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Mensch statt Markt als Maß
Unter dem Titel „Globalisierung, Wettbewerbsfährigkeit und menschliche Sicherheit" tagte letzte Woche die „Europäische 'Vereinigung der Entwicklungforschungsinstitute" in der Wiener Wirtschaftsuniversität. Auf Einladung des „Wiener Instituts für Entwicklungsfragen und Zusammenarbeit" diskutierten rund 500 Wissenschafter und Experten aus 27 Ländern die Herausforderungen, die die Globalisierung von Wirtschaft und Kultur für Entwicklungspolitik und Institution vor allem punkto menschlicher Entwicklung mit sich bringt.
„Gängig Entwicklungstheorien und Politkonzepte helfen uns wenig, wirtschaftlich, soziale und Umweltanliegen miteinander zu versöhnen", konstatierte Inge Kaul, Direktorin der Abteilung Entwicklungsstudien bei UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) in ihrem Eröffnungsvortrag.
Vor allem in Umwelt- und Ressourcenfragen haben wirtschaftswissenschaftliche oder technologie-fi-xierte Ansätze bisher nur wenige „direkte und praktikable Problemlösungen" gebracht, bestätigt auch Peter Hjorth, Mitglied einer interdisziplinären schwedischen Forschergruppe zur Wasserversorgung.
Obwohl die meisten Experten schon in den achtziger Jahren erkannten, daß sie sich auf Arme und Menschen ohne jegliche Wasserversorgung zu konzentrieren hätten, hat in den Entwicklungsländern heute noch immer jeder Dritte keine sichere Wasser- und Abwasserversorgung.
Globalisierung rückt neben ungelösten Umwelt- und Ressourcenfragen auch neue alte soziale Fragen ins öffentliche Bewußtsein - Stichwort Massenarbeitslosigkeit. Nicht nur der deutsche Continental-Konzern drängt, Teile der Semperit-Produkti-on an billigere Standorte zu verlagern. Auch zwischen den Entwicklungsländern und innerhalb von ihnen entsteht ein neuer Konkurrenzkampf vor dem Hintergrund immer freier Jließenden Investitionskapitals. Mehr noch: Die gute - und in Europa selten gewordene - Nachricht von weniger Arbeitslosigkeit wird auf Finanzmärkten mittlerweile schon als schlechte aufgenommen. So geschehen am 12. Juli, als die niedrigste Rate seit sechs Jahren die New Yorker Wall Street in Unruhe versetzte. Händler befürchteten einen Anstieg der Arbeitskosten und der Inflation.
Preisstabilität und Wettbewerbsfähigkeit sind nach Kauls Einschätzung für viele Regierungen wichtigere Ziele geworden als selbst nationales Wirtschaftswachstum, geschweige denn hohe Beschäftigung. „Derzeit gestatten wir den Märkten, der Politik die Prioritäten vorzugeben", kritisiert die Soziologin bei UNDP.
Sämtliche Entwicklungskonzepte, die als Beaktion auf die anhaltende Globalisierung und deren Folgen entstanden, seien ohne grundlegendes Umdenken zum Scheitern verurteilt. „Wir müssen", so Kauls Forderung, „unsere politischen Prioritäten neu ordnen und die Menschen wieder in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stellen."
Angesichtes der ökosozialen Folgen appelliert auch EADI-Präsidentin Helen O'Neill, Entwicklungsforscherin an der Universität Dublin, an den Staat als ordnende Kraft, gerade im Zeitalter umfassender Privatisierungen: „Seine Rolle als Beschützer" werde sogar noch wichtiger. „Wenn Begierungen - etwa in reformierten internationalen Organisationen - gemeinsame Sachen machten, wären sie in der Lage, politisch aktiv zu werden auch jene von kleinen oder armen Ländern", tritt O'Neill dem Mythos vom immer ohnmächtigeren Staat entgegen.
Der Autor ist
Wissenschafis und Vinweit Journalist
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