Mehr Verkehr ist programmiert

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Über Verkehrspolitik läßt sich trefflich streiten - auch mittels Gutachten. Schuld sind die Zielkonflikte. Sie zu lösen, ist die Herausforderung für das künftige Infrastrukturministerium.

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Über Verkehrspolitik läßt sich trefflich streiten - auch mittels Gutachten. Schuld sind die Zielkonflikte. Sie zu lösen, ist die Herausforderung für das künftige Infrastrukturministerium.

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Bin auf der A1 im Raum Enns in einem Stau und komme wahrscheinlich eine Viertelstunde später", läßt der aus Wien anreisende Sitzungsteilnehmer per Handy den bereits Wartenden mitteilen. Erfahrungsgemäß kann er mit Verständnis bis Mitleid rechnen. Das Gedränge auf den Straßen ist als Entschuldigung für fehlende Zeitplanung weitgehend akzeptiert. Im Kontrast zu dieser verständlichen Reaktion stelle man sich als Entschuldigung familiäre Verpflichtungen vor, wie Kinder in die Krabbelstube bringen.

Natürlich sind die Staustunden bereits in Geld bewertet: nach Dokumenten der EU-Kommission werden rund zwei Prozent des Bruttosozialproduktes "verstaut". Wohin soll das führen, hat doch der Verkehr seine Sättigung noch lange nicht erreicht? Innerhalb der nächsten 20 Jahre sollen die Pkw auf den Straßen um 35 bis 40Prozent zulegen, das Wachstum des Lkw-Verkehrs wird deutlich über dieser Marke angesetzt. Also mehr Straßen und Schienen, so die Forderung.

Die Bahn verliert Marktanteile Leider konnte bisher die Bahn am boomenden Transportmarkt nicht partizipieren. Trotz gewaltiger Anstrengungen im Schienenausbau ist im Vorjahr die Zahl der Bahnfahrer um rund zwei Prozent zurückgegangen. Auch beim Transport von Gütern hat europaweit die Schiene gegenüber der Straße Marktanteile verloren. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.

Ein Infrastrukturministerium wird geschaffen, die Agenden für Straße und Schiene werden endlich zusammengeführt, so hörte man es zumindest in Vorwahlzeiten. Da logisch und seit Jahren gefordert, zeigt sich kaum ein ernsthafter Widerspruch. Also ein politischer Konsens über die Notwendigkeit der Aufrüstung von Straße und Schiene in einer nationalen Kraftanstrengung. Doch ein breiter gesellschaftlicher Konsens besteht nicht.

Höchste Zeit für eine Infrastrukturoffensive, so sagen wirtschaftsnahe Kreise. Weltweiter Güteraustausch, Verbesserung der Standortqualität, europaweiter Wettbewerb, neue Herausforderungen infolge der bevorstehenden EU-Osterweiterung erforderten dies, so die Argumentationslinie, die man als ökonomisch-expansiv zusammenfassen könnte.

Wir lösen die Probleme von morgen nicht mit Denkansätzen von gestern. High-tech und damit rohstoffarme Produktionszweige und Dienstleistungen gehörten die Zukunft: Telearbeit, Teleshopping, Tele ..., vermindere den Personenverkehr und die elektronische Nachrüstung der Autobahnen lasse Staus erst gar nicht entstehen, so die Hoffnungen der technologisch-innovativen Denkschule.

Der Verkehr kommt doch allen zugute: Der Zusammenhang von Straßenbau und Regionalwirtschaft wird ins Treffen geführt, Arbeitsplatzsicherung auch in abgelegenen Regionen, jedenfalls aber zumutbare Pendeldistanzen in die Wirtschaftszentren. Mobilität und damit mehr Pkw heißt höherer Wohlstand. Vielfalt des Konsums ("wir bringen was Sie täglich brauchen") und weltweites Angebot für Urlaubs- und Freizeitgestaltung: So etwa die Argumente der fortschrittlich-optimistischen Weltsicht.

Liegt das Glück nur im Wachstum der Wirtschaft, des Einkommens und damit auch des Verkehrs? Brauchen wir ständig mehr und gehen dadurch nicht andere Werte unwiederbringlich verloren? Nähern wir uns nich einem Zustand, den man "Mobilitätsfalle" nennen könnte? Es gibt doch Alternativen zu einem Prozeß, der jetzt schon Schrammspuren aufweist, so die ökologisch-restriktive Botschaft.

Derzeit dominieren Wirtschaftsargumente Wie sollen sich Politiker bei dieser Meinungsvielfalt zurechtfinden und konsensfähige Mehrheiten bilden? Die Verwirrung wird noch größer, wenn man bedenkt, daß sich alle diese Positionen durch Gutachten und Expertisen belegen lassen. Die kritische Sichtung der Argumente dokumentiert erneut, daß in kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich die Zielsetzungen so gegensätzlich sind wie im Verkehr. Das ist auch nicht verwunderlich, ist doch unser eigenes Verhalten widersprüchlich. So sortieren wir fleißig Altstoffe, entwickeln aber kein schlechtes Öko-Gewissen, wenn wir mit dem Auto unterwegs sind. Die Diagnose ist klar: bei geübter Rhetorik ist jede der genannten Positionen in sich widerspruchsfrei argumentierbar: Es gibt eine Logik des Marktes, der Technologie, des Fortschrittes und natürlich auch der Ökologie; jedoch paßt das alles zusammen?

Derzeit dominieren nun einmal Argumente der Wirtschaft und der Beschäftigung. Globalisierung enge den Handlungsspielraum ein, so die landläufige Meinung. Wer sich nicht anpaßt, ist verloren. Auf dem Verkehr übertragen leitet sich daraus der Bedarf an weiteren Infrastrukturen ab. Bei der Vernetzung mit den Reformstaaten sind Steigerung der Transportqualität und der Kapazitäten unvermeidbar.

Und tatsächlich ist es um Umweltbelange im Verkehr relativ still geworden. Die Umweltdebatte hat sich entschärft, entweder haben die Aktivisten resigniert oder andere Betätigungsfelder gefunden. Die Fahrzeuge wurden technologisch weiterentwickelt und bei Straßen- und Schienenausbauten werden zum Teil hohe Zusatzkosten in Kauf genommen. Ist damit das Problem behoben? Keineswegs, wie aktuelle Beispiele bei Straßenprojekten zeigen. Auch der Ausbau der Bahn stößt bei den betroffenen Bewohnern auf erbitterten Widerstand.

Und Europa: Nach europäischer Diktion gilt der Transport als Vorleistung der Produktion und soll möglichst billig sein. Überlegungen zur Anlastung aller Kosten ("Kostenwahrheit") kommen darum nur sehr träge voran. Daß man dadurch die Voraussetzungen für weiteres Verkehrswachstum und zusätzlichen Infrastrukturbedarf schafft, wird nicht gerne gehört. Auch auf höherer Entscheidungsebene gilt eine Alltagserfahrung: Systemzusammenhänge werden dann eher verdrängt oder wegargumentiert, wenn die Schlußfolgerungen dem eigenen Weltbild widersprechen.

In der aktuellen Diskussion wird Infrastrukturbedarf mit der Ausweitung der Verkehrsströme begründet. Dabei ist die Globalisierung in der Konsumwelt längst Realität. Ein Blick in die Regale der Supermärkte kann davon überzeugen. Jedoch, wie sehr steigt die Lebensqualität, wenn statt fünf Biersorten aus heimischen Brauereien deren 20 aus europäischer Produktion angeboten werden?

Die Antwort entscheidet mit darüber, welche Straßen und Schienen für die Zukunft gebaut werden müssen. Der Verkehr ermöglicht also die Befriedigung einer Vielfalt von Bedürfnissen und ausreichende Verkehrswege schaffen dafür die Voraussetzungen. Da unsere Wünsche nach einer umfangreichen Güterpalette und uneingeschränkter Mobilität kaum Grenzen erkennen lassen, tendieren angebotene Verkehrskapazitäten zur Ausnutzung. So bestätigt unsere Alltagserfahrung, daß auch zusätzliche Spuren bei hochbelasteten Straßen den Stau nur vorübergehend beheben. Es liegen also wechselseitige Abhängigkeiten von Angebot und Nachfrage vor. Bei der Beurteilung der vier dargestellten Positionen sollten wir die Ursache des Problems nicht mit dessen Lösung verwechseln.

Noch funktioniert das System Straße gut Nahezu zwanglsäufig kommen wir dabei zur leidigen Diskussion "Straßenausbau versus öffentlicher Verkehr". Dabei müssen wir feststellen, daß trotz zunehmender Staus das System "Straße-Pkw/Lkw" immer noch relativ gut funktioniert. Immer noch werden vor allem von Autobefürwortern negative Wirkungen, wie Unfälle, Staus, Lärm und Abgase als unvermeidbare Begleiterscheinungen des Straßenverkehrs angesehen, vergleichbar den Spänen in der Tischlerei. Diskussionen über Alternativen zum Auto - mit geringfügig variierenden Argumenten - kennen wir doch schon seit Jahren. Bislang allerdings waren die politischen Absichtserklärungen für die vermehrte Nutzung von Bahn und Bus wenig hilfreich. Zukunftsfragen harren also einer Antwort !

Bei der Unsicherheit aller Prognosen: die weitere Zunahme des Straßenverkehrs, anhaltende Finanzierungsprobleme und eine Verschärfung der Meinungsvielfalt dürfte auch für die kommende Legislaturperiode und darüberhinaus eine überraschungsfreie Vorausschau darstellen. Durch die anhaltende Knappheit der öffentlichen Haushalte macht ein Infrastrukturministerium allein die Verwirklichung verkehrspolitischer Ziele nicht zwangsläufig leichter.

Die verkehrspolitische Herausforderung der Zukunft ist damit offensichtlich: Lösung der angesprochenen Zielkonflikte soweit als möglich in demokratischem Konsens.

Zusammenfassend gilt: eine moderate Abrundung des Straßennetzes, ein großer Nachholbedarf der "bedarfsgerechten Nachrüstung" der Schiene, vor allem jedoch die nachhaltige Verbesserung der Angebotsqualität von Bahn und Bus wird weitgehend als konsensfähig angesehen. Die bei Einzelprojekten ins Treffen geführten Argumente sind jeweils Ausdruck einer bestimmten Weltsicht und ernstzunehmenden Werthaltung. Die Gräben dieser Meinungen zu überwinden ist eine enorme Herausforderung für die Zukunft und wohl die zukunftsentscheidene Aufgabe für ein Ministerium.

Der Autor ist Leiter der Abteilung Verkehrskoordinierung des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung, zuständig für das Management des Oberösterreichischen Verkehrsverbundes.

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