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dieFurche: Informations- und Kommunikationstechnologien gelten als „die" Technologien der Zukunft Welche Bedeutung werden sie künftig fiir den einzelnen Bürger haben?

Paul Kolm: Der Weg in die Informationsgesellschaft ist sicher das größte politisch-ökonomische Projekt in der EU nach der Umsetzung der Ziele von Maastricht. Zur Zeit wird ein europäisches Technologieförderungsprogramm mit zehn großen Aktionsfeldern entwickelt. Dazu gehören unter anderem Telearbeit, „Tele-Government" - das betrifft öffentliche Verwaltung und Ausschreibungswesen -, Straßenverkehrs-Management, Gesundheitswesen und die Schaffung von „Informations-Schnellstraßen" für die Städte. Zumindest damit wird der einzelne Bürger unmittelbar in Berührung kommen, denn hier sollen auch private Haushalte Zugang erhalten. Insgesamt handelt es sich jedenfalls um eine Entwicklung mit großer gesellschaftlicher Tragweite.

dieFurche: Wie steht Österreich zu diesem Projekt der EU?

Kolm: Seit dem Vorjahr wird an einem Weißbuch der österreichischen Bundesregierung gearbeitet, das die Schwerpunkte für Osterreich festlegen soll. Arbeitskreise in mehreren Ministerien erstellen derzeit dafür die Grundlagen. Diese Expertengremien sollen feststellen, wo die neuen Technologien nutzbringend eingesetzt werden können und wo politischer und legistischer Handlungsbedarf besteht. Es geht dabei auch um die gesellschaftlichen Auswirkungen und um den Kontakt zum Bürger.

dieFurche: Genau hier beginnt bei vielen Menschen das große Unbehagen...

Kolm: Nicht ganz zu Unrecht. Es gibt genug Risiken bei dieser Entwicklung, bis hin zu neuen Spaltungstendenzen in der Gesellschaft. Nach meiner persönlichen Einschätzung liegt eines der Hauptprobleme aber darin, daß die bisher entwickelten Konzepte zu sehr angebotsorientiert sind. Die von der Telekommunikationsindustrie geförderte Mythenbildung um den „Information highway" macht eine nüchterne Einschätzung des Nutzens sehr schwierig.

Die Frage, welche Dienste wirklich erfolgreich laufen können, ist bisher offen geblieben. Es besteht die große Gefahr, daß an den realen Bedürfnissen der Menschen vorbeiproduziert wird.

dieFurche: Es werden also Nutzungen angeboten, die eigentlich niemand braucht?

Kolm: Das meiste, was derzeit angeboten wird, nützt nur einem engen Anwenderkreis wirklich. Das Internet ist wichtig für Wissenschaftler, auch als Journalist wird man es wohl brauchen. Aber für die meisten Menschen ist das „Surfen" im Internet eigentlich eher Entertainment... eben „Intertainment".

In Europa und in den USA wird heute ständig die Frage der „Universaldienste" diskutiert: Welche Infrastruktur ist nötig, wer soll Zugang haben? Für den Bürger wären aber die Inhalte viel interessanter.

dieFurche: Spricht man in Österreich genug über die Inhalte?

Kolm: Was fehlt, ist ein öffentlicher Diskurs, bei dem vor allem drei Aspekte zu erörtern wären: das Angebot an Telekommunikationsdiensten - vom Teleshopping über Telemedi-zin bis zu Einsatzformen im Bildungsund Kunstbereich - künftige Gebrauchsituationen und die Anforderungen an die Technik. Die gesellschaftlichen Bedürfnisse und Nutzungsinteressen können so herausgefiltert werden beziehungsweise dort, wo bereits ausgereifte Technologien bestehen, die spezifischen Anwendungsmöglichkeiten aus Nutzer-Sicht.

dieFurche: Wie könnte dieser öffentliche Diskurs ablaufen?

Kolm: Die „ARGE Öffentlichkeit und Technologiepolitik", die aus Mitarbeitern des Wirtschaftsforschungsinstitutes, des Institutes für Technologiefolgen-Abschätzung an der Akademie für Wissenschaften und des Institutes für Gestaltungs- und Wirkungsforschung an der TU besteht, hat dafür ein Modell entwickelt. Die Grundidee ist ein rechtlich verankertes dreistufiges Verfahren. In der ersten Stufe sollen von Interessenvertretungen, Bürgerinitiativen, Wissenschaftlern, Privatpersonen - von jedem, der sich dazu berufen fühlt -Szenarien über die künftige Entwicklung erstellt werden, in denen die konkreten Bedürfnisse und Konflikte dargestellt werden.

Die Fragestellung lautet: Wo kann die moderne Technologie für mich wirklich sinnvoll sein? Die nächste Stufe ist ein öffentlicher Diskussionsprozeß: regional gestreute Workshops mit einem nach soziodemographi-schen Gesichtspunkten ausgewählten Teilnehmerkreis, zusätzlich eine breite öffentliche Diskussion über die Medien. Auf diese Weise sollen konkrete Zielvorstellungen entwickelt werden.

dieFurche: Wie sollen diese ZielvorStellungen umgesetzt werden?

Kolm: Durch eine zwingende parlamentarische Behandlung. Das ist die dritte Stufe des Modells. Ein parlamentarischer „Ausschuß für technologiepolitische Fragen" stellt fest, wo legistischer Handlungsbedarf besteht. Die vom Ausschuß erarbeiteten Programmvorlagen müssen im Plenum behandelt werden. Das bringt mehr Einbindung des Parlaments in die Entwicklung technologiepolitischer Strategien, zugleich erhalten die in den öffentlichen Diskussionen erarbeiteten Ergebnisse eine erhöhte Legitimation.

dieFurche: Ein Modell, das nicht nur im Themenbereich „Informationsgesellschaft " Bedeutung haben könnte...

Kolm: Es ist auch nicht darauf spezialisiert, sondern ganz allgemein für „Technologie" gedacht. Die Technologiepolitik und damit auch die Förderungsinstrumente sind heute zu einseitig an technisch-ökonomischen Zielen orientiert.

Ein modernes Konzept muß auch soziale, ökologische und ethische Gesichtspunkte berücksichtigen, und es muß die Öffentlichkeit einbinden. Jetzt haben wir erstmals Gelegenheit, unser Modell in der Praxis zu erproben. Der Projektantrag für die exemplarische Durchführung und die wissenschaftliche Begleitforschung wurde bereits eingebracht.

dieFurche: Wovon hängt die Realisierung ab?

Kolm: Vor allem von der Finanzierung. Wenn man aber bedenkt, wieviele hundert Millionen in die „Informationsgesellschaft" fließen werden, sollten die 2,4 Millionen für unser Projekt eigentlich nicht zu viel verlangt sein.

Es gibt auch bereits positive Signale. Vorgespräche mit Parlamentariern haben gezeigt, daß die Bereitschaft für eine parlamentarische Enquete besteht; die ORF-Landesstudios wären bereit, öffentliche Diskussionen zu organisieren. Die Unterstützung durch die Medien - Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen - wird überhaupt sehr wichtig sein, sowohl beim öffentlichen Aufruf zum Erstellen von Szenarien als auch bei der späteren Diskussion.

dieFurche: Aber selbst wenn man weiß, welche Anforderungen die Menschen an die Informationsgesellschaft stellen: Werden sich die Anbieter danach richten?

Kolm: Hier liegt ein großes Problem, zumal das, was gesellschaftlich sinnvoll ist, nicht unbedingt kommerziell lukrativ sein muß. Es gibt bereits die Idee, einen Fonds zu schaffen, in den alle Netzbetreiber einzahlen müssen. Wer Dienste im Interesse der Allgemeinheit einrichtet, erhält aus dem Fonds sein Geld zurück. Jedenfalls wird der politische Auftrag lauten müssen, die Anbieter dazu zu bringen, daß sie dort etwas tun, wo es den Leuten wirklich nützt.

Das Gespräch führte

Christine Kary.

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