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Löcher im Emmentaler

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Wie ein Symphonieorchester im Fortissimo die Mißtöne einer kleinen Flöte gütig deckt, so läßt auch der Wahlkampf manchen Beitrag nicht recht zur Geltung kommen. Das ist schade, denn sonst würde sich mancher besser überlegen, was er sagt. Der Vorsitzende des Arbeitsbauern-bundes, Tillian, aus Kärnten behauptet, daß sich das Einkommen der Bauernschaft verringert. Und er begründet: Der Bauer bekommt heute weniger für den Weizen als vor 18 Jahren (1952: 2,40 Schilling, heute 2,30 Schilling). Wie aber haben sich die Einkommen in der Bauernschaft tatsächlich entwickelt?

Das Betriehseinkommen je Arbeitskraft stieg In der Landwirtschaft von 15.373 Schilling 1957 über 23.063 Schilling im Jahre 1965 auf derzeit rund 30.000 Schilling. Während es zwischen 1960 und 1965 jährlich um 1146 Schilling oder 5,9 Prozent gewachsen ist, betrug die Zunahme zwischen 1965 und 1968 1870 Schilling jährlich oder 7,5 Prozent. Es gehört zu den beliebten Argumenten gewachsener Agrarpolitiker, das Arbeitseinkommen des Unselbständigen mit den Produktionspreisen in der Landwirtschaft in Relation zu setzen. Das hört sich etwa so an: Im Jahre 1955 kostete die Maurerstunde 15 Kilogramm Weizen, heute muß der Bauer dafür 30 Kilogramm aufwenden. Der Vergleich klingt überzeugend, dessenungeachtet ist er falsch.

Der Unselbständige lebt von seinem Einkommen, das er am Freitag oder

am Monatsersten auf die Hand kriegt. Der Bauer ist ein Unternehmer, der vom Betriebsergebnis lebt. Der Ertrag seiner Wirtschaft wird aber nicht nur vom Preis seiner Produkte, sondern auch von der Menge, die er erntet, und von den Kosten, die mit der Produktion verbunden sind, bestimmt. Überdies spielt natürlich auch die Tüchtigkeit des Betriebsführers eine entsprechende Rolle.

Wenn nun der Preis für die Produkte gleichbleibt, so können die Erträge trotzdem steigen, wenn die Ernteerträge besser werden oder wenn sich die Kosten für die Produktion senken lassen.

Für weniger mehr

Die Verbesserung des landwirtschaftlichen Pro-Kopf-Einkommens in den letzten 20 Jahren basiert entscheidend auf der Steigerung der Ernteerträge. Während beispielsweise die Hektarerträge bei Weizen 1951 18,2 q betrugen, stehen sie heute bei 33,2 q. Bei Kartoffeln ergibt der Vergleich: 128,7 q zu 261,2 q. Eine ähnliche Entwicklung verzeichnet die Milchwirtschaft: Obwohl in den Ställen unserer Bauern 1970 weniger Milchkühe stehen als 1951, gehen heute rund 2,1 Millionen Tonnen Milch jährlich auf den Markt gegenüber 950.000 Tonnen Anfang der fünfziger Jahre. Damals betrug das Milchgeld 950 Millionen Schilling. Heute fließen aus diesem Titel rund 5 Milliarden Schilling in die Landwirtschaft. Hinter dieser Steigerung steht natürlich nicht nur die

erhöhte Produktion, sondern auch die etappenweise Verbesserung des Erzeugermilchpreises. Ferner ist von Bedeutung, daß sich die bescheidenen Erlöse 1951 auf 1,097.000 Beschäftigte verteilten, heute aber nur noch 607.000 in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Ein gerechtes Urteil über die wirtschaftliche Lage in der Landwirtschaft kann den Produktivitätsgewinn nicht außer acht lassen. Aber von den Agrarpolitikern scheinen das nur wenige zu begreifen. Die einen jammern die Bauern krank; die anderen wollen aus einer so geschürten Unzufriedenheit politisches Kapital schlagen. Beiden Gruppen ist gemeinsam, daß sie den Bauern um den Genuß des bescheidenen Lebensstandards prellen, weil sie ihm einreden, daß er allein keinen Anteil am allgemeinen Wohlstand habe. Das Ergebnis einer solchen Politik ist Unruhe und Hoffnungslosigkeit, die nicht nur in jenen Gruppen Platz greift, die tatsächlich von ihrer Wirtschaft kaum zu leben haben, sondern die auch jene noch erfaßt, deren Betrieb neben der Abgeltung der Arbeitsleistung eine entsprechende Verzinsung des investierten Kapitals erbringt. Man kann bezweifeln, ob ein Berufsstand, dessen echte Leistung von den eigenen Vertretern stets geleugnet wird und dessen Selbstvertrauen einem permanenten Aushöhlungsprozeß unterliegt, seine Probleme besser meistert als jemand, der im Emmentaler auch den Käse und nicht allein die Löcher sieht.

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