"Migranten gezielt fördern“

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Viele Migranten können mit ihren im Ausland erworbenen Qualifikationen in Österreich nichts anfangen. Was sich dringend ändern muss, erklärt Josef Wallner von der Arbeiterkammer Wien.

Zu oft bleibt das Potenzial von Menschen mit Migrationshintergrund ungenutzt, wie aktuelle Zahlen der Arbeiterkammer belegen. Das betrifft Schul- und Studienabschlüsse genauso wie informell erworbene Fähigkeiten. Während die heimische Wirtschaft nach Fachkräften sucht, wird qualifizierten Migranten der Zugang zum Arbeitsmarkt vielfach verwehrt.

Die Furche: Gibt es in Österreich keine transparenten Regelungen oder eine zentrale Anlaufstelle für die Anerkennung von Bildungsabschlüssen aus Drittstaaten?

Josef Wallner: Nein. Das System ist undurchsichtig, wie auch in der restlichen EU. Je nach Berufsfeld kann für die Anerkennung eine Universität, das Land oder der Bund zuständig sein. Bei handwerklichen Berufen hingegen bräuchten Migranten oft nur einen Bescheid, auf den sie sogar einen Rechtsanspruch haben.

Die Furche: Bundesweit arbeitet ein Drittel aller Menschen mit Migrationshintergrund unter ihrer Qualifikation. Österreich hat hier einen der schlechtesten Werte in der OECD. Wie kann das sein?

Wallner: Bei manchen Berufen muss man zur Anerkennung der Qualifikation drei Viertel des Studiums nachholen, bei anderen braucht man nur einen Bescheid. Teils werden erforderliche Kurse nicht angeboten oder sind sehr teuer. Sozialminister Hundstorfer, Wirtschaftsminister Mitterlehner und Integrations-Staatssekretär Kurz haben erste Schritte gesetzt: Nun gibt es zumindest einheitliche und flächendeckende Beratungsstellen. Wir brauchen aber eine Vereinheitlichung des gesamten Systems.

Die Furche: Viele Migranten sind im Gastgewerbe und bei Leasingfirmen beschäftigt. Welche sind die häufigsten Probleme bei der Anerkennung von Abschlüssen?

Wallner: Gerade in den handwerklichen Berufen verfügen viele Migranten über informell erworbene Qualifikationen. Etwa wenn Leute jahrelang am Bau gearbeitet haben und zwei Drittel dessen können, was ein qualifizierter Maurer kann, aber trotzdem als Hilfsarbeiter eingestellt werden.

Die Furche: Wie kann man die Situation der Betroffenen verbessern?

Wallner: Das Projekt "Du kannst was“ der Arbeiterkammern Oberösterreich und Salzburg unterstützt Migranten mit Arbeitserfahrung, einen Lehrabschluss zu machen: Gemeinsam mit dem AMS und der Wirtschaftskammer stellen wir fest, welche Kompetenzen für ihr Berufsfeld noch nötig sind. Die fehlenden Kompetenzen können durch Kursangebote nachgeholt werden.

Die Furche: Laut dem Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) könnte die angemessene Beschäftigung von Migranten allein dem Bund und den Ländern 7,5 Milliarden an zusätzlichen Einnahmen und geringeren Ausgaben bringen. Was muss sich am System ändern?

Wallner: Wir prüfen gerade, wie andere Länder informelle Qualifikationen schnell und unbürokratisch anerkennen. Ein effizienteres System würde nicht nur Migranten zugutekommen - auch viele Österreicher erwerben Qualifikationen, die nicht anerkannt werden. Auch die Betriebe müssen Vertrauen zeigen und Migranten anstellen. Da ist viel Aufklärungsarbeit notwendig - eine langwierige Angelegenheit.

Die Furche: Stichwort Lohndumping: Warum kann die Wirtschaft migrantische Arbeitskräfte so leicht ausnutzen?

Wallner: Wo kein Kläger, da kein Richter. Das Gesetz sieht empfindliche Strafen für Lohndumping vor. Es gibt auch flächendeckende Kontrollen. Wenn Leute in Österreich aber trotz Lohndumping viel mehr verdienen als in ihren Heimatländern, nehmen sie das in Kauf. Deswegen wollen wir die Effektivität des Lohn- und Sozialduming-Bekämpfungsgesetzes steigern.

Die Furche: Migrantinnen werden laut einer Studie des Forschungsprojektes MIQUAM (Migrantinnen-Qualifizierung-Arbeitsmarkt) besonders oft unterqualifiziert beschäftigt. Etwa wird Frauen mit technischem Know-how nahe gelegt, in traditionell weibliche, schlechter bezahlte Berufe zu gehen. Das kann doch nicht im Interesse der Wirtschaft sein?

Wallner: Migrantinnen werden doppelt benachteiligt: Weil sie ihre Qualifikationen nicht adäquat verwerten können, und weil sie primär für Familie und Kinder verantwortlich sind. Manchmal sind technische Qualifikationen nicht gleich einsetzbar. Aber drei Stufen unter der Qualifikation findet sich ein Job. Gerade bei Wiedereinsteigerinnen würde es oft etwas dauern, die Fähigkeiten aufzufrischen. Das AMS arbeitet aber nach dem Grundsatz "vermitteln vor schulen“. Die Arbeiterkammer hat es bisher leider nicht geschafft, diesen Grundsatz zu relativieren.

Die Furche: Welche Rolle spielen der Name, das Aussehen, der Akzent oder das Kopftuch bei der Arbeitssuche?

Wallner: Eine große Rolle. Dazu haben wir viele Erfahrungsberichte. Etwa von Ärzten aus afrikanischen Ländern, die in Innsbruck Medizin studiert haben. Beim Bewerbungsgespräch wurde ihnen gesagt, die Stelle sei leider schon besetzt, dabei wurde dieselbe Stelle wieder ausgeschrieben. Muslimische Mädchen mit Kopftuch, teils sehr modisch gekleidet, werden bei jungen Modeketten nicht angestellt, weil das Kopftuch im Verkauf nicht erwünscht ist.

Die Furche: Laut einer Arbeiterkammer-Studie sprechen Menschen mit Migrationshintergrund im Schnitt drei Sprachen, 40 Prozent sogar noch eine vierte oder fünfte. Wie könnte man dieses Potenzial nutzen?

Wallner: Wenn die Leute keine Chance auf einen Job erhalten, bleibt das Potenzial ungenutzt. Oft können Migranten die Sprache ihres Herkunftslandes noch gut sprechen, aber nicht mehr schreiben. Schulen sollten verstärkt Sprachkurse in den Muttersprachen der Kinder mit Migrationshintergrund anbieten. Für den Tourismus und den Export ließe sich das sehr gut nutzen.

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