Moralischer Markt: Ein Selbstwiderspruch

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Brigitte Quint über die Supermarkt-Debatte und eine faire und gerechte Regelung von Seiten der Politik.

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Brigitte Quint über die Supermarkt-Debatte und eine faire und gerechte Regelung von Seiten der Politik.

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Wie verwerflich ist es, wenn ein Supermarkt in Lockdown-Zeiten neben Nudeln, Brot und Mehl auch Blumen, Spielwaren und Schreibwarenbedarf verkauft? Darf man von Handelstreibenden einfordern, dass sie aus freien Stücken zugunsten der Konkurrenz ihr Sortiment einschränken bzw. nicht erweitern? Das kommt ganz auf den Blickwinkel an, aus dem diese Fragestellung beleuchtet wird. Der Systemtheoretiker würde sagen, dass das Wirtschaftssystem in sich geschlossen operiert und sich selbst reproduziert, indem es sich an seine eigene Maxime hält. Nichts anderes machen dieser Tage die in die Kritik geratenen Supermarktketten.

Zu den Prinzipien der freien Marktwirtschaft gehört Wettbewerb – und der bedingt mindestens einen Akteur mit unterlegenem Zielerreichungsgrad. In der aktuellenDebatte sind diese Verlierer unter anderem Buchhändler, Floristen, Schulbedarfsläden oder Sportartikelanbieter. Also jedes Geschäft, das keine Lebensmittel, Sanitärartikel oder Tiernahrung führt. In jedem VWL­Grundlagenwerk steht geschrieben, dass sich Wettbewerb und gesellschaftliche Wertvorstellungen (wie etwa Gleichstellung) durchaus widersprechen können. In einer SOZIALEN Marktwirtschaft käme dann der Staat ins Spiel, der diese Diskrepanz zu regulieren hätte ...

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Es ist zwar löblich, dass sich nun die Rewe Group (Billa, Penny, Merkur) dazu bereit erklärt hat, Regale mit nicht notwendigen Waren zu versperren. Aber darf man deshalb tatsächlich jenen Händlern (Spar, Lidl, Hofer), die das nicht tun wollen, unsolidarisches Handeln vorwerfen? Oder provokant formuliert: Muss der Handel nicht vielmehr als Realität sui generis – als abgeschlossene, wertfreie Zone – betrachtet werden?

Die meisten Sozialethiker würden sich vehement gegen wirtschaftsevolutionäre Thesen wie diese aussprechen. Führende Ökonomen wie Friedhelm Hengsbach argumentieren vielmehr, dass Wettbewerb überhaupt erst funktioniert, wenn er inein rechtliches und politisches Regelwerk eingebettet ist. Und genau das ist des Pudels Kern: Niemand kann ernsthaft erwarten, dass Wirtschaftstreibende ausgerechnet in einer der schwersten Krisen der Zweiten Republik selbstlos handeln. Im doppelten Wortsinn. Der Solidaritäts-­Appell der Wirtschaftskammer – „Ein Kampf Unternehmer gegen Unternehmer ist das Letzte, was man in der Krise braucht“ – klingt schon fast naiv und schießt am Ziel vorbei.

Es ist nicht die Aufgabe der Regierung und der Sozialpartner Moralpredigten zu halten; vielmehr sollten sie endlich umfassende Rahmenbedingungen (ohne Hintertürchen!) schaffen, damit es innerhalb der Pandemiebekämpfung möglichst gerecht zugeht.

Brigitte Quint

Es ist nicht die Aufgabe der Regierung und der Sozialpartner Moralpredigten zu halten; vielmehr sollten sie endlich umfassende Rahmenbedingungen (ohne Hintertürchen!) schaffen, damit es innerhalb der Pandemiebekämpfung möglichst gerecht zugeht. Im Vorfeld hat man sich auf einen Umsatzersatz für jene Händler, die zusperren müssen, geeinigt. Warum ist niemand auf die Idee gekommen, diesen Umsatzersatz von denen einzufordern, denen der Lockdown ein Umsatzplus beschert? Warum bleiben in der monetären Krisenbewältigung so viele Variablen außen vor?

Auch geht es um Transparenz. Rechtlich gesehen ist nämlich nicht einmal geklärt, ob die Kundinnen und Kunden das feilgebotene Spielzeug oder die Elektroartikel überhaupt kaufen dürfen. Im Gesamtsinn der Verordnung des Gesundheitsministeriums ist das Verlassen des Hauses nur für dringende Grundbedürfnisse erlaubt. Dazu zählt der Einkauf von Lebensmitteln, die Schnäppchenjagd auf güns tige Mikrowellen oder Playmobil­Piratenschiffe wohl nicht. Auch wenn die Werbelockrufe der Unternehmen (warum sind diese Werbespots in einem Lockdown erlaubt?) vorab auf Radiokanälen und TV­Sendern noch so laut ertönen mögen. Juristen verweisen schon jetzt darauf, dass am Ende nur der Verfassungsgerichtshof dieses Wirrwarr wird entzerren können. Eine Wirtschaft ohne ethisch agierende Individuen ist weder haltbar noch wünschenswert. Trotzdem ist die Beziehung zwischen Wirtschaft und Ethik ein unaufhebbarer Selbstwiderspruch. Hier die richtige Balance zu finden ist die Aufgabe des Gesetzgebers.

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