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Macht Wachstum die Natur kaputt?

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Uns gehtes gut aber die Natur verfällt. Sind das System der freien Marktwirtschaft und unsere Konsumfixierung schuld an der Ressourcenzerstörung?

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Uns gehtes gut aber die Natur verfällt. Sind das System der freien Marktwirtschaft und unsere Konsumfixierung schuld an der Ressourcenzerstörung?

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diefurche Der „Club ofRome” hat in seinem jüngsten Bericht” wieder massiv davor gewarnt, fiir unseren Wohlstand noch mehr ökologische Zerstörung in Kauf zu nehmen Wie sehr zerstören die freie Marktwirtschaft und unsere Konsumfixierung die Lebensgrundlagen von morgen? Erich Streissler: Der Konsume-rismus ist sicherlich ein großes moralisches Problem. Man sagt oft, die Lebensgrundlagen werden durch diesen zerstört in Folge des Baubbaus an Mitteln oder Bessourcen. Aber das ist eine Behauptung, die sich durch nichts beweisen läßt. Erhöhter Konsum — das sind in zunehmendem Maß bezahlte Dienstleistungen. Und die bedeuten keine übermäßige Bessourcenver-geudung. Auch materielle Güter werden aufgrund des technischen Fortschritts immer material- und vielfach energiesparender erzeugt.

Immer wieder haben gerade Ökonomen seit nunmehr ziemlich genau 200 Jahren befürchtet, durch Angebotsmängel an die „Grenzen des Wachstums” zu stoßen. Diese Möglichkeit kann man nicht leugnen. Bisher hat sich jedoch jede diesbezügliche Prognose immer als falsch erwiesen. Tatsächlich nämlich beruhte die Einbremsung des Wachstums bisher auf gesamtwirtschaftlichen Nachfragemängeln, nie auf Bessourcen-mängeln. Immer wieder kranken Wirtschaften daran, daß sie weniger erzeugen, als sie erzeugen könnten, weil Unternehmer keine lohnenden Absatzmärkte finden. Das Problem ist also eher die Nichtproduktion als der Baubbau durch zuviel Produktion.

Das Problem des Konsumerismus mit all den damit verbundenen moralischen Fragen ist strikt zu trennen von der Zerstörung der materiellen Lebensgrundlagen. Außerdem ist in keiner Weise zu sehen, daß die Zerstörung der Umwelt der marktwirtschaftlichen Ordnung in besonderer Weise anzulasten ist. Betrachten Sie nur die zerstörte Umwelt in den ehemaligen sozialistischen Ländern Osteuropas.

DIEFURCHE: Unser Wirtschaftssystem ist doch auf Wachstum angewiesen? STREISSLER: Die Bessourcenprobleme und die Zerstörung der Umwelt entstehen nur durch eine unvollständig organisierte Marktwirtschaft. Nämlich dadurch, daß bestimmte Bessourcen niemandem gehören, sodaß ihr Verbrauch nicht in die Kostenberechnung eingeht. Es gibt beispielsweise keine Eigentumsrechte an der Luft, die wir atmen, an den großen Gewässern und den darin lebenden Fischen; und insbesondere nicht an den Weltmeeren und der Stratosphäre. In diesem Bahmen stellt sich auch das Problem der Umweltbelastung. Die entscheidenden Probleme sind dabei: die Verschmutzung der Meere, der Atmosphäre mit CO2 und vielleicht auch noch die das Ozonloch verursachenden Gase. Die ^Überfischung” der Meere kann etwa nur passieren, weil sie niemandes Eigentum sind. Die Kosten des Fischfangs sind unvollständig, weil die Aufwendungen für den eigentlich nötigen Bessourcenersatz, zum Beispiel die Erneuerung von Fischbeständen, in der Berechnung nicht aufscheinen und daher von niemandem getragen werden. Eine unternehmerische Marktwirtschaft funktioniert nur innerhalb einer Privateigentumsordnung. Wenn die Verwendung von Bessourcen nicht in irgendeine Kostenrechnung eingeht, kommt es zu Übernutzung. Dies würde in einer funktionierenden Marktwirtschaft, in der man für alle Güter und Dienstleistungen etwas bezahlen muß, nicht passieren.

DIEFURCHE: Wie macht man das? Soll der Staat als Treuhänder der Atemluft oder der Fische in den Meeren agieren? Sollen die Ozeane privatisiert werden? STREISSLER: Das Problem beispielsweise der Überfischung ließe sich durch geeignete Maßnahmen sicherlich entschärfen. Im internationalen Bereich gibt es aber offenbar keine Bereitschaft zur Einigung. Schon im nationalen Bereich sind Einigungen über darartige Dinge sehr schwierig. Da es sich typischerweise um Zusammenhänge handelt, die außerhalb der etablierten Wirtschaftsordnung liegen, kann man die Lösung nicht von den Marktteilnehmern selbst erwarten. Sie ist Sache der Politik. Die muß den Bechtsrahmen setzen.

DIEFURCHE; Der „Club of Rome” fordert, auch die Umweltkosten in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung miteinzubeziehen Ist das sinnvoll? STREISSLER: Grundsätzlich ist diese Forderung richtig. Sie wird aber schwer zu verwirklichen sein, denn alle Bewertungen von Umweltgütern sind immer subjektive Einschätzungen und können nicht so ohne weiteres in gemeinverbindlicher Weise vorgenommen werden. Die Statistiker wollen nur das erheben, für das sie sichere Grundlagen haben. Bei Umweltfragen wissen wir aber, daß sie unterschiedlich bewertet werden. Manchen liegen sie sehr am Herzen, manchen weniger. Die Berechnungsmöglichkeiten schwanken in einer Breite von 1 bis 10, sodaß jeder Statistiker sich wehrt, sie in öffentliche Statistiken einzubeziehen. Es geht also nicht um ein ideologisches Problem, sondern um ein praktisches, nämlich

die Anfechtbarkeit der Statistiken.

DIEFURCHE: Erfüllt die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung überhaupt noch ihren Zweck? STREISSLER: Das Konzept stammt aus den dreißiger Jahren. Es wurde nicht entwickelt, um gesamtgesellschaftliche Nutzengrößen zu erfassen, sondern um die Arbeitsmarktpotenz zu ermitteln. Es sollten die Beschäftigungsmöglichkeiten, die im Zuge der Güterproduktion geschaffen wurden, abgesteckt werden. Wenn man Umweltgüter nicht miteinrechnet, dann deshalb, weil sie zwar als wertvoll gelten, aber oft keine Beschäftigung schaffen. Die Sauberkeit der Luft ist vielen etwas wert, aber wieviel Arbeitsplätze schafft dreimal tief durchatmen oder das Wandern in würziger Waldluft? Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist ein Konzept mit begrenzter Zwecksetzung. Das wird übersehen, wenn man sie umdeutet und als eine Einschätzung gesellschaftlich „Wertvollem” verstehen will.

diefurche: Die Einführung eines „nachhaltigen Sozialproduktes11 statt des Bruttosozialproduktes würde so gesehen auch nicht mehr aussagen? STREISSLER: Das sind gängige und an sich berechtigte Forderungen, nur ist so etwas schwer zu errechnen. Die Frage ist, ob man die offizielle Statistik nicht überfordert, wenn man eine Abschätzung der Nachhaltigkeit von ihr verlangt. Ein guter Teil des Sozialpro duktes beeinträchtigt die „Nachhaltigkeit” im übrigen in keiner Weise. Der Fehler, der immer wieder gemacht wird, ist, daß das Sozialprodukt als ein materieller Güterhaufen gesehen wird. Ein immer größerer Anteil besteht aber aus Dienstleistungen. Viele Dienstleistungen sind wertvoll, verbrauchen aber keine materiellen Güter: Denken Sie etwa an den Musikgenuß in einem Konzert oder die Empfehlungen eines Steuerberaters.

Und noch etwas: Das größte Problem, vor dem wir stehen, ist gar nicht das Umweltproblem. Es ist die Frage der Behandlung und des Erhaltens alter Menschen. Dieses Problem ist quantitativ gesehen wesentlich größer, tritt aber in den Überlegungen des „Club of Borne” überhaupt nicht auf.

Ich habe kürzlich in einem Vortrag gehört, daß es wahrscheinlich möglich sein wird, durch Bekämpfung genetischer Erbleiden das menschliche Leben in den nächsten zwei Generationen im Schnitt auf 120 bis 140 Jahre auszudehnen. Überlegen Sie sich, was das bedeutet! Das sind viel größere Probleme als die Knappheit der materiellen Bessourcen. Daß in unserer Gesellschaft das Problem des Alters und des Todes überhaupt nicht entsprechend berücksichtigt wird, hängt mit der Haltung zusammen, daß wir uns heutzutage eben alle immer jung vorkommen wollen.

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