zum Biobauern einkaufen fahren. Städtische Konsumenten können den regionalen Markt fördern, indem sie Bio- und Bauernmärkte besuchen.

Die Furche: Lebensmittel-skandale rütteln uns nur kurzfristig auf. Wieso?

Arvay: Es bräuchte eine kontinuierliche Aufklärung: Erst dann werden mehr Leute bereit sein, den Lebensmittelmarkt mitzugestalten.

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