Mit Volldampf in die Jobmisere

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Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit wird die Arbeit der neuen Regierung prägen. Doch während die Krise zunehmend bei den Beschäftigten ankommt, finden sich im Regierungsprogramm von SPÖ und ÖVP zum Thema Arbeit nur vage Wortkonstrukte.

Früh am Dienstagmorgen ist dichter Nebel aufgezogen und hat das Opel-Werk Aspern im Norden Wiens in graue Watte gepackt. Ein paar Neonlampen streuen fahle Lichtkegel über den Parkplatz. Weiter weg, in der nasskalten Einöde des aufgelassenen Flugfeldes von Aspern, krächzen die Saatkrähen. Der November fühlt sich wohl in Aspern - und er passt in seiner Unwirtlichkeit auch gut zur Situation der Traditionsfirma Opel. Thomas Schneider (Name auf Wunsch geändert, Anm.), Werkmeister bei Opel/General Motors seit 23 Jahren, verlässt das Werk durch den Hauptausgang. "General Motors-Powertrain", prangt in großen Lettern über dem Portal. Von Kraft und Stärke ist bei Schneider allerdings nichts zu spüren. Bleich und müde zieht er an seiner Zigarette. "Alle machen sich Sorgen, alle reden über die Zeitungsmeldungen, ein paar glauben, dass nach Winter überhaupt Schluss ist." Seit 25 Jahren fertigt Opel in Aspern Motoren und Getriebe, rund eine Million Stück waren es bisher pro Jahr. "Vorbei", brummt Schneider. Die Krise, die die Autohersteller in den USA, Asien und Europa erfasst hat, reißt nun auch die österreichischen Betriebe mit. Opel Austria musste bereits 60 Leiharbeiter kündigen und produktionsfreie Tage einziehen. Die Geschäftsführung spricht von "Überstundenabbau". Hilfe vom Staat? Thomas Schneider schüttelt den Kopf: "Soll der Faymann uns allen einen Opel kaufen?"

Tatsächlich sieht sich die neue Bundesregierung im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit als "Feuerwehr im Großeinsatz", (VP-Obmann Josef Pröll), die auszog, einen "Flächenbrand" (SP-Obmann Werner Faymann) zu verhindern. Doch der Löschplan der Regierung gegen Wirtschaftsdesaster und steigende Arbeitslosigkeit, wie er im Koalitionspakt steht, versammelt eher Allgemeinplätze als konkrete Taten.

So heißt es auf Seite 7: "Erklärtes Ziel ist es, die negativen Auswirkungen der Finanzkrise auf die österreichische Wirtschaft so gering wie möglich zu halten." Dazu noch ein Minimum an Details. Der Konsum soll durch eine Steuerentlastung wiederbelebt werden, Handel und Industrie sollen von zwei Konjunkturpaketen profitieren.

Milliarden-Verwirrung

Schon über das Ausmaß der Hilfe scheint Verwirrung zu herrschen: ÖVP-Obmann Josef Pröll wirbt mit einem Drei-Milliarden-Euro-Paket in der Presse, der künftige Bundeskanzler Werner Faymann legt sich in Interviews hingegen auf großzügige fünf Milliarden fest. Inzwischen trudeln Tag für Tag neue Hiobsbotschaften ein. Die OECD korrigierte ihre Konjunkturprognosen für Österreich: 2009 wird die Republik in eine Rezession schlittern. Mit nachhaltigen Folgen: Etwa 100.000 Arbeitsplätze könnten in den kommenden beiden Jahren verloren gehen, so das WIFO. Im Koalitionsübereinkommen findet man zum Thema Arbeit 10 magere Seiten: Demnach soll die Bauindustrie mit einem Auftragsvolumen von 850 Millionen Euro zur Sanierung von Bundesgebäuden gefüttert werden. Eine Abschreibungsmöglichkeit auf bewegliche Wirtschaftsgüter soll Anreize für Investitionen setzen.

In VP und SP wird argumentiert, auch das 100-Milliarden-Euro-Paket für Österreichs Banken komme den Unternehmern zugute, weil die nun wieder Kredite bekämen und damit Aufträge und Beschäftigte halten könnten. Allerdings gibt es daran erhebliche Zweifel - denn offensichtlich verweigern viele Geldinstitute trotz des staatlichen Milliardensegens Unternehmern die lebensnotwendigen Darlehen.

Klagen darüber sammeln sich zuhauf bei der Wiener Wirtschaftskammer. Die Kammer richtete deshalb Mitte November ein Telefonservice für von Kreditabsagen betroffene Unternehmer ein. Was als "Instrument zur Wiederherstellung des Vertrauens in den Kapitalfluss (WKÖ)" gedacht war, entwickelte sich zur Kummernummer. Zwei Werktage nach Eröffnung der Hotline hatten die Kämmerer bereits 180 Beschwerden vorliegen. "Es ist absurd", erzählt Unternehmer Werner K.: "Vor einem Jahr habe ich noch Kredite in jeder Höhe bekommen und auch zurückzahlen können. Jetzt bekomme ich nicht einmal mehr 20.000 Euro für einen kleineren Auftrag." Das wahre Ausmaß des Problems zeigt ein Blick auf die Statistik der Wirtschaftskammer: Österreichs kleine und mittlere Unternehmen müssen pro Jahr Investitionen von rund 25 Milliarden Euro tätigen -die meisten davon auf Kreditbasis.

Während die SPÖ intern mit dem Gedanken spielt, den Banken die Freigiebigkeit zu verordnen, bremsen gewichtige Teile der ÖVP. Der Präsident der Industriellenvereinigung Veit Sorger: "Ein gewisses Vertrauen den Banken gegenüber sollte schon da sein." Das Koalitionsübereinkommen übergeht das Thema. Statt dessen heißt es, es werde "eine Entlastung des Faktors Arbeit geben, dazu noch Maßnahmen zur Förderung des Unternehmergeists".

Bangen um Aufträge

Bleibt die Regierung über die kommenden zwei Monate tatenlos, warnen Experten bereits vor den Konsequenzen: Der Entlassung hunderter Mitarbeiter aufgrund von Auftragsengpässen. Die Zahl der möglichen Betroffenen ist jedenfalls hoch: 65 Prozent aller Beschäftigten arbeiten in Klein- und Mittelbetrieben.

"Ich will mir gar nicht vorstellen, was mit meinen Mitarbeitern passiert, wenn die Aufträge ausbleiben", sagt der Zentralbetriebsratsobmann von Siemens Transport Systems Austria (STSA), Walter Winkelbauer. Die STSA stellt in Wien Simmering U-Bahngarnituren und Züge her, etwa den neu entwickelten ÖBB-Schnellzug Railjet. An der Fertigung hängen insgesamt 2200 Arbeitsplätze. Sollten sich die Auftragsbücher über die Öffentliche Hand nicht bald füllen, drohen Kurzarbeit und Kündigungen. Schon jetzt ist die Unruhe unter den Arbeitern groß, so Winkelbauer: "Die Kollegen reden nur noch über das, was kommen könnte." Was Siemens befürchtet, hat andere Unternehmen bereits voll erfasst. Nachstehend die Meldungen der vergangenen Tage: Der Kremser Autozulieferer Eybl wird bis Jahresende vermutlich 67 Mitarbeiter freisetzen. In Kärnten waren bis Mittwoch dieser Woche 1300 Menschen zur Kündigung angemeldet, darunter 800 Leiharbeiter. In der Steiermark meldete Austriamicrosystems 60 Werktätige beim AMS als arbeitslos, wenig später gab Mayr-Melnhof-Holz bekannt, 70 Arbeiter freizusetzen.

Akuter Lehrstellenmangel

Besonders Lehrstellensuchende werden von einem Engpass auf dem Arbeitsmarkt betroffen sein. Laut einer Umfrage der Arbeiterkammer leidet jede dritte Familie schon jetzt unter Lehr- oder Berufsschulplatzmangel. In absoluten Zahlen, so die AK, finden 51.000 Familien mit Söhnen und Töchtern zwischen 14 und 17 Jahren keine passenden Lehrstellen oder Schulen für ihre Kinder. Nur zu oft landen die Jugendlichen unfreiwillig in Lehrwerkstätten oder entscheiden sich, einfach auszusteigen. Schon vor der Wirtschaftskrise blieben 10 Prozent der Jugendlichen ohne Schulabschluss. Bildungsexperte Bernd Schilcher: "Dazu findet sich kein Wort im Regierungsprogramm. Dabei geht es hier um eine soziale Bombe."

In Aspern steigt Thomas Schneider in seinen Opel Astra, Baujahr 1995. Noch im Dezember wollte er sich ein neues Auto kaufen - einen Opel natürlich. Doch jetzt spart er das Geld: "Wenn's einen trifft, muss man vorbereitet sein." Spricht's und fährt vom Werksgelände, vorbei an dem Schild, das früher gute Laune machen sollte und nun nur noch düstere Wehmut verbreitet: "Opel - Auf zu neuen Zielen".

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