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Gehen 60 Jahre praktischer Vollbeschäftigung zu Ende? Nähert sich Österreich, bis jetzt eine eher einsame Insel der geringen Arbeitslosigkeit, dem europäischen Durchschnitt von zirka zehn Prozent, die sogar nach OECD-Maßstab gemessen werden?1' Kehren wir zurück zu Zeiten, als die „Geißel der Menschheit" - wie im 19. Jahrhundert und der Jahre vor 1938 - Kernpunkt der politischen Diskussion war?

Wir dürfen den Blickwinkel nicht allzu sehr verengen. Denn in den dreißiger Jahren standen zirka 1,3 Millionen Beschäftigen zirka 300.000 Arbeitslose2' gegenüber; heute haben wir 300.000 (Saison-)Arbeitslose gegenüber drei Millionen Beschäftigten. Diese Beschäftigtenzahlen sind noch dazu in den letzten fünf Jahren um fast 300.000 gestiegen, das heißt, Arbeitsplätze sind neu geschaffen worden, die allerdings - mangels österreichischen Bewerbern - rriit Ausländern besetzt werden mußten.

Trotzdem wird Arbeitslosigkeit in Zukunft die politische Diskussion beherrschen. Denn in absehbarer Zeit werden unsere Nachbarn, also Tschechien, Ungarn und andere an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aufgeholt haben; die Löhne werden zwar steigen, aber immer noch niedrig genug bleiben, um uns ernsthafte Konkurrenz zu machen. Die Strukturschwächen der österreichischen Wirtschaft werden wesentlich deutlicher zu Tage treten und sich - wenn wir nicht ernsthaft daran gehen, sie zu beseitigen - in erhöhter Arbeitslosigkeit niederschlagen.

Im derzeit fertiggestellten Regierungsprogramm versucht man hier gegenzusteuern. Das Heil wird allerdings nur bei aktiven Maßnahmen gesucht, das heißt, man will das Angebot an Arbeitsplätzen vermehren. Beschäftigungsprogramme in bewährter (?) keynesianischer Manier stoßen aber an die Grenze der Staatsverschuldung, die kaum mehr ausgeweitet werden kann. Privatwirtschaftliche oder gemischte Finanzierung des vorgeschlagenen 200-Milli-arden-Investitionspakets werden wieder durch die geringe Rentabilität begrenzt.

Diese aktiven Maßnahmen sollen nicht abgewertet werden. Sie sollten aber durch passive Maßnahmen, das heißt die Reduzierung des Arbeitskräfteangebots, ergänzt werden, vor allem durch solche, die „nichts kosten".

Bisher wurde schon durch die Frühpension diese Strategie verfolgt, nur ist sie auf Dauer zu teuer und daher unfmanzier-bar.

Finanziert man die Frühpension aber über Eigenvorsorge (Pensionskassen), wäre es eine sehr erfolgversprechende Entschärfung der Problematik. Langfristig erfordert es nur einen Beitragssatz von drei Prozent (!) vom Bruttoentgelt, wäre also sehr billig. Sucht man kurzfristige Lösungen, wären fünf bis sieben Prozent notwendig. Damit könnten auch jene 3,5 Billionen (!) Sparguthaben zur Finanzierung herangezogen werden, die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht zur Verfügung stehen.

Das Bestechende an diesem Vorschlag wäre, daß nicht nur die Problematik Arbeitslosigkeit so zu entschärfen wäre, sondern auch die Pensionen finanzierbar gehalten werden könnten.

Die Langzeitlösung heißt aber: umfassende Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Hunderttausende Arbeitsplätze ohne zusätzliche Kosten wären über Teilzeitarbeit, besonders durch job-sharing, zu schaffen.

Arbeitszeitverkürzung, auch ohne Lohnausgleich, wie oft vorgeschlagen, zielt zwar in die gleiche Bich-tung, ist aber nicht praktikabel. Man muß die Arbeitszeit -durch Teilzeitbeschäftigung -dort kürzen, wo es von den Be-! teiligten gewünscht wird. Teilzeitarbeit in Österreich gewinnt zwar immer mehr an Bedeutung (von 11,9 Prozent auf 15,5 Prozent bei den Frauen)3', doch ist sie (noch) keine entscheidende Entlastung des Arbeitsmarkts. So arbeiten in Österreich nur 6,4 Prozent aller Unselbständigen Teilzeit, während in den Niederlanden diese Quote bei den Frauen 37 Prozent beträgt.

Dem steht gegenüber, daß in der Europäischen Union 21 Prozent der Vollarbeitenden (Frauen und Männer) Teilzeit arbeiten wollen. Legt man das auf Österreich um und könnte man diese Wünsche realisieren, würde das (theoretisch) bis zu 600.000 zusätzliche Arbeitsplätze bedeuten4). Die Arbeitslosigkeit würde allerdings nicht in gleichem Maß abnehmen, da ein großer Teil dieser Teilzeitwünsche von bisher Nichtbeschäftigten kommt.

Einsichtig ist, daß

■ Frauen mit Kindem gerne Teilzeit arbeiten möchten. Überraschend ist aber, daß auch

■ Männer und Frauen über 50 Teilzeitarbeit suchen. Hier könnten in Verbindung mit Gleit- (aber schon ab 55 Jahren) und Teil-Invaliditätspen-sion ebenfalls zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Als Nebeneffekt könnte die Belastung durch Voll-Invaliditätspensionen vermindert werden.

Teilzeitarbeit ist in Österreich nicht nur wenig verbreitet und wenn, dann nur bei minderqualifizierten Arbeitsplätzen. Was fehlt, sind Teilzeitarbeitsplätze in qualifizierten Tätigkeiten, die von hochausgebildeten Frauen angestrebt werden.

Das Hindernis sind die Arbeitgeber, die (allgemein) zu wenig und überhaupt keine qualifizierten Teilzeitarbeitsplätze anbieten. Der Einwand, daß TeilzeitarbeiftlttictMien Lohn-nebenkosten verbunden sei, ist nicht stichhaltig. Teilzeit ist nicht höher mit Lohnnebenkosten belastet als Vollarbeit; es erfordert höchstens einige zusätzliche administrative Arbeit, die jedoch durch deutliche Vorteile (für den Arbeitgeber) bei weitem aufgewogen werden. Hier handelt es sich um ein weit verbreitetes Vorurteil der Arbeitgeber.

Lange Zeit haben auch Gewerkschaften die Teilzeit eher geduldet als gefördert. Teilzeitarbeitsplätze werden auch heute nicht vom Arbeitsmarktservice beworben, im Gegenteil sogar vernachlässigt. Ein funktionierender Teilzeitarbeitsmarkt ist kaum vorhanden.

„Schuld" an der derzeitigen Situation haben aber auch die Frauen, die Teilzeit größtenteils nur vormittags (aus einsichtigen Gründen) arbeiten wollen. Hier wird ebenfalls Anpassung notwendig sein.

Gegen das Arbeitgeberargument, daß qualifizierte Tätigkeiten nicht von Teilzeitarbeitskräften ausgefüllt werden können, gäbe es eine - in Österreich bisher unbekannte - Lösung: „job-sharing." Hier verpflichten sich zwei Arbeitnehmer, einen Arbeitsplatz gemeinsam auszufüllen, wobei sie sich die Arbeitszeit einteilen können, aber für die notwendige Kommunikation sorgen müssen.3'

Der Autor ist

Sozialversicherungsexperte.

" OECD-Methode bedeutet, daß die Bemessungsgrundlage auch die Selbständigen einschließt, und daß Saisonarbeitslose ausgeklammert werden. Dadurch sind diese OECD-Werte deutlich niedriger als nach der österreichischen Zählung, die die unterstützten Arbeitslosen erfaßt So haben wir in Osterreich derzeit vier Prozent Arbeitslose nach OECD, aberfast neun Prozent nach österreichischer Zählung. " + zirka )00.000 ausgesteuerte", das heißt Arbeitslose ohne Unterstützung. " Studie des Bundesministeriums für Arbeil und Soziales, 1995. " Je nach Ausmaß, wie stark die Vallzeit reduziert wird.

"Also halbtags/halbtags, oder tageweise oder wochenweise alternierend.

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