Mit Strasser am Birnbach

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Österreich, das muss der Neid uns schon lassen, ist ein Land der Vorahnungen. Schon Hebbel hat das gewusst, als er sprach von der kleinen Welt, in der die große ihre Probe hält. Das ist immer noch so. Die Finanzkrise bietet ein wunderbares Beispiel dafür: Lange bevor es die Hochrisiko-Aktivitäten von US-Investmentbanken gab, die zum Crash führten, hatte Österreich schon den BAWAG-Skandal I um Swap-Geschäfte auf den Cayman Islands. Politische Einflussnahme, Geschenke, Bestechung, weitreichendes Lobbying in allen politischen Kanälen? Alte Hüte! Lucona, Noricum, Buwog, ganz zu schweigen von den erst zum Teil gehobenen Kriminalschätzen, die am Grunde der Hypo Alpe Adria schlummern. Gemessen an dieser reichen Erfahrung kann uns doch eigentlich nichts mehr überraschen, konnte man meinen.

Doch dann kam die Nachricht über das Urteil gegen Ernst Strasser: Vier Jahre unbedingte Haft für Bestechlichkeit (nicht rechtskräftig), weil es das Gericht als erwiesen ansah, dass Strasser gegen Bezahlung auf EU-Gesetze Einfluss nehmen wollte. Vier Jahre unbedingt - das ist streng. Sicher aber hat Richter Georg Olschak damit Teilen des Volkes aus dem Herzen gesprochen, da sich der Angeklagte ja "an den Bürgern versündigt“ (Wiener Zeitung) hatte.

Das fehlende Umfeld

Ja - das Volksempfinden. Es hat oft sehr enge und strenge Zugänge zu Strafverfahren: Es fordert Vergeltung am sichtbaren "Schuldigen“, vergisst aber dabei oft das Umfeld und System, das den Angeklagten geformt hat und im moralischen Sinne ebenso schuldig ist. Die Aufgabe, diese Hintergründe offenzulegen, hätte das Gericht.

Leider wirkt es am Ende des Strasser-Verfahrens so, als gäbe es den Sumpf nicht, in den Strassers Handeln gebettet war. Die Strafe solle, sagt Richter Olschak, "eine abschreckende Wirkung auf mögliche Nachahmungstäter haben. Und davon gibt es wohl einige.“ Na ja, wie oben gesehen, dürfte Ernst Strasser selbst eher ein Nachahmer anderer Vorbilder sein, ehe er selbst zu keinem werden konnte. Wer Strassers Vorbilder waren? Schweigen. Und sagte nicht die Hauptbelastungszeugin auf die Frage, wie sie denn auf Strasser als mögliches Bestechungsziel gekommen sei: "Er hatte schon einen schlechten Ruf.“

Wo bleibt der ganze Rest

Ist doch seltsam, nicht? Irgendwoher wuss dieser Ruf doch stammen. Aus seinem Leben als Europaparlamentarier (18 Monate) oder gar aus den 25 Jahren als Politiker/Geschäftsmann? Um welche Geschäfte handelte es sich und mit wem? Wer untersucht das? Keine Antworten darauf in diesem Verfahren, nichts davon in der Urteilsbegründung. Dagegen setzte es Pauschalurteile gegen Lobbyisten und pathetische Übertreibungen ("Wenige Personen haben dem Ansehen des Landes so geschadet wie Sie...“) und schließlich der despektierliche Satz: "Es muss einen Unterschied machen, ob ein kleiner Gemeinderat eines Kuhdorfs sich für eine Baubewilligung, die vielleicht fünf Personen betrifft, bestechen lässt, oder ein Mitglied des Europäischen Parlaments "Cash for Law“ nimmt.“

Einspruch. Genau diesen Unterschied darf es eben nicht machen. Denn - danke Hebbel - hier im "Kuhdorf“ beginnt die kleinkriminelle Welt, die dann im großen Parlament ihre Gala hält. Es sind doch genau jene, die bei den Kanalbaulosen und Flächenwidmungen ihre Karrieren beginnen, um nach erfolgreicher Verinnerlichung des "Systems“ bis in höchste Ämter der Politik vorzustoßen. Da sitzen - um eine aktuelle Poesie aus Kärntens Skandalen aufzugreifen - Hunderte am Birnbach.

Ernst Strasser mag zu Recht verurteilt worden sein. Aber es bleibt der schale Nachgeschmack, es könnte sich um eine dieser "dankbaren Geschichten“ handeln: ein Schuldiger und sonst nur Unschuldige, ein Delikt ohne Umfeld oder Vorgeschichte; schließlich eine Justiz, die Recht und Rache vereint. Das gibt’s wrklich nur im Film.

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