Mehr Grund oder mehr sicher?

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Die Grundsicherung darf nicht über die Abschaffung der bestehenden sozialen Sicherungssysteme finanziert werden.

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Die Grundsicherung darf nicht über die Abschaffung der bestehenden sozialen Sicherungssysteme finanziert werden.

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Die Debatte um Grundeinkommen oder Grundsicherung ohne Arbeit hat in den letzten Jahren an Intensität wieder zugenommen, weil * die Grundsicherung durch Erwerbsarbeit immer schlechter funktioniert. Wenn eine alleinerziehende Frau im Handel nur mehr Teilzeitarbeit um 6.000 Schilling angeboten bekommt, hat sie keine ausreichende Grundsicherung.

* die sozialen Sicherungen keinen Sockel haben (bedingte Ausnahme ist die Pensionsversicherung mit der Ausgleichszulage). Die Regel ist: wer schlecht (oder gar nicht) verdient hat, ist im Risikofall (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pension) noch schlechter geschützt.

* zwar nicht das Ende der Erwerbsarbeit, aber die Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses absehbar ist. Nicht nur neue prekäre Arbeitsformen, sondern vor allem Dauer- und Massenarbeitslosigkeit bedrohen die klassische Sozialversicherung, die sich auf Beitragsleistungen stützt.

* zwar nicht dauerhafte, lebenslange Armut deutlich zunimmt, aber vor allem Passagensicherung immer notwendiger wird. Plakativ. Wer Kinder betreut, dessen Risiko, arbeitslos und arm zu werden (oder zu bleiben), steigt!

Von dieser Beschreibung und Analyse ausgehend, haben die Grünen ihr Konzept der bedarfsorientierten und lebenslagenbezogenen Grundsicherung entwickelt. Uns geht es dabei nicht darum, die bestehenden sozialen Sicherungssysteme abzuschaffen (wie das teilweise im Modell des Libralen Forums der Fall ist), sondern so umzubauen und zu ergänzen, daß sie erstens ausreichend gegen Armut schützen und zweitens den einzelnen Menschen mehr und bessere Lebenschancen sichern können.

Die Grünen-Grundsicherung ist nicht voraussetzungslos. Nur wer tatsächlich kein oder ein unzureichendes Einkommen (aus Erwerbsarbeit, Sozialtransfers, Vermögen, Unterhalt oder sonstigen Erträgen) hat, soll Grundsicherung in der Höhe von 6.000 Schilling erhalten. Dazu kommt allerdings noch ein Wohngeld (im Durchschnitt mit rund 2.000 Schilling berechnet). Das Wohngeld wird allerdings nicht nur an GrundsicherungsbezieherInnen, sondern an alle Personen mit niedrigen Einkommen ausbezahlt. Damit wollen wir vor allem erreichen, daß die Kosten für Wohnen, derzeit einer der wichtigsten Armutsfaktoren, flexibel Berücksichtigung finden.

Die materielle Grundsicherung für jeden erwachsenen Menschen würde somit im Minimum 6.000 Schilling, mit Wohngeld rund 8.000 Schilling betragen. Einkommen aus Erwerbsarbeit würden mit 70 Prozent zur Grundsicherung angerechnet, sodaß auch bei geringfügiger Beschäftigung und Teilzeitarbeit (bis ca. 9.000 Schilling) noch Grundsicherung aufgezahlt wird. Was hier so umständlich klingt, ist in Wirklichkeit einfach: Wir wollen vor allem jenen Menschen, die kein oder ein geringes Einkommen haben, Grundsicherung geben. Das ist der erste Teil der Grünen-Grundsicherung, in dem es unmittelbar und konkret um Armutsvermeidung geht.

Grundsicherung muß aber mehr als materielle Mindestsicherung sein. Sie muß auch Teilhabechancen eröffnen. Die Grundsicherung der Grünen beinhaltet daher auch infrastrukturelle Grundsicherung: das Recht auf außerhäusliche Kinderbetreuung, auf kostenlose Bildung, den Zugang zu kulturellen Einrichtungen, zum Gesundheitssystem usw. Das ist deswegen nicht selbstverständlich, weil hier Konzepte, die unter dem Titel "Grundsicherung", "Bürgergeld", "negative Einkommenssteuer" oder "Grundeinkommen" laufen, manchmal auch mogeln. Im Klartext: wir wollen die Grundsicherung nicht über die Abschaffung der Sozialversicherungspensionen oder des Arbeitslosengeldes und auch nicht über ein kostenpflichtiges Bildungssystem finanzieren.

Gerade der Zugang zu Bildungseinrichtungen entscheidet oft über Lebenschancen und Lebensgestaltung. Wer die Chance auf möglichst umfassende Bildung hat, ist besser dran! Deshalb sind fünf Jahre Recht auf Bildungskarenz mit Grundsicherung Teil des grünen Modells. Dadurch könnten nicht nur Arbeitslose, die derzeit nur bei Sperre (!) des Arbeitslosengeldes studieren können, sondern auch Erwerbstätige "lebensbegleitend" lernen.

Zusammen mit der Mögli chkeit zu zwei Jahren Totalkarenz (Sabbatjahr) und einem Abtausch von Grundsicherung mit späterem Pensionsantritt ermöglicht das grüne Grundsicherungsmodell mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeit im Leben, aber auch eine individuelle Verkürzung der Lebensarbeitszeit.

Auch die Grüne Grundsicherung kostet Geld. Nach unseren Berechnungen rund 35 Milliarden Schilling. Finanziert würde sie durch Neuorganisation beim Familienlastenausgleichsfonds, bei den diversen Wohnbeihilfen, in der Arbeitslosenversicherung und durch Neuorganisation des Pensionssystems ("Grünes Pensionsmodell"). Dennoch bliebe eine Finanzierungslücke von rund 10 bis 20 Milliarden. Im Sinne von Fair Teilen, dem Leitmotiv unserer Grundsicherung, sollte über eine Neuregelung der Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung dieser Beitrag von denen kommen, die tatsächlich etwas zur Verteilung beitragen können.

Der Autor ist Sozialsprecher der Grünen.

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